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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Nicht wahr, Sie erkennen ihn? Das ist er! Das ist der Räuber?“

Der Herr Siehuber hatte sich gesammelt.

„Herr, Sie sind ein Narr!“ sagte er zu dem Referendarius.

Der Referendarius wurde wüthend.

„Eine Beleidigung im Amte! Eine Beschimpfung im königlichen Dienste! Ich arretire Sie.“

Der alte Herr kümmerte sich nicht um ihn. Er schritt auf den jungen Mann zu, der ihn beraubt haben sollte.

„Um des Himmelswillen, in welcher unglücklichen Lage –“

In diesem Augenblicke wurde wieder an der Klingel der Vorsaalthür gezogen.

„Einen Augenblick Geduld,“ unterbrach der Polizeidirector den Herr Siehuber, „da kommen meine Leute. Ich hatte auch den Herrn Referendarius mit den seinigen erwartet, nur nicht so früh.“

„Sie wußten, Herr Director –?“

„Alles. Gensd’arm Schmidt!“ rief der Polizeidirector in den Gang hinein, sind Sie da?“

„Zu Befehl, Herr Director.“

Der lange Gensd’arm Schmidt führte wohlgefesselt zwei Menschen in das Zimmer. Der Eine war ein großer, hübscher, etwas blasser junger Mensch, mit einem kleinen schwarzen Schnurrbarte; der Zweite war der Herr Henne.

„Kennen Sie diese, Herr Ehrenreich Siehuber?“ fragte der Polizeidirector.

„Alle Wetter, wie werde ich nicht? Dieser hier ist mein sauberer Herr Agent, der klügere Theil eines Polizeibeamten. Und dieser hier – Ha, Bursch, Du bist ein eben so verwegener wie gewandter, großer und langer Spitzbube. Aber Meister wurde ich alter Kerl Deiner doch, und wäre der Andere nicht gewesen –“

„Bedanken Sie sich bei Herrn Henne.“

„I, Du verdammter Schuft von einem Polizeivigilanten.“

„Herr Referendarius,“ sagte der Polizeidirector zu seinem verblüfften Untergebenen, „Sie sind wohl so gütig, die Gensd’armen mit meinen beiden Spitzbuben zur Stadtvogtei zu begleiten; ich habe unterdeß mit Ihren Arrestanten noch einige Worte zu sprechen.“

Der Referendarius ergriff schnell die Gelegenheit, sich zu entfernen, gefolgt von den Gensd’armen mit den beiden Räubern.

Der Polizeidirector wandte sich an den Herrn Siehuber.

„Ich hatte versprochen, Ihnen noch heute Abend zu dem Ziele Ihrer Mission zu verhelfen.“

„Wie wußten Sie nur – ?“

„Es würde zu weitläufig und zu langweilig sein, wenn ich Ihnen das auseinandersetzen wollte. – Ich bitte Sie um die Vergünstigung, einen Gegenstand mit dem jungen Herrn da verhandeln zu dürfen, der für ihn vielleicht eine Kleinigkeit, mir aber von großer Wichtigkeit ist.“

Der alte Herr verbeugte sich stumm.

„Herr Graf Zilly,“ fuhr der Polizeidirector zu dem jungen Manne gewedet fort, „ich habe Sie von Anfang an nicht verkannt, obgleich Sie alles Mögliche thaten, daß man Sie für einen vagirenden Industrieritter halten mußte, ich hielt Sie nur ein wenig für einen Narren; darum duldete ich auch Ihre Promenade mit diesem jungen Mädchen, deren Vater ich achtete, und deren Mutter eine sehr brave Frau ist. Sie selbst ist unverdorben, und die Promenaden mit Ihnen konnten in den Straßen Berlins bei hellem Tage nicht gefährlich werden. Sie sollte im Gegentheile, so dachte ich, recht bald einsehen, daß sie es eben mit einem Thoren zu thun habe, der vergeblich den Versuch mache, sie zu verführen; aber ich habe mich getäuscht. Sie sind heute einen gefährlichen, einen schlechten Schritt mit dem arglosen Kinde weiter gegangen, und ich hoffe, vergebens. Der alte Herr hier, der Bevollmächtigte Ihres Vormundes, wird Sie vielleicht noch einige Zeit hier lassen wollen. Aber, Herr Graf, sehe ich Sie noch einmal mit dem Mädchen, so bekommen Sie es mit mir zu thun. Haben Sie gehört?“

Er wollte gehen, aber der junge Graf Zilly hielt ihn zurück.

„Halt, mein Herr, nun noch ein paar Worte meinerseits mit Ihnen. Aber vorher erlauben Sie, daß ich noch Jemanden herbeihole.“

Er verließ das Zimmer und kam nach einer Minute mit der Frau Rohrdorf zurück.

„Alter, ehrlicher Siehuber, ich habe nie schlechte Streiche gemacht?“

„Nur wilde.“

„Und dumme,“ setzte der Polizeidirector hinzu.

„Ich bin kein armer Teufel?“

„Gott weiß, wie reich Ew. Gnaden sind.“

„Ich kann, nach dem Testamente meines Vaters, wie nach dem Ausspruche meines Onkels und Vormundes, frei mir eine Frau wählen?“

So sagt das Testament, und der Herr Onkel würde schon lange sich gefreut haben, wenn Sie ihm eine brave junge Gräfin zuführten.“

„Auch eine Bürgerliche?“

„Wenn sie nur brav wäre.“

„Wohlan, ich habe das bravste und liebenswürdigste Wesen gefunden. Ich habe ihre Liebe und die Reinheit und den Adel ihres Herzens geprüft. Sie hat die Probe bestanden, wie selten eine sie besteht. – Emma!“

Er hob das weinende Mädchen auf, befreite das schöne Gesicht von den Händen, die es noch immer, die es von Neuem bedeckt hielten, und führte sie zu der Mutter.

„Ihren Segen, theure Frau!“

Mutter und Tochter umschlangen sich weinend. Der Graf umfaßte Beide.

„Hier ist die Polizei überflüssig,“ sagte der Polizeidirector.

Der Herr Ehrenreich Siehuber war noch zu überrascht, als daß er etwas Anderes sagen konnte, als:

„Das ist ja nichts als Verwirrung in dieser verdammten Stadt der Aufklärung!“


Graf Zilly, keine erdichtete Person, ist dann ruhig noch einige Wochen in Berlin geblieben, und hat später sein braves Mädchen nach seinen heimathlichen Bergen geführt. Der Herr Referendarius hat keine große Carriere gemacht.




Besuch bei den Invaliden in Paris.
Mit Abbildung.

Mit dem Donner seiner sämmtlichen Geschütze begrüßte uns das Hotel der Invaliden. Wir waren jedoch nicht eitel genug, diese Ehre, welche nur der Wiedereröffnung der Kammern galt, auf uns zu beziehen. Diese ehernen Sprachwerkzeuge lassen schon seit Jahren ihre lauten Stimmen bei jeder festlichen Gelegenheit ertönen, bald irgend ein politisches Schauspiel, bald die Geburt einer Republik, oder auch des kaiserlichen Prinzen den erstaunten Bewohnern verkündend. Die alten Kanonen sind, wie die meisten Franzosen der Gegenwart, fast verwirrt von all dem Wechsel geworden, dessen Zeugen sie waren. Sie schwatzen und rufen, was man will; heute vive la Republique und morgen vive l’Empereur. Doch was geht uns die Treue und das politische Glaubensbekenntniß der Kanonen an? Wir haben es nur mit dem Hotel der Invaliden zu thun, und dieses ist schön, prachtvoll, eines der großartigsten Gebäude von Paris und vielleicht der Welt.

Es ist gewiß nur natürlich, daß ein Volk, welches so viel auf kriegerischen Ruhm gibt, und bei dem la gloire das dritte Wort ist, sich besonders für das Schicksal seiner alten und mit Wunden bedeckten Soldaten interessirt. Schon Heinrich IV., dieser gute König, hatte daran gedacht, und den Plan zu einem derartigen Bau gefaßt, der erst unter Ludwig XIV., welcher Ströme von Menschenblut für seine ehrgeizigen Pläne vergoß, in seiner gegenwärtigen Gestalt zur Durchführung kam. Ihm verdanken die Invaliden diesen fürstlichen Palast, sowie dem ersten Napoleon die reiche Dotirung, die glänzende innere Einrichtung, endlich die heutige Apotheose und den Glanz, welche sein „kaiserliches Grab“ verbreitet.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_428.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)