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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

trug Verstopfung der Ohrtrompete oder Vergrößerung der Mandeln Schuld an ähnlichem und ebenso einfältig behandeltem Leiden.

„Tag und Nacht werde ich von einer entsetzlich juckenden Flechte gräßlich gepeinigt, und noch haben mich weder innere noch äußere Mittel davon befreien können.“ So seufzt ein der Verzweiflung Naher und kratzt sich die Haut blutig. Und was ergibt die genaue Besichtigung des Ausschlages durch das Vergrößerungsglas? Nichts als thierische Schmarotzer (Insekten), nach deren Tödtung das Uebel sehr bald gehoben ist.

An sogen. Hämorrhoidalbeschwerden Leidende werden oft jahrelang erfolglos mit innern Mitteln malträtirt, und aus einem Bade in das andere geschickt. Nachdem so große Summen unnütz vergeudet wurden und lange Zeit das Leben getrübt worden ist, lehrt die Ocularinspection des Darmes, daß ein Geschwür oder eine Geschwulst in demselben die erschöpfenden Blutungen und unerträglichen Schmerzen veranlaßten. In kurzer Zeit erzielt hier eine örtliche Behandlung radicale Heilung.

Einem von Kurzathmigkeit und Husten geplagten Kranken räth der homöopathische Arzt, da er wegen unterlassener Untersuchung der Brust die Ursache dieser Krankheitserscheinungen (nämlich eine Lungenentzündung) nicht kennt, in die freie, frische, kühle Lust zu gehen. Das Uebel verschlimmert sich danach; und was sind die Folgen von diesem schlimmen Rathe? Ein Theil der von Entzündungsproducten verstopften Lunge wird nicht blos für’s ganze Leben unbrauchbar, in Folge von Verhärtung des verstopfenden Entzündungsproductes (was bei warmer Luft in der Regel zerfließt und dann aus der Lunge entfernt wird), sondern es erkranken auch nach und nach, wegen des gestörten Lungenblutlaufes, noch manche andere wichtige Organe, unter denen sich besonders das Herz und die Nieren befinden, so daß auf diese Weise endlich allgemeine Wassersucht entsteht und das zu Anfange heilbare Leiden zum unheilbaren wurde. Was ist nun wohl von einem solchen Heilkünstler zu halten, der nur die auch den Laien in die Augen fallenden Krankheitserscheinungen mit homöopathischen Nichtsen zu heben trachtete, aber gar keine Idee von dem eigentlichen krankhaften Vorgange im Körper unseres Patienten hatte? Sollte er diese Zeilen lesen und verstehen, so nehme er sammt allen seinen, ihre Kranken nicht untersuchenden Genossen hiermit meine tiefste Verachtung entgegen.

Zur Zeit der Cholera sind, sogar unter den Augen ganz ehrenwerther Aerzte, eine Menge Menschen durch Gift (besonders durch Arsenik und Kupfer) hingemordet und mit dem Todtenscheine als an der Cholera Gestorbene begraben worden. Die meisten Giftmorde fallen stets in eine Cholerazeit, weil diese Krankheit fast ganz dieselben Symptome wie die (Arsenik- und Kupfer-) Vergiftung mit sich führt. Nur eine genaue Untersuchung des Entleerten kann hier die Vergiftung von der Krankheit unterscheiden und die Heilung (durch Gegengifte) ermöglichen.

„Eben macht mein Mann das Testament, denn der Brand ist ihm in den Leib getreten.“ Mit diesen Worten empfängt den Arzt die Frau eines schwer kranken Mannes, der schon seit Wochen an hartnäckiger, allen Abführmitteln Trotz bietender Leibesverstopfung, an bedeutender Auftreibung des Bauches und Leibschmerzen behandelt wurde. Und woher dieses Leiden? Ein verschluckter Knochen hatte die Verstopfung des Darmes veranlaßt; nach Entfernung dieses Hindernisses und des angehäuften Darminhaltes vernichtete der Geheilte das Testament.

Bei kleinen Kindern mit sogenannten Hirnkrämpfen wird von solchen Aerzten, die nicht genau untersuchen oder nicht zu untersuchen verstehen, sofort gegen Hirn- oder Hirnhautentzündung mit Calomel und Blutegeln an den Kopf losoperirt und, – da in sehr vielen Fällen jene Krämpfe gar nicht von einem Leiden im Kopfe, sondern von Krankheiten dieses oder jenes Brust- oder Unterleibsorganes herrühren, und nur durch Ueberstrahlung (Reflex) der Nervenreizung vermittelt sind, – gar oft nicht unbedeutend geschadet. Ja geradezu gemordet werden solche kranke Kinder durch die genannten Mittel, wenn Blutarmuth des Gehirns die Ursache jener Krämpfe ist.

Einem jungen Manne soll wegen eines Zungenkrebses nach dem Beschlusse mehrerer Herren Doctoren die Zunge abgeschnitten werden, da führt der Zufall einen jungen rationellen Arzt herbei, der die Zungengeschwulst genau untersucht und in Folge der richtigen Erkennung und Heilung des specifischen Uebels (mittels Jod-Quecksilbers), dem Kranken die Zunge und wahrscheinlich auch das Leben rettete. Hätte das ein Homöopath mit seinem Nichts auch gekonnt? Nimmermehr!

Wie viele von Uebelkeit oder Brechen befallene Menschen schon an eingeklemmten Bruchschäden deshalb gestorben sind, weil der Arzt den schmerzenden Leib gar nicht oder zu spät und ungenau untersuchte, schäme ich mich als Arzt den Laien einzugestehen. Stände es aber in meiner Macht, dann würde jeder Arzt, der durch eine solche Nachlässigkeit oder Unwissenheit Schuld am tödtlichen Verlaufe einer Brucheinklemmung trüge, als Mörder bestraft. Dies ginge auch den Homöopathen so, welche in solchen Fällen anstatt rechtzeitiger chirurgischer Hülfe ihren lächerlichen Hokuspokus in Anwendung brächten.

Welche Nachtheile für die Gesundheit, ja für das Leben, eine ungenaue oder unterlassene Untersuchung bei Frauenkrankheiten nach sich zieht, läßt sich hier nicht weiter auseinander setzen. Verächtlich sind mir die Aerzte, welche ohne genaue Kenntniß des Leidens einer Patientin diese oder jene Cur (besonders gern Franzensbad) anrathen; für prüde Närrinnen erkläre ich aber die Patientinnen, welche sich der ärztlichen Untersuchung nicht unterziehen wollen.

Aus diesen wenigen Fällen, denen ich aber noch eine große Menge anderer anreihen könnte, wird hoffentlich der verständige Leser ersehen, daß das Erste und Wichtigste bei Behandlung einer Krankheit „eine genaue Untersuchung des kranken Körpers von Seiten des Arztes“ sein muß. Da nun, um eine solche Untersuchung anstellen zu können, jahrelanges Studium und Uebung durchaus nothwendig ist, so liegt es wohl auf der Hand, daß nicht jede alte Frau oder jeder mit lebensmagnetischem Hauche curirender Bummler Arzt sein kann. Verstanden?

Bock.




Das Unglück im Hauensteintunnel.
(Schluß.)

Nicht weniger als 500 solcher ohnmächtiger, halbtodter Arbeiter der Rettungsmannschaft wurden den Aerzten während dieser Zeit zur Behandlung gebracht. Sie wurden alle gerettet bis auf die sieben todt aus dem Tunnel gebrachten und die vier todt im Tunnel liegen gebliebenen Unglücklichen. Unterstützt durch die an Ausdauer ihren Männern nicht nachstehenden Frauen der englischen Arbeiter, deren Lebensmanieren ihnen bis jetzt bei der genügsamen Bevölkerung der Umgegend keine besondere Anhänglichkeit zu erwerben vermocht hatten, mit denen sich nun aber aussöhnte, wer ihren hingebenden Eifer sah, unterstützt von diesen bei den Wiederbelebungsversuchen und der nachfolgenden Pflege, vermochten die Aerzte mehr zu leisten, als sie selbst für möglich gehalten. – Der Eindruck der Wiederbelebungsversuche war ein furchtbarer. Die Verpflegung der Verwundeten auf dem Schlachtfelde, mitten im Kugelregen hat weniger Erschreckendes, als das Weilen unter diesen im ohnmächtigen Kampfe gegen einen unsichtbaren und ungeahnten Feind unterlegenen Unglücklichen. Dort Blut und Wunden, aber überall noch Leben, selbstbewußtes, todesmuthiges, pulsirendes Leben; hier zwar keine fürchterlichen Verletzungen, aber überall, wenn auch nur momentaner Tod, oder aber ein Leben, das sich in furchtbaren Zuckungen und Convulsionen windet; dort die Musik dsr Kanonen und Gewehre mit obligaten Trommelwirbeln und Trompetenstößen, hier sinnbetäubende Stille, hie und da unterbrochen von dem Rasseln ab- und zufahrender, mit neuen Opfern beladener Rollwagen, die dem Tode seine Beute auf halbem Wege entrissen; dort endlich ein offener, selbst verwundbarer, hier ein unsichtbarer, aber sicher tödtender Feind. – –

– – Es war Sonntag Nachmittag geworden. Ernst und schweigend bewegte sich ein langer Zug langsam die Windungen der Bergstraße hinan; man geleitete die ersten fünf Opfer der Rettungsversuche nach dem basellandschaftlichen Dorfe Läufelfingen zur letzten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_400.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2022)