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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Der drückende Mangel, dem Béranger ausgesetzt war, fing ihm jedoch an, unerträglich zu werden, denn, sagte er,

Die Freiheit, die entzückt mich.
Doch hab’ ich Appetit.

So packte er denn 1803 einen Haufen seiner besten Verse zusammen, und überschickte sie an Lucian Bonaparte, den republikanischen Bruder Napoleon’s. Lucian nahm sich Béranger’s wie eines jungen mitstrebenden Freundes an, und überließ ihm seine Pension als Mitglied des Instituts, die Béranger bis 1812 bezog.

Inzwischen hatte sich auch für ihn eine, wenn auch sehr bescheidene Stelle als Secretair im Unterrichtswesen gefunden, und während Frankreich anfing, Bérangersche Lieder zu singen, besann sich der Dichter noch, ob er wohl einige davon könne drucken lassen. 1812 sang ganz Paris „le sénateur,“ 1813, als Napoleon über die Satire auf ihn, „der König von Yvetot“, herzlich lachen mußte, kannte die ganze französische Nation bereits die Chansons Béranger’s, aber gedruckt war keins. Darin gleicht Béranger dem schottischen Robert Burns.

Béranger.

Die erste Sammlung von Chansons erschien 1815. Der Expedient Béranger bekam einen Verweis, daß er, als ein Mann beim Unterrichtswesen, Gedichte von Liebesabenteuern mache, wie la gaudriole, la bacchante, ces démoiselles u. s. w. Béranger merkte sich dies und kam, als er 1821 seine zweite Sammlung Chansons herausgab, mit demselben Tage nicht wieder in sein Bureau, wo seine Lieder erschienen waren. Die Regierung der Restauration, welche für die Glückseligkeit Frankreichs Procuratoren in Masse angestellt hatte, ließ den Dichter für seine beißenden Lieder auf das „von Kosaken zurückgeführte Königthum“ drei Monate ins Gefängniß werfen. Béranger lachte darüber, denn hinter den Gittern seines Kerkers hörte er die Chansons, um derentwillen er verurtheilt war, und welche das Volk so recht aus Herzensgrund und aus Haß gegen die Bourbonen sang.

Das Volk, welches Béranger’s Muse war und blieb, ward auch sein Studium. Was dieses fühlte, sprachen seine Chansons aus, und wenn er sprach, so wußte man, daß die französische Nation etwas zu sagen habe. Er haßte, wie ganz Frankreich, die Bourbons, die bald erkannten, welche grimmige Waffe die Chansons des geliebten Volksdichters gegen ihren Thron bildeten, und die vergebens die keusche Tugend und feste Gesinnung Béranger’s zu bestechen suchten. Kleinlich, wie die Regierung Karl’s X. war, rächte sie sich an der Ehrenhaftigkeit eines Dichters damit, daß sie ihn von Neuem 1828 neun Monate in den Kerker warf, und zu 10,000 Francs Geldbuße verurtheilte. Die französische Nation, welche in Béranger beleidigt war, bezahlte den Häschern der Restauration diese 10,000 Francs; denn für den Dichter der Chansons, die in aller Munde lebten, gab es weiter keinen Feind, als die Engherzigkeit; alle Parteien liebten den liebenswürdigen und doch so gefährlichen Dichter, der jedem Neid und Haß die Waffen nahm, als er sang:

Mon Dieu, vous m’avez bien doté,
Je n’ai ni force ni sagesse:
Mais je possède une gaité
Qui n’offense pas la tristesse.

Jede Idee, welche Frankreich begeisterte oder erregte, setzte Béranger in Musik. Die Idee des neuen Frankreichs war aber immer die Revolution, der Ruhm und der Sturz des verhaßten Liliengeschlechts. So sang auch Béranger von der Freiheit, deren Kind er war, von dem Ruhm, den die Nation unter dem Kaiserreiche errungen, von dem Haß gegen die Bourbons, die seine Lieder mehr denn alle Polemiken gestürzt haben.

Andererseits war Béranger ein ebenso echtes Kind des Volkes,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_431.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)