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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Es ist so. Aber woher wissen Sie das Alles?“

„Einzelnes habe ich erfahren; das andere habe ich combinirt. Darf ich fragen, in welchem Verhältnisse Sie zu dem jungen Manne stehen?“

„Wissen Sie das nicht auch?“

„Nein.“

„Sie können es auch nicht combiniren?“

„Ich könnte es vielleicht.“

„So thun Sie es.“

„Ich denke mir, der junge Mensch hat keinen Vater mehr.“

Der Herr Ehrenreich Siehuber nickte zum Zeichen der Bestätigung mit dem Kopfe.

„Er ist aber noch minderjährig und steht unter Vormundschaft.“

„Er wird bald großjährig.“

„Das sieht man ihm schon an. Seinen Streichen freilich nicht. Sein Vormund hat seine Streiche erfahren.“

Herr Siehuber nickte wieder.

„Und will sie nicht länger dulden.“

„Natürlich.“

„Er ist aber vielleicht ein alter steifer Herr, der nicht mehr hinter dem lustigen Burschen in der Welt herumlaufen kann.“

„So ist es.“

„Der Sie deshalb schickt, seinen oder des jungen Mannes Verwalter, Rentmeister oder so etwas, der sein volles Vertrauen hat.“

„Herr,“ konnte der Herr Siehuber nicht mehr an sich halten. „Ich hatte viel von Ihnen gehört; zu viel, deshalb wandte ich mich nicht an Sie. Und doch nun zu wenig. Sie sind der Satan. Woher wissen Sie das Alles? Das weiß kein Mensch hier.“

„Lassen Sie uns ruhig bleiben, mein Lieber. Sie haben das volle Vertrauen Ihres Herrn. Sie mögen auch ein vortrefflicher, fleißiger, gewissenhafter Rentmeister sein, der, wie ich da sehe, seine Rechnungen sogar mit hierher gebracht hat. Aber zu seiner Mission hat Ihr Herr den Unrechten ausgesucht.“

„Wie so, mein Herr?“

„Sie haben wenigstens sich Überall hier an die unrechten Leute gewandt.“

„Zum Beispiel?“

„Ihre Gesandtschaft haben Sie übergangen.“

„Ich hatte meine Gründe dazu.“

„Freilich, Sie wollten den Eclat vermeiden.“

„Das war es.“

„Aber anstatt sich nun direct an die Polizeibehörde, oder mindestens an einen höhern Beamten zu wenden –“

„Ah, mein Herr, im Auslande wissen wir nur zu gut, welche unermüdliche, nach Jahren erst zum Ziele gelangende Schreibmaschinen Ihre Behörden und höhern Beamten sind.“

„Suchten Sie einen Unterbeamten, einen Polizeisergeanten auf.“

„Ich traf einen in meinem Gasthofe.“

„Einer obscuren Kneipe.“

„Ich mußte hier unbekannt bleiben, wenn ich meinen Zweck erreichen wollte.“

„Dieser Polizeisergeant nun machte Sie weiter bekannt mit –. Doch davon nachher. Er ist finanziell schlecht gestellt, wie alle Unterbeamte. Das trägt dann Früchte, nämlich indirect; direct trägt sie irgend ein Nebengeschäft; freilich ein unerlaubtes, denn zu einem erlaubten bekommt er keine Erlaubniß. Bei ihm macht es seine Frau. Die Frau eines Polizeisergeanten ist eine ehrbare Frau; sie kann ohne Verdacht im Leihhause versetzen.“

„Sie hat meine Uhr versetzt?“

„Sie haben es getroffen. Ich hatte bisher nur Vermuthungen gegen die Frau; heute habe ich Gewißheit erhalten. Ich bin Ihnen dankbar dafür. Zum Dank werde ich Ihnen auch noch heute Abend die Räuber vorstellen, von denen Sie in der vorigen Nacht überfallen wurden; Einen von Ihnen sicher, hoffentlich Beide.“

„Ah, gehorsamer Diener.“

„Ich werde Ihnen noch mehr meinen Dank beweisen. Auch in Ihrer Mission werde ich Ihnen behülflich sein.“

„Sie wollten wirklich?“

„Wenn Sie es wünschen –“

„Gewiß, gewiß.“

„Auch das schon heute Abend noch.“

„Sie werden den alten Herrn Grafen und mich zu großem Danke verpflichten.“ Es wurde heftig an der Hausthür geschellt.

„Ha, die sind sehr eilig,“ sagte der Polizeidirector.

„Sie wissen, wer da kommt?“

„Lassen Sie uns warten.“

Die Frau Rohrdorf hatte schnell die Thür geöffnet. Mehrere Menschen waren eingetreten. Es mußten Bewaffnete darunter sein; man hörte Säbelklirren; es waren aber auch Frauen darunter, man hörte weibliche Stimmen, andere, als die der Frau Rohrdorf.

Gleich darauf hörte man aber auch die Stimme der Frau Rohrdorf. Es war ein lauter, fürchterlicher Schrei, der tief aus der Brust der Frau kam, mit dem ihr Herz zerrissen zu sein schien.

„Mein Kind! Meine Tochter!“

Ein wildes Weinen und Schluchzen folgte, und es war nicht allein das herzzerreißende Weinen und Schluchzen der armen Mutter.

„Sollten es die Andern sein?“ sagte der Polizeidirector.

Er öffnete die Thür, und rief in den Gang hinein, der von der Lampe der Hauswirthin nicht hell genug erleuchtet war, daß man mehr als eine Gruppe von Menschen hätte unterscheiden können.

„Gensd’arm Schmidt, sind Sie da?“ rief der Polizeidirector.

Eine bekannte Stimme antwortete ihm, aber es war nicht die Stimme des Gensd’armen Schmidt.

„Ah, Sie hier, Herr Polizeidirector? Vortrefflich, daß ich Sie treffe.“

„Sie kommen zu früh, Herr Referendarius.“

„Zu früh? Ich bringe die Räuber! Ich bringe noch mehr, eine ganze saubere Gesellschaft. Sie werden erstaunen.“

„Ich möchte es bezweifeln.“

Der Referendarius sprach einige leise Worte zu den Personen, die bei ihm waren, wohl zu den Gensd’armen. Dann trat er voll Würde in das Zimmer. Er kam allein.

„Herr Director, ich habe die ganze Bande eingefangen, die zu dem gegen diesen Herrn verübten Raube gehört. Ich habe zugleich eine alte Bekanntschaft erneuert. Ich hatte gleich anfangs Recht gehabt. Ich kenne meine Leute.“

„Darf ich bitten, zur Sache zu kommen, mein Herr Referendarius ?“

„Ich hatte Nachricht, ich hatte die Spur von den Räubern –“

„Durch Ihren Herrn Henne? A propos, warum lief der Mensch so eilig von dannen, als er heute Nachmittag mich mit Ihnen auf dem Molkenmarkte ankommen sah?“

„Er durfte die Spur der Verbrecher nicht verlieren.“

„Ah so!“ fahren Sie fort.

„Er fand sie, zwar mühsam, aber gewandt, durch Nachfragen bei den Kutschern, bei denen die Schufte gewesen waren, um einen Wagen zu bestellen. Ha, in jenem Wagen an der Waisenbrücke waren sie wirklich gewesen; auch darin hatte ich Recht. Doch weiter. Wir verfolgten ihre Spur nach Französisch-Buchholz, und fanden sie dort in einer wilden Orgie. Die diesem Herrn geraubte Uhr war schon umgesetzt, sogar in Champagner.“

„Hm, in der Stadt der Aufklärung!“ murmelte der Herr Ehrenreich Siehuber.

„Wir fanden erstens – Gensd’arm Hahn!“ rief er zur Thüre hinaus. Der Gensd’arm ließ den kleinen, gedrungenen Theodor Erhard eintreten. „Erstens diesen da, den Burschen aus der Jüdenstraße, Sie wissen schon, Herr Director. Erkennen auch Sie ihn wieder, Herr Ehrenreich?“

„Ich habe den Menschen nie gesehen.“

„Ich glaube es, er war von hinten über Sie hergefallen. – Aber weiter, – Zweitens – Gensd’arm Hahn!“ Gensd’arm Hahn ließ Emma Rohrdorf eintreten. „Kennen Sie diese da, Herr Ehrenreich?“

„Die Tochter der Wirthin.“

„Richtig; die Person, welche die Räuber eingelassen hat.“

Emma Rohrdorf hatte das Gesicht mit beiden Händen verhüllt; sie war unfähig ein Wort zu sprechen, und fiel auf einem[WS 1] Stuhle nieder. Der Referendarius fuhr triumphirend fort: „Auch den, welchen ich Ihnen jetzt vorstelle, werden Sie wieder erkennen, Herr Ehrenreich. – Gensd’arm Hahn!“

Der Gensd’arm Hahn führte den jungen Mann mit dem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen herein; hieß er Rudolf Langenau oder Graf Zilly, oder wie sonst? – Es mußte sich in dem nächsten Augenblicke entscheiden.

„Nun, mein Herr Ehrenreich,“ rief der Referendarius, „erkennen Sie ihn!“

Der Herr Ehrenreich Siehuber sah den jungen Mann und erschrak so, daß er am ganzen Leibe zitterte.

„Großer Gott, großer Gott!“ rief er.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: meine
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_427.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)