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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

am Brunnen, wie an den lauter und freier klingenden Stimmen der Kinder, die mehr Freiheit haben, während die Erwachsenen arbeiten, oder sei es an der früheren Heimkehr der Geschirre, und tausend andern Dingen.

In Heubach hätte man den Sonnabend im Sommer auch daran erkennen können, daß der alte blinde Veit Valt von vier Uhr an allein auf der Bank vor seiner Thüre saß. An den andern Tagen mochte er stehen oder gehen, wo er wollte, so war „seine Alte“ bei ihm. Aber am Sonnabend mußte sie die Aermel auch aufstriffeln und, wie der Veit Valt sagte, „dem Sonnabends Haye-Ho den Garaus machen helfen.“

Es war im Juni und ein heißer Tag gewesen, es hatte halb sechs geschlagen, und der Sonnabends Haye-Ho war am allertollsten, denn um sechs Uhr wollte ein Jedes fertig sein, und da galt es Eile. Es war aber auch in dem Augenblick ein Spectakel, daß man kaum sein eigenes Wort verstand. Von der einen Seite trieb der Hirt die Heerde heim, von der andern kamen die Gänse und Schweine gerade auch zusammen zum Dorf herein. Die Leute, die ihr Vieh erwarteten, die Thiere, die alle durcheinander liefen und nicht weniger schrien, als die Menschen, die Mädchen am Brunnen, denen ein Schwein in die Queere lief und die mit der vollen Butte nicht hurtig genug dem Vieh ausweichen konnten, Alles schrie und lärmte durcheinander.

Der alte Veit Valt war aber stockblind, und je größer der Lärm um ihn her wurde, je stiller saß er auf seiner Bank. Er nahm wohl seinen Stock, der neben ihm lag, und stützte sich, vorn über gebeugt, darauf, aber er saß still da und sah aus, als spräche er in sich hinein: „Lärmt Ihr nur zu, was kümmert’s mich.“ Es kümmerte ihn auch nicht.

Der Veit Valt war nun vierundsechzig Jahre alt und seit seinem sechsundzwanzigsten Geburtstage ein stockblinder Mann. Gerade an demselben Tage hatte er sich vor sechsunddreißig Jahren mit seiner Alten, damals war sie aber eine Junge, und noch dazu eine recht Schöne, verlobt. Weil ihn unser Herrgott aber mit dem schweren Schicksal heimgesucht hatte, daß er von aller Pracht, mit der er seine Erde geschmückt, nichts mehr sehen sollte, so kehrte der Veit seine Augen nach innen hinein. Da prüfte und wägte er seine Gedanken, zog seine Erinnerungen mit hinzu und sein Ohr nahm jedes Wort von außen, das nicht ein unnützes war, auch mit hinein. Da stellte er sich dann in seinen Gedanken Bilder zusammen, die oft so hell aus dem Leben kamen, als hätte er sie mit den schärfsten Augen selbst gesehen. Er hörte um so feiner; darum hatte er auch bald weg, was der Lärm um ihn her bedeutete, und darum dachte er bei sich: „Lärmt nur zu.“ Er wußte, nach Regen kommt Sonnenschein, nach dem Sonnabend kommt der Sonntag, und der Höllenlärm um ihn her mußte doch auch ein Ende nehmen.

Um sechs Uhr war er richtig vorbei; die Glocken läuteten das Abendgebet. Es waren nicht mehr viele Leute auf der Gasse und die da wären, standen still und falteten die Hände. Die im Haus, fast ohne Ausnahme, thaten’s alle. Der Veit war aufgestanden; er hatte seine Kappe zwischen die Hände genommen; neben ihm stand seine Alte. Sie hatte die Hände auch zusammengelegt und sprach leis’ einen Spruch. Das dauerte nicht länger als fünf Minuten, hernach wurde es wieder lebendig von Stimmen, es zog wieder Leben ein, aber Lärm nicht mehr. Die Arbeit war gethan, der Sonntag hätte kommen dürfen, seine Ruhe war schon vor ihm eingekehrt.

Der Valt setzte sich mit seinem Weibe noch einmal nieder; sie wollten auch noch zusammen schwätzen und den Martin, ihren Sohn, erwarten. Sie hatten weiter kein Kind, denn ihren Aeltesten, den Hannes, hatten Sie vor vier Jahren an einer Hirnentzündung[WS 1] hergeben müssen. Die Leute sagten, der Doctor, der ihn behandelte, hätte gemeint, es wäre ein Glück, daß er gestorben sei, denn er wäre sonst auch wie sein Vater blind geworden. Das wußten aber die Eltern nicht. Der Martin war nun ihr Ein und Alles. Er glich dem Vater, wie aus dem Gesicht geschnitten, hatte auch ganz seine Statur, groß und breitschulterig; sie hatten auch Beide so eine vorstehende Stirne und schwarze Haare und Augen; der Martin war der schönste und bravste Bursche in Heubach, gerade wie sein Vater es auch gewesen war; seine Mutter sagte oft, es gemahnte sie immer, wenn sie ihren Sohn sähe, es müßte der Vater sein.

Die Alten saßen länger wie sonst vor der Thüre und sie wunderten sich, daß der Martin so lang ausblieb. Er war nach einem anderen Dorfe gegangen, und wollte sich eine Kuh besehen. Endlich kam er an; er war stark gegangen und hatte heiß. Alle Drei gingen nun in’s Haus, setzten sich zusammen an den Tisch, und der Martin fing gerade an zu erzählen, als der Herr Pfarrer hereintrat.

Wenn es auch am Sonnabend nicht gebräuchlich ist, daß ein Pfarrer Abends ausgeht, weil er da wohl immer noch an seiner Predigt studirt, der Heubacher Pfarrer kam doch. Er war gar ein rascher Mann und meinte, das wäre nicht gut, wenn er seine Predigt erst am Sonnabend machen wollte. Er kam, wenn nichts Besonderes vorfiel, fast alle Abend zu Valt’s; er war nicht mehr jung, hoch in den Fünfzigen und nicht verehelicht. Noch als Candidat starb ihm seine Braut, und er blieb darum allein. Den alten blinden Valt hatte er gern; er brachte ihm Bücher, die die Frau und der Martin ihm vorlasen, und theilte ihm mit, was er selbst erfuhr oder auch las. Dafür erzählte der Alte ihm auch viel und mancherlei. Es war eigentlich sein Hauptumgang, wenngleich die ganze Gemeinde und jeder Einzelne gut mit ihm stand und ihn hoch hielt.

Die drei Männer setzten sich auf die Bank um den Tisch her. Die Mutter, sie hieß Anne, holte Messer, das Brod und das Salzfaß aus dem Tischkasten, dann stellte sie Käs und eine Lippe mit Bier hin. Dem „Vater“ stellte sie Alles handgerecht, weil er nicht sah. Dann setzte sie sich auch dazu. Der Herr Pfarrer nahm nichts an, das wußte sie schon, es wurde ihm also auch nichts angeboten. Seine Cigarre rauchte er bei sich wegen der Augen vom Valt, aber er erzählte mancherlei, derweil die Andern tüchtig zulangten. Nach einer Weile sagte er zum Martin und blinzelte ihm zu, er solle reden:

„Nun, Martin, habt Ihr heute nichts Neues in Waldek gehört?“

„O ja, Herr Pfarr, ich hab’ Mancherlei gehört; zuerst, daß der Wehner verunglückt ist.“

Der alte Valt fuhr in die Höhe und richtete seine beiden blinden Augen wie erschreckt auf den Sohn.

„Verunglückt! Wie ist’s zugegangen?“

„Er hat sich mit seinem Weibe überworfen, die Leute sagen, sie hätten sich geprügelt, es wäre fast alle Tage nicht anders gewesen, und da hab’ er sich endlich am Steinbruch an einen Baum aufgehängt.“

Es sprach eine ganze Weile keins ein Wort; der Alte, das sah man, war tief erschüttert; es legte sich ihm selbst ein rother Ring um die Augen her, die feucht waren. Nach ein paar Minuten reichte er die rechte Hand der Anne hin, die neben ihm saß, und sagte:

„Davor hat mich unser Herr Gott bewahrt.“

Der Pfarrer sagte:

„Gegen so ein Unglück ist’s noch leichter zu tragen, wenn man blind ist, freilich muß man so ein paar Augen bei der Hand haben[WS 2], wie der Anne ihre.“

Es wurde noch viel hin und her gesprochen, der Alte war wieder, wie er’s nannte, „fidel und vergnügt“ und der Pfarrer sprach zu ihm: „Ich habe Euch schon lang einmal bitten wollen, Ihr solltet mir erzählen, wodurch die Wehnerin denn so weit gekommen, wie sie jetzt ist, und wie Ihr eigentlich mit ihr gestanden habt, ich wußte aber immer nicht, ob Ihr es gern thätet.“

Der Alte sagte: „Ich habe immer nicht gern davon gesprochen, aber heute, wo es wieder einmal so recht hell geworden ist, an was für einem Abgrund ich gestanden bin, da ist mirs recht; da will ich Euch den Hergang erzählen. Meine Alte kennt ihn schon, aber sie darf’s mit anhören und thut’s auch gern, denn sie ist schuld dran, daß ich bei Zeiten umgewend’t bin.

„Die Wehnerin ist von hier bürtig und ihr Vater war wohlhabend, nicht reich, die Ricke war aber sein einzig Kind, und sie hätten es zu was Rechtem bringen können, denn die Frau war brav und fleißig. Dem Wehner lag’s aber ordentlich im Blut, er konnte nicht vom Kartenspiel lassen, und wenn in der Stadt eine Lotterie gezogen wurde, war’s auch, wie wenn es hinter ihm brennte, er mußte dazu. Jedermann warnte ihn, denn es verlautete, er spielte auch mit, wenn zum Vogelschießen in der Stadt Bank gehalten wurde. Er hat auch richtig ein paar Mal ordentlich gewonnen, das war sein Unglück. Wenn aber einer immerfort spielt, so müßte es gar nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn es nicht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hirnententzündung
  2. Vorlage: hahen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_434.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)