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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

dazu und sie wurde immer toller, je mehr sie gewann und den Neid sah. Der liebe Gott weiß, wie’s kam, ich redete in eins fort in mich hinein, daß so eine Frau Unglück in’s Haus brächte, aber ich hatte sie zu gern gehabt und dachte, ich müßte sterben und verderben, wenn ich sie aufgäbe. Viele von den ordentlichen Leuten gaben mir gar Schuld, ich könnte auch nur nicht von ihr lassen, weil der Geldteufel mich besäß’, aber das war nicht wahr; es war die Liebe zu ihr der Teufel, der mich nicht loslassen wollte. Um die Zeit diente die Anne schon ein halbes Jahr bei meinen Eltern; sie ist aus der Wetterau – gelt Alte?“

„Ja, Veit, und ich bin froh darüber.“

„Du hast recht, Alte,“ und dem Veit wurden die blinden Augen wieder roth. Der Martin sah seine Mutter an, wie wenn er sprechen wollte, daß es Keine gäbe mehr, so wie sie, und der Pfarrer sagte:

„Wohl dem, dem Gott ein brav Weib bescheert.“

„Ich hatte,“ sagte der Valt, „sie noch schier nicht angesehen und es war doch Keine im Dorfe, welche schöner gewesen wäre, als sie. Die Leute sagten, so eine Magd wäre noch keine ins Dorf gekommen, und meine Eltern hielten sie wie ihr Kind. Meine Mutter sagte, jedwede Frau könne Gott danken, wenn sie so eine Tochter hätte.“

Die Anne wischte sich die Augen mit der Schürze und sagte: „Dein Vater und Deine Mutter haben auch nur Elternstell’ bei mir vertreten.“

Wie sie’s gesagt hatte, ging sie sachte zur Thür’ hinaus in die Küche. Die Andern waren eine ganze Weile mäuschenstill, dann sagte der Valt: „Glauben Sie’s, Herr Pfarr? Wenn ich sie einmal hart anlaß’, manchmal wird man doch auch wild, da steht sie vor mir und spricht kein Wort; sie wartet’s ab, bis ich Alles und Jedes herausgepoltert hab’; ich krieg’ kein hart Wörtle zu hören. Wenn sie aber gelobt wird, da ist sie zur Thür’ draußen wie Pulver.“

Der Pfarrer sagte: „Ich glaub’s, Valt, denn ich weiß es.“

Der Valt erzählte weiter: „Die Anne war immer gut mit mir, so lang’ sie bei meinen Eltern diente. Sie sah mir an den Augen ab, was ich brauchte, ich hatte es aber schier nicht bemerkt. Auf einmal, das merkte ich aber, sah sie mich nimmer an. Meinen „Guten Tag!“ bekam ich wieder, aber gerade nur so viel, als ich haben mußte. Sie that grad’ was sie mußte für mich und ich dachte, was wohl der tollen Hoppel für ein Haas über den Weg gelaufen wäre. Im Dorf war, seit die Ricke so glücklich gespielt hatte, kein Haltens mehr. Die Burschen, namentlich der Wehner, und auch ein paar Mädchen, auch ältere Leute liefen hin, wo nur was gespielt wurde, und der Jud’ Fleischmann kam nimmer anders, wie mit Loosen in der Tasche, ins Dorf. Da wurde der Pfarr Feldmann hierher versetzt. Gleich an einem der ersten Sonntage sprach er über den Geldteufel und sagte so ein paar Wörtle auf der Kanzel, daß die Heubacher anfingen, die Köpf’ zusammenzustecken. Den Ordentlichen war’s recht, die Liederlichen schimpften oder lachten und es ging zum Spiel nach wie vor. Damals lag mancher Acker unbestellt in Heubach.

„Der Feldmann hatte Haar’ auf den Zähnen; er ging zu den Leuten und vermahnte, aber nur sachte; es half auch nichts. Da kam eine Predigt von der Kanzel herunter, die hätte Keiner zur Ruthe hinter den Spiegel gesteckt, die will ich mein Lebtag nicht vergessen. Es kam Fäuste dick und „wenn der Rath und das Vermahnen nichts hälfe, so würden andere Maßregeln ergriffen werden.“ So ging’s fort. Ich saß in der Kirche und mochte die Augen nicht aufschlagen, denn wenn ich auch noch keine Karte und kein Loos angesehen hatte, „meine Ricke“ die spielte fort und fort. Die ordentlichen Leute dankten’s dem Pfarr, aber die Schlimmen, was die thaten, habt Ihr wohl gehört, Herr Pfarr?“

„Ja, ja, Valt, ich hab’s damals gehört, aber es ist lang’ her und von Euch hör’ ich’s gern noch einmal; seh mir die Geschichte gern noch einmal im Ganzen an; ist eine Geschichte recht zur Mahnung.“

„Nun ja, Herr Pfarr, aber es wird mir heut’ noch sauer. – Die ganze Woche hindurch rannten alle die Spieler mehr über Land wie zuvor. „Meine Ricke“ und der Wehner, ihr Vetter, hatten immer was zusammen zu zispern und ein anderer Bursche, der schon einmal im Zuchthaus gesessen, hatte Zusammenkunft mit noch ein paar Strolchen, die in Heubach dienten. Es schwätzte sich so unter der Hand weiter, sie wollten dem Pfarr in der nächsten Kirche was anhängen. Die Einen glaubten’s, die Andern nicht. Da kam der Sonntag und mochte man’s geglaubt haben oder nicht, die Kirche war so voll, wie sich’s kein Mensch erinnern konnte. Der Pfarr hatte auch von dem Gerede gehört, das erfuhr man zu seiner Zeit. Die Lieder waren gesungen, daß Gebet und die Epistel verlesen, der Pfarr bestieg die Kanzel. Er hatte aber erst ein paar Worte gesprochen, so fing auf dem Chor eine Unruh’ an; man hörte leises Reden und Hin- und Herdrängen. Endlich, der Pfarr hielt im Reden inne, hörte man von oben herunter Lachen und – daß Karten gemischt, aufgeschlagen, – daß gespielt wurde. Man hörte: „Schellen-Ober, Gras-Unter, Herz-Daus“ – kurz es wurde droben, es wurde in der Kirche Karte gespielt. Es war eine Stille, man hätte eine Fliege können singen hören, und nichts Anderes hörte man durch die ganze weite Kirche, als von da oben den verruchten Spott. Das muß ich sagen, so was hatten doch nur Wenige für möglich gehalten, und daß die Meisten zum Tod erschrocken und bleich waren. Der Pfarr sah aus, wie wenn er schon im Sarg gelegen hätte. Eine Weile faltete er seine Hände und sah in die Höhe, wie wenn er den lieben Gott selber um Rath fragen wollte in seiner Noth. Aber auf einmal richtete er sich hoch auf und sagte weiter nichts, aber es schallte durch die Kirche wie eine Posaune: „Feldjäger, führt die verruchten Kirchenschänder hinaus.“ Und wie wenn sie aus der Erde gewachsen wären, traten aus der Sacristei und zu den Kirchenthüren Soldaten herein. Der Chor wurde gleich besetzt, die frechen Spieler am Kragen genommen und fortgeführt. Der Pfarr verließ die Kirche und wir gingen ihm Alle nach. Die Ricke war nicht in der Kirche gewesen, aber sie hatte um die Sache gewußt und wie sie auf einmal aus ihrem Fenster sah, daß Soldaten nach der Kirche zu gingen, rannte sie über den Gottesacker, weil das näher war, in die Kirche, um die Spieler zu warnen; aber es war schon ein Feldjäger hinter der Chorthüre versteckt und der erwischte sie. Sie wurde auch mit eingesteckt, zwar wieder frei gelassen, weil kein Beweis gegen sie aufgebracht werden konnte, aber es wußten’s Alle und ich mußte es endlich auch glauben, daß sie um den Scandal gewußt hatte.

„In Heubach war’s immer gebräuchlich gewesen, daß um sechs Uhr Abends geläutet wurde; es hieß „das Gebetläuten“, aber kein einziger Heubacher dachte an Beten dabei, und die Ricke hatte einmal zu mir gesagt, unsere Magd wäre eine rechte Kopfhängern und dächte, sie könnte nicht selig werden, wenn sie nicht Abends betete. Ich hatte noch nie was davon gemerkt und auch nicht wieder daran gedacht. Wie ich aber am Abend von dem bösen Sonntag heim kam, es war seit lang zum ersten Mal, denn um sechs Uhr war ich sonst immer bei der Ricke, fing das Läuten gerade an und ich hörte vor der Stubenthüre, die nur angelehnt war, die Stimme von der Anne, die drinnen betete. Den Spruch hat sie mir nun seit sechsunddreißig Jahren jeden Abend gebet’t, damals hörte ich ihn aber zum ersten Mal. In ihrem Dorf in der Wetterau wurde er in jedem Haus jeden Abend gebet’t.

„Es war ein Astloch in unserer Thür, – gucken Sie, Herr Pfarr, es ist noch drin; wenn’s kalt wird, stopf’ ich’s mit Werg zu, zugemacht darf’s aber nicht werden, und ich konnte es nicht lassen, ich mußte hinein sehn. Die Hände hatte ich gefaltet, ich wußte nicht wie’s zugegangen war. Die Anne stand drin vor meinen Eltern; die waren von der Bank aufgestanden; mein Vater hatte seine Pelzkappe und meine Mutter ein Stück Brod in der Hand, das sie gerade hatte essen wollen, drüber falteten sie ihre Hände. Die Anne hatte nichts in den Händen, aber sie drückte sie so fest zusammen und sah drauf nieder, daß man hätte denken sollen, sie habe einen Schatz drin zu hüten. Sie können mir’s glauben, Herr Pfarr, sie hatte auch einen drin; denn sie hatte ihr eigenes Herz hinein gelegt und brachte es unserem Herrn Gott zum Opfer dar. Derweil sie so stand, sprach sie:

„Bleib bei uns, Herr Jesu Christ,
„Weil es nun Abend worden ist.
„Dein göttlich Wort, das helle Licht,
„Laß ja bei uns verlöschen nicht.
„Verleih uns, Herr, Beständigkeit
„In guter und in böser Zeit!“

(Schluß folgt.) 



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