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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

von Schlabern eine schmeichelhafte Bemerkung, aber der Zustand seines Herzens färbte dieselbe noch mit bedeutender Wärme. Frau von Kurow wendete das Gespräch auf andere Materien, und Herr Clemens blieb in vollständiger Ungewißheit über diese Tochter Lucilie, die allerdings geeignet war, ein Stein des Anstoßes für seine Huldigungen zu werden. Wenn er sich auch von der hinreißenden Aeußerlichkeit der Dame hatte blenden lassen, so ist doch zu begreifen, daß eine zwanzigjährige Tochter ein gar zu treuer Kalender für die weiblichen Stufenjahre ist, um nicht hinter die Blendlichter einer glänzenden Toilette zu kommen.

Herr von Schlabern kam täglich um zwölf Uhr, um seine huldigende Aufwartung zu machen, dann fand er seine Angebetete in einem Costüm, das der Erfindungsgabe einer Ninon de l’Enclos Ehre gemacht hätte, und Herr von Schlabern gehörte zu den seltenen Ausnahmen seines Geschlechtes: „er wußte nichts von Toilettenkünsten.“




Zwei Tage waren verflossen. Frau von Kurow saß vor ihrem Toilettentisch, und betrachtete mit Verdruß die Falte auf ihrer hohen weißen Stirn, die mit jedem Tage tiefer wurde. Das Kammermädchen flocht ihr reiches Haar in kunstvolle Flechten. Auch diese machte die Bemerkung, daß sich die einzelnen Silberfäden des heranrückenden Alters schon merklicher zeigten, als sonst, aber sie theilte diese Entdeckung ihrer gnädigen Frau nicht mit. In diesem Momente rollte ein Wagen die Straße hinab und hielt vor der Thür.

„Schon Besuch –“ flüsterte das Kammermädchen, eilig den Kopfputz endend.

„Ich bin nicht zu sprechen!“ befahl die Dame. Ehe sie sich jedoch besinnen konnte, flog die Thür auf, und ein junges Mädchen warf sich in fieberhafter Eile an ihre Brust.

„Lucilie – Kind – wo kommst Du denn her?“ rief Frau von Kurow freudig erstaunt.

„Gott – Dein Brief hat mir einen Todesschreck verursacht, Mama,“ entgegnete Lucilie, sich aufrichtend und mit herzlicher Freundlichkeit das Gesicht der Mutter betrachtend. „Du siehst aber gottlob sehr gesund aus!“

Frau von Kurow lachte und fragte verwundert: „Was habe ich denn nur geschrieben? Ich weiß nicht ein Wort mehr davon!“

„Es klang wie ein Hülferuf, Mama,“ erwiderte die Tochter, sich schmeichelnd an ihre Mutter lehnend. „Ich hatte keine Ruhe, ich dachte, Du seiest krank.“

„Mein gutes Kind,“ flüsterte die Mutter. „Es ist ganz schön, daß Du da bist, wenn ich auch nicht Deiner Pflege bedürftig bin. Ich erwartete Dich erst in der nächsten Woche.“

In diesem Augenblicke schlug die Uhr elf. Frau von Kurow erschrak. Ihr Anzug war noch lange nicht vollendet – und um zwölf Uhr kam Herr Clemens. Sie bat ihre Tochter, auf ihr Zimmer zu gehen, und eine Erfrischung zu nehmen, und begann dann mit Hülfe des Kammermädchens ihre Toilette.

Ihr Blick hatte mit dem Ausdrucke mütterlichen Wohlgefallens die schöne schlanke Gestalt Luciliens verfolgt, als diese das Zimmer verließ. Das Kammerzöfchen, eines jener schlauen und listigen Geschöpfchen, die vortrefflich nach dem Munde zu reden wissen und die Geheimnisse aus den Blicken ablesen, sagte schmeichelnd: „Das gnädige Fräulein sieht nicht halb so blühend aus, wie gnädige Frau!“

„Aber sie hat eine weit schönere Taille,“ warf die Dame lächelnd ein.

Dagegen ließ sich, der Wahrheit gemäß, nichts einwenden und die Zofe schwieg.

Kaum war die Toilette der Frau von Kurow beendet, kaum hatte sie mit der bekannten Grazie ihren Plüschsessel eingenommen und ihre Tochter nochmals mit Ruhe begrüßt, so trat Herr Clemens von Schlabern mit der gewohnten Freiheit ein, und wurde von ihr dem Fräulein als ein neugewonnener Freund von der Mutter vorgestellt.

Ein gegenseitiges Erstaunen brach aus beider Augen, als sie sich ceremoniös gegen einander verneigten. Herr von Schlabern erstaunte über die große und schöne Tochter – Lucilie verwunderte sich über einen Hausfreund, wovon noch nicht eine Sylbe zu ihr gedrungen war.

Das Fräulein faßte sich zuerst. Gewandt und lebhaft, wie ihre Mutter, von einer Geistesfrische, wie sie nur die Sicherheit einer tiefern Bildung verleiht, und mit der Schwungkraft der Beredsamkeit begabt, die von der Phantasie gehoben wird, wurde es ihr leicht, die Bahn zu einer Unterhaltung zu brechen, die alle drei gleich lebhaft zu fesseln vermochte.

Herr Clemens hingegen webte, wie in einem Traume. Hier die Tochter – dort die Mutter! Wollte er sie vergleichen, so mußte er der Mutter vielleicht etwas regelmäßigere und feiner geschnittene Züge zusprechen. Aber Lucilie hatte das unbezahlbare Glück der Jugend voraus. Ihr Auge schwamm in dem unverstandenen Feuer innerer Erregtheit, während der Blick der Mutter selbstbewußt eine Wärme annahm, die von übrig gebliebenen Jugendelementen sprach. Die Wagschale sank mit jeder Minute mehr zu Gunsten der Tochter und er pries das Geschick, welches ihn früh genug mit Klippen bekannt gemacht, woran sein Herzensfrieden auf ewig scheitern mußte.

Was er thun sollte, um mit Ehren aus einer Freundschaft sich zu retten, die ihren Charakter bis zu der Innigkeit der Liebe erhoben hatte, das wußte er noch nicht. Wollte er das ganze Verhältniß aufgeben, so half ihm eine schleunige Entfernung, eine Abreise auf unbestimmte Zeit. Allein dagegen sträubte sich rebellisch sein Herz, das an dieser liebenswürdigen Frau hing, und nur die jugendliche Leidenschaft von ihrer Persönlichkeit abgewendet hatte, um sie heißer und verlangender auf die Tochter zu übertragen, welche das geistige, aber veredelte Abbild ihrer Mutter war.

Frau von Kurow ahnete nichts von dem Wankelmuthe seines Herzens, der, von ihrem Standpunkte aus betrachtet, ein strafbarer war. Befriedigt von dem guten Eindrucke, den die beiden jungen Menschen augenscheinlich auf einander gemacht, überließ sie sich harmlos einer Heiterkeit, die wohlthuend auf die peinliche Gemüthsstimmung des Herrn von Schlabern wirkte. Er begann von der Möglichkeit zu träumen, zwischen diesen beiden Damen ein seltsames Glück zu finden, wenn er der Gatte der jüngeren und der bewährte Freund der älteren zu werden vermöchte.

Die Stunden flogen schnell dahin unter dem geistreichen Austausch von Gedanken, denen das Gefühl Leben und Glanz gab. Clemens blieb zu Tische, und schied erst gegen Abend mit der sichern Ueberzeugung, ein glücklicher Mann werden zu können.




Die beiden Damen blieben allein. Der Abend dämmerte. Nach aufregenden Gesprächen tritt oftmals eine Erschlaffung des Geistes ein, die nur durch Schweigen gehoben werden kann. Lucilie senkte ihren Kopf in die Hand, und blickte mit ihren glänzenden Augen ruhig in die Weite, ohne eigentlich etwas zu denken. Sie fühlte sich zufrieden und glücklich, wie noch niemals in ihrem ganzen Leben, aber woher diese Empfindung stammte, das wußte sie sich nicht recht klar zu machen. Sie würde erstaunt gewesen sein, hätte Jemand diese träumerische Glückseligkeit dem Einflusse des Herrn von Schlabern zugeschrieben.

Frau von Kurow lehnte in ihrem Sessel, und dachte darüber nach, auf welche Weise sie ihre Tochter am besten von einem Verhältnisse in Kenntniß setzen könne, das nach dem heutigen Besuche sehr bald in den Bereich der Oeffentlichkeit zu treten befugt war. Sie athmete tief und beklommen, und ihre Wangen brannten in einem unnatürlichen Roth.

Es wollte sich kein Anknüpfungspunkt finden, der sie leicht zu der Offenbarung ihrer innerlichen Entschließungen führte, so viel sie auch sann und grübelte. Ihre Beklommenheit stieg und nahm den Charakter der Beängstigung an. Lucilie bemerkte es. Sie kannte die Eigenthümlichkeit ihrer Mutter zu genau, um nicht zu wissen, daß sie von irgend einem Gedanken unangenehm beschäftigt sei. Besorgt stand sie auf und näherte sich der Mutter, stützte sich leicht auf den Tisch, der neben ihr stand, und blickte liebreich in ihr stark geröthetes Gesicht.

„Willst Du nicht ein Glas Limonade trinken, Mama?“ fragte sie gütig.

Frau von Kurow bejahete. Lucilie schellte und bat um Wasser. Das Kammermädchen brachte es und ließ dabei ihre verschmitzten Blicke forschend rundum laufen. Ihr entging nicht das sorgengefaltete Gesicht der gnädigen Frau und nicht das glücklich stille Lächeln des Fräuleins. Lucilie mischte die Limonade selbst und reichte sie, noch im Beiseins des Kammermädchens, ihrer Mutter, die sie bis zum Grunde austrank.

„Du verstehst es doch meisterhaft, Limonade zu mischen –“ sprach Frau von Kurow, indem sie das Glas der Zofe überreichte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_462.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2021)