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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

nun erklärt er mir, daß das Rauchen auf der Straße bei zwei Thaler Strafe verboten sei, und daß er mich, weil ich das Verbot übertreten, arretiren und zur Polizei bringen müsse, wo ich die Nacht in der Stadtvogtei zubringen werde. Zum Glück war dieser Nachtwächter ein intelligenter Mensch. Zwei Thaler beträgt die Strafe? fragte ich ihn. – Ja, sagte er. – Und aus Ihrem Diensteifer kann ich schließen, daß Sie von der Strafe einen Theil abbekommen? – Der „Denunciantenantheil“ macht die Hälfte. – Also einen Thaler. Hier haben Sie drei Thaler; nun lassen Sie mich ruhig weiter rauchen und gehen. – Er nahm das Geld und ließ mich ruhig weiter rauchen und gehen. Aber am nächsten Kellerhalse springt mir wieder ein solcher Beamter der nächtlichen Sicherheit entgegen, hält mir seinen Spieß und sein Horn vor, will mich zur Stadtvogtei bringen, und ist in seinem Diensteifer erst zu beruhigen, als auch er seine drei Thaler hat. Hinter jedem Kellerhalse ein Nachtwächter für drei Thaler! das war mir doch etwas zu theuer, und ich warf meine Cigarre von mir. Aber, nun frage ich Sie, mein Herr, hinter jedem Kellerhalse ein Nachtwächter, wie konnten da die Spitzbuben in mein Fenster hier einsteigen?“

Der Polizeidirector lächelte.

„Auch das ist sehr leicht und einfach zu erklären, mein lieber Herr. Unsere Polizei hier ist gut, aber nicht der gute Homer allein, auch selbst eine gute Polizei kann manchmal schlafen. So scheint es in der That hier seit einigen Monaten zu sein. Daher haben wir auch jene verzweifelt treffende Carrikatur, die vor wenigen Wochen erschien, sehr still zu unterdrücken gesucht; sie wird auch das Einsteigen bei Ihnen erklären. Ein Gensd’arm, der bei hellem Tage über die Straße geht, sieht einen bekannten Dieb im Begriff, durch ein offenes Fenster in ein fremdes Haus einzusteigen, dabei aber gemüthlich eine Cigarre rauchen. Der Gensd’arm gewahrt aber nur das letztere. Er gehört zugleich zu den gutmüthigen Gensd’armen, und er ruft daher dem Menschen warnend zu: „Du, Du, das kostet zwei Thaler!“ – Begreifen Sie, guter Herr?“

„Ich fange an,“ sagte etwas kleinlaut Herr Ehrenreich.

„Aber nun, lieber Herr, ein paar Fragen an Sie. Zwei Kerls waren hier bei Ihnen?“

„Zwei.“

„Und der Eine war ein ziemlich großer Bursche, mit einem feinen Gesichte und einem kleinen schwarzen Schnurrbarte?“

„Genau so sah er aus.“

„So, so. Und der andere?“

„Ich habe ihn mit keinem Blicke gesehen.“

„Und gefühlt haben Sie nur seine Fäuste?“

„Die waren derb genug.“

„Sie wohnen seit vorgestern hier?“

„Seit vorgestern Abend.“

„Haben Sie hier Besuch bei sich gehabt?“

„Nur zwei Personen.“

„Können Sie sie mir nennen?“

„Der erste war der Vater eines Künstlers, ich glaube, Pfaffenhorst hieß er.“

„Der hat sein gutes Geschäft. Der zweite?“

„Ein Herr Henne –“

„Wo jener Bursche mit dem kleinen schwarzen Schnurrbarte ist, da darf man auch den Herrn Henne nicht weit suchen.“

„Aber, er gehört ja zur Polizei.“

„Teufel, Herr, decken Sie heute nicht alle schwachen Seiten unserer Polizei auf. Wer hat den Burschen zu Ihnen geführt? – Doch, ich will es nicht wissen; leben Sie wohl! Heute Abend bringe ich Ihnen hoffentlich den kleinen Schnurrbart, und morgen, so Gott will, Ihre Uhr. Den Herrn Henne kann ich direct zur Stadtvogtei liefern, um ihm endlich ein Handwerk zu legen, über das ich mich schon lange geärgert habe.“




V.

Wenn man von der Wallstraße her die, in der Nähe des großen Berliner Waisenhauses, über die Spree führende sogenannte Waisenbrücke überschritten hat, so kommt man auf einen kleinen Platz, der durch das Zusammenstoßen mehrerer Straßen gebildet wird. Von ihm aus gelangt man weiter links in die zum Molkenmarkte führende Stralauerstraße, und rechts über die Stralauerbrücke in die Alexanderstraße, und sodann über den Alexanderplatz in die Prenzlauerstraße und darauf aus dem Prenzlauerthore auf die Chaussee, welche nach dem, zwei Meilen von Berlin entfernten, anmuthig gelegenen Dorfe Französisch-Buchholz führt.

Es war des Nachmittags etwa um drei Viertel auf zwei Uhr, als aus her Stralauerstraße langsam eine gewöhnliche, bedeckte, mit zwei Pferden bespannte Lohnkutsche auf den kleinen Platz an der Waisenbrücke fuhr und dort anhielt, als wenn sie auf Jemanden warte. Die Seitenfenster des Wagens waren offen und man sah durch sie, wie eine Frau allein das Innere des Wagens einnahm. Es war eine wohlbeleibte Frau von einigen funfzig Jahren, der Kleidung nach dem Berliner Handwerkerstande angehörig. Der Kutscher, als er anhielt, blieb steif auf seinem Bocke sitzen, ohne sich nur umzublicken; man sah, daß es ihm einfach befohlen war, hier zu halten. Die Frau bog sich aus dem Wagenfenster nach der Waisenbrücke zu hinaus, als wenn sie von dorther Jemanden erwarte. Sie mußte aber den Erwarteten nicht gewahren und legte sich in das Innere des Wagens zurück. Der Wagen hielt ruhig weiter.

Nach einer Weile kam von der Stralauerbrücke her ein Mann von etwa dreißig Jahren, klein und gedrungen von Gestalt, mit einem klugen, wenn gleich nicht eben feinen oder den Stempel einer höheren geistigen Bildung tragenden Gesichte; gekleidet etwa wie ein ehrbarer Bürger. Er sah sich vorsichtig nach allen Seiten auf dem Platze um; dann ging er an den Wagen.

„Ist er noch nicht hier gewesen, Madame Beier?“

„Ich habe noch Niemanden gesehen, Herr Erhard.“

„Warten Sie schon lange hier?“

„Seit fünf Minuten.“

„Sie vergessen doch unsere Rollen nicht, Madame Beier?“

„Ich werde nicht; ich bin Ihre Mutter. Theodor heißen Sie doch mit Vornamen?“

„Theodor, Madame Beier, für heute Theodor Beier; und ihn können Sie Herr Rudolf oder auch blos Rudolf nennen.“

„Und warum nicht Herr Langenau?“

„Jenes zeigt mehr Vertraulichkeit an.“

„Was soll nur eigentlich die ganze Geschichte bedeuten, Herr Erhard?“

„Eine kleine Vergnügungsfahrt. Madame Beier. Sie sollen nur die Ehrendame des jungen Mädchens sein.“

„Dem Mädchen soll doch kein Leid geschehen?“

„Sind Sie toll, Madame Beier?“

„Sie stehen mir dafür ein?“

„Gewiß. – Ah, der Rudolf kommt da; aber sie läßt sich noch nicht sehen.“

Aus der Stralauerstraße kam ein großer, hübscher, junger Mann, Rudolf Langenau mit seinem schwarzen Schnurrbärtchen. Er trat ebenfalls an den Wagen. Dem ehrbaren Bürger Theodor Erhard oder Beier hatte er schon von Weitem einen verstandenen Wink gegeben.

„Sie ist noch nicht da?“

„Nein, wie Du siehst.“

„Ich werde ihr entgegengehen.“

Rudolf Langenau ging nach der Waisenbrücke zu; nach wenigen Schritten kehrte er plötzlich und sehr eilig um.

„Der langweilige Polizeireferendarius!“

„Wo?“ rief erschrocken der ehrbare Bürger.

„Dort hinten auf der Waisenbrücke. Er kommt hierher.“

„Ich wollte, der Teufel holte ihn.“

„Glaubst Du, daß er Dich wiedererkennen wird?“

„Ich fürchte es.“

„Fatal. Sie kann, sie muß jeden Augenblick kommen. Sie kennt weder Dich, noch die Frau, sondern nur mich. Ich darf nicht bleiben; ich weiß aber nur ein Mittel. Du steigst in den Wagen und hälst Dich zurück, daß er Dich nicht sieht; hoffentlich geht er vorüber, wo nicht, so fährst Du langsam, ganz langsam, schon um nichts zu verrathen, über die Stralauerbrücke[WS 1] nach dem Prenzlauerthore zu; ich verberge mich in dem Hause dort und folge Euch mit ihr, wenn die Luft rein ist. Weißt Du einen andern Ausweg?“

„Nein!“

„Also schnell in den Wagen.“

Der ehrbare Bürger sprang in den Wagen und legte sich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Straulauerbrücke
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_422.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)