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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

da er sich schon am Morgen nicht wohl gefühlt hatte. Auf Clementinens wiederholte Fragen über sein Schweigen antwortete er ausweichend, um ihr Vergnügen nicht durch unzeitige Besorgnisse zu stören und seine Mutter nicht erst unnöthiger Weise zu beunruhigen. Seine Rücksicht in dieser Beziehung ging sogar so weit, daß er eine unnatürliche Heiterkeit heuchelte, und Clementinen das Versprechen gab, heute ausnahmsweise recht viel zu tanzen, worüber sie laut ihre unverstellte Freude zu erkennen gab.

Endlich hielt die Equipage vor dem geöffneten Portale des Opernhauses. Ehe der reich gallonirte Bediente herbeigeeilt war, hatte der Assessor die Thüre des Wagens geöffnet, und den Schlag herabgelassen. Auf seinen Arm gestützt, stieg die Commerzienräthin aus, gefolgt von Clementinen, die mit ihren flüchtigen Füßen kaum den Boden zu berühren schien. In der Garderobe wurden die schützenden Mäntel, Hüllen und Tücher abgelegt, und der reizendste Schmetterling schlüpfte aus seiner Verpuppung hervor. Natürliche Camelien schlangen sich durch ihr blondes, wellenförmiges Haar, das in üppiger Fülle wie ein goldener Kranz auf der weißen Stirn ruhte, und in wogenden Locken bis zu dem antik geformten Nacken herabflog. Rauschende Seide umgab die schlanke, anmuthige Gestalt, die ihre vollendeten Formen in jeder Bewegung voll Grazie verrieth. Auf dem Hals und um die fein gebildeten Arme, welche mit dem blendenden Schnee wetteifern konnten, glänzte ein kostbarer Brillantschmuck, ein Geschenk der Commerzienräthin für die Braut ihres Sohnes. Sie war in dieser Toilette bezaubernd schön, und selbst die kluge Mutter schien stolz auf eine solche Schwiegertochter und glücklich mit dem Glücke ihres Sohnes.

Um einige Kleinigkeiten zu ordnen, welche sich an ihrer Toilette während des Fahrens verschoben hatten, trat Clementine vor den Spiegel der Garderobe, wobei sie ihrem Verlobten den vergoldeten Fächer und das duftende Ballbouquet zum Halten gab. Ein selbstgefälliges Lächeln schwebte um ihre Lippen, als ihr aus dem Glase ihr Bild entgegenleuchtete, und ihr Auge blickte mit stolzer Siegesgewißheit. Vielleicht hatte Theodor diesen Blick mißfällig bemerkt; eine Wolke zeigte sich auf seiner männlichen Stirn und trübte seine ohnehin nur erkünstelte Heiterkeit. Eine Stimme in seinem Innern schien ihm plötzlich zuzurufen: Sie hat kein Herz! Er suchte diesen von Zeit zu Zeit in ihm auftauchenden Gedanken auch jetzt wieder zu bekämpfen, obgleich dies ihm nicht so leicht, wie sonst, gelingen wollte. Das körperliche Mißbehagen, welches er seit heute früh empfand, hatte sich wahrscheinlich seinem Geiste mitgetheilt, und eine gewisse Reizbarkeit hervorgerufen. Er liebte seine Braut in so hohem Maße, daß er ihr gegenüber anspruchsvoller sich zeigte, als anderen Menschen gegenüber, die ihm weniger nahe standen.

Der Brautstand bringt, wie jede Uebergangszeit, eine Reihe von Uebelständen mit sich. Das fortwährende Zusammenleben, die innigere Vertrautheit gestatten so manchen tieferen Blick in den gegenseitigen Charakter, und lassen hier und da selbst die unbedeutendsten Schwächen stärker hervortreten. Man hält sich schon berechtigt zu tadeln, und doch wird auch der behutsamste Tadel um so empfindlicher, je zärtlicher man liebt. Dazu nährt der ewige Zwang, den man sich besonders in Gegenwart von Fremden aufzulegen hat, einen hohen Grad von Empfindlichkeit, so daß der leichteste Umstand in dieser gespannten Atmosphäre das Gewitter zum Ausbruch bringt. Gewöhnlich folgt darauf die Versöhnung, welche zwischen wahrhaft Liebenden meist so köstlich zu sein pflegt, daß diese bloß um ihretwillen den Streit zu suchen scheinen. Erst die Ehe gleicht diese Gegensätze zum Theil aus, und verwandelt die schwüle Liebesgluth in eine wohlthuende, mehr gleichmäßige Wärme. –

In ähnlicher Lage befand sich gegenwärtig Theodor, wozu noch jene bereits angedeutete körperliche Verstimmung kam. Er besaß jedoch eine hinlängliche Selbstbeherrschung, um schließlich seiner aufsteigenden Besorgnisse Herr zu werden. Bald verschwand auch die letzte Spur dieses augenblicklichen Unmuths, als er an der Seite seiner Braut und Mutter den strahlenden Ballraum betrat, der in seiner mährchenhaften Pracht überraschen und zerstreuen mußte.

Der große Saal hatte sich in einen bezaubernden Blumengarten verwandelt, Gruppen von exotischen Gewächsen, schlanke Palmen und grüner Lorbeer zauberten den Frühling mitten im Winter herbei. Laubgewinde und Schlinggewächse rankten sich von einer Säule zu der andern, und bildeten die zierlichsten Guirlanden und schwebende Festons. Die Wände waren durch die Kunst des Malers und Decorateurs in entzückend schöne Landschaften und in die herrlichsten Gegenden der Welt verwandelt; hier lächelte der Comersee in seiner ewigen Bläue, dort spiegelte sich Venedig bei träumerischer Mondbeleuchtung in den Wellen des Canale grande, während an jener Wand das herrliche Neapel zu den Füßen des rauchenden Vesuv lag, oder Constantinopel sich an den Ufern des goldenen Hornes lagerte. Von der gewölbten Decke herab hing der hundertarmige Kronleuchter, ein Meer von Glanz und Licht verbreitend. Das beste Orchester der Residenz ließ seine lustigen, zum Tanze einladenden Klänge ertönen, und setzte die junge Welt in die freudigste Stimmung. Es war ein Schauspiel wunderbarer Art, ein wahrhaft feenartiger Anblick. Alles, was die Hauptstadt an hervorragenden Erscheinungen besaß, hatte sich eingefunden, die schönsten Frauen in eleganter Toilette, Officiere und Hofchargen aller Art in ihren glänzenden, mit Gold gestickten Uniformen. Das Ganze glich einem wogenden Blumenbeete, wobei die unzähligen funkelnden Brillanten die Stelle der Thautropfen vertreten mußten. Das wogte und drängte sich in dieser Atmosphäre, welche nur Luxus, Pracht und Ueberfluß athmete. Sämmtliche Logen waren mit einer doppelten Reihe von Damen besetzt, die erschienen waren, nicht nur um zu sehen, sondern selbst gesehen und bewundert zu werden. Clementine befand sich hier in ihrem eigensten Elemente, sie schwamm darin, wie ein Fisch im Wasser. Bald grüßte sie eine befreundete Dame, bald wurde sie von einem Herrn ihrer Bekanntschaft angeredet. Wohin sie kam, erregte sie Aufsehen durch ihre Schönheit und jeder Mann, selbst die kritischeren Frauen beeilten sich, ihr etwas Angenehmes über ihr Aussehen oder ihre geschmackvolle Toilette zu sagen. Verschiedene Tänzer näherten sich ihr, um sie zum Tanze aufzufordern, und schienen glücklich, wenn sie von der Vielbestürmten und Begehrten eine Zusage für die sechste oder siebente Quadrille noch erhielten.

Eine laute Fanfare der Musik verkündigte jetzt den Eintritt der hohen Herrschaften; am Arme seiner erlauchten Gemahlin erschien der Fürst unter dem Vortritte des Intendanten, der mit seinem weißen Stabe durch die Menge sich Bahn brach. Zu beiden Seiten bildeten die Zuschauer eine Gasse, durch welche der Monarch mit freundlichem Gruße schritt. Hier und da blieb er auch wohl stehen, und redete eine oder die andere ihm bekannte oder vortheilhaft auffallende Person an. Diese Auszeichnung wurde auch Clementinen zu Theil, und der Fürst sagte ihr mit lauter Stimme einige überaus schmeichelhafte Worte, welche sie mit freudigem Erröthen anhörte. Auch Theodor, der in der Nähe seiner Verlobten stand, wurde einer verbindlichen Anrede gewürdigt.

„Ein schönes, glückliches Paar!“ sprach der Fürst im Weitergehen zu seiner Gemahlin, und zwar so laut, daß ihn seine ganze Umgebung hören konnte.

Von diesem Augenblick war Clementine gleichsam die erklärte Königin des Balles, und während die übrigen anwesenden Damen sie beneideten, drängten sich die Herren und stritten um die Gunst, mit ihr, wenn auch nur eine Extratour, zu tanzen. Der erste Kammerherr des Fürsten, Baron von Rummelskirch, erinnerte sich plötzlich seiner entfernten Verwandtschaft mit der Familie des Regierungspräsidenten von Wilden und suchte dieselbe geltend zu machen, obgleich er früher nie daran gedacht hatte. Jetzt belagerte er förmlich seine schöne Cousine und überhäufte sie mit Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien aller Art. Clementine ließ sich seine Huldigungen gefallen, ohne sich etwas Schlimmes dabei zu denken. Sie war nicht mehr kokett, als die meisten Mädchen in ihrem Alter und in ihrer Stellung sind, die sich gewiß ohne Ausnahme durch die Auszeichnung des hochgestellten und einflußreichen Mannes geehrt gefunden hätten. Eine besondere Bedeutung legte sie seinen Worten nicht bei; dazu war sie viel zu weltklug und erfahren; abgesehen davon, daß sie ihrem Verlobten innig zugethan erschien. Nichtsdestoweniger fand sie an der Unterhaltung des feinen und gewandten Kammerherrn ein großes Wohlgefallen, da er wirklich Geist besaß und mit einer scharfen Beurtheilungskraft einen ihr zusagenden, leichten Spott verband. Seine Bemerkungen über verschiedene Persönlichkeiten waren meist treffend und erregten ihr beistimmendes Lächeln. Kein Mann neigte weniger zur Eifersucht als Theodor, und deswegen fand er auch nichts Auffälliges in dem Betragen seiner Braut, der er gern jedes Vergnügen gönnte; um so mehr, da sein eigenes Unwohlsein ihn verhinderte, für ihre Unterhaltung und Zerstreuung hinlänglich zu sorgen.

Clementine war sein verändertes Befinden durchaus nicht aufgefallen;

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