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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

geworden. Aus ihrer Sparbüchse und von der Schwester hatte sie das Geld unter Thränen und unter Lächeln genommen. Als sie den jungen Mann auf sich warten sah, schnürte bei dem Gedanken, daß sie von ihm Geld annehmen sollte, das Herz sich ihr zu, und ihre noch feuchten Augen wurden trocken. Woher das? Sie hatten sich beide hundertmal gesagt, daß sie in ihrer Liebe einander ganz und gar angehörten, für das ganze Leben, bis in den Tod, bis über den Tod hinaus.

Aber er kam ihr so liebevoll entgegen; er erröthete, und war verlegen, als er ihr, in ein Papier eingewickelt, das Geld überreichte.

„Hier, Emma; hast Du auch das Andere wirklich vollständig? Ich habe sonst für das Ganze gesorgt.“

Er sagte das so einfach, so herzlich. Das Auge wurde ihr wieder feucht, das Herz öffnete sich ihr wieder, in Liebe, in stiller Bitte um Verzeihung, daß es sich auf einen Augenblick habe verschließen können. Sie nahm das Geld, und drückte die Hand, die es ihr reichte. Sie hätte ihm um den Hals fallen mögen, wenn nicht Arbeiter auf dem Platze gewesen wären.

„Und nun eine Bitte, Emma. Deine Directrice hat morgen Nachmittag eine Landpartie, hast Du mir gesagt.“

„Ja.“

„Sie hat Euch den Nachmittag frei gegeben, ohne von dem Arbeitslohn Abzug zu machen.“

„So hat sie versprochen.“

„Der Nachmittag gehört also Dir. Schenke mir ihn. Wir fahren nach Französisch-Buchholz; Du warst noch nicht da. In dem gräflichen Garten ist es so schön.“

„Mit Dir allein?“ fragte das Mädchen in ihrer Unschuld und Verlegenheit.

„Du fürchtest Dich allein mit mir?“

„Es würde sich nicht schicken, Rudolph.“

Der junge Mann mußte unwillkürlich lachen.

„Und wir waren so oft allein, und sind es in diesem Augenblicke noch.“

„Das ist etwas Anderes.“

„Und warum?“

Sie konnte es nicht sagen; sie fühlte es vielleicht deutlich genug, wie die offene Straße, das helle Tageslicht, die Nähe auch der fremdesten Menschen – und so war sie bisher nur mit ihm allein gewesen – selbst in der großen verdorbenen Stadt ein Schirm für sie sei, dessen sie draußen auf der Landstraße, wie in dem kleinen Dorfe, im engen Wagen, in dem Schatten der dichten Bosquets des gräflichen Parks, in dem Dunkel des Abends, entbehre. Aber sie konnte das Gefühl wohl in keinen klaren Gedanken und daher nicht in Worte bringen. Oder wollte sie den Geliebten nicht verletzen? Der junge Mann schien ihr Gefühl zu ahnen, jedenfalls ihr Bedenken zu ehren.

„Wir werden nicht allein fahren, Emma. Mein Freund Erhard, von dem ich sprach, derselbe, mit dem ich mich etabliren werde, und seine Mutter, die hier in Berlin lebt, werden uns begleiten.“

„Kennst Du die Frau?“ fragte das Mädchen in ihrer Vorsicht, vielleicht auch in einer dunklen Ahnung.

„Sie ist eine der vortrefflichsten Frauen, die ich kenne.“

Das Mädchen schwankte noch immer.

„Und meine Mutter? Sie soll auch davon nichts wissen?“

Das war wohl ihr hauptsächlichstes Bedenken, das sie nur früher nicht auszusprechen gewagt hatte. Der junge Mann schien wirklich verletzt zu sein.

„Du mißtraust mir, Emma. Lassen wir es. Ich wollte Dir eine Freude machen; verzichte aber darauf.“

„Ich habe Dich beleidigt, Rudolph?“

„O nein.“

„O doch. Ich fahre mit Dir. Sei nicht böse, mein guter Rudolph, ich bitte Dich jetzt darum. Laß uns hinfahren.“

Wie mächtig und zugleich wie schwach ist die Liebe!

In das Auge des jungen Mannes schoß ein Freudenstrahl.

War in seinem Herzen jene unwiderstehliche Sehnsucht nach einem andern, einsameren Begegnen schon erwacht? Oder war seine Freude gar –? Doch – Quilibet praesumitur bonus, donec probetur contratium – sagt der alte Justinian.

„Morgen Mittag um zwei Uhr, Emma. Ich werde an der Waisenbrücke auf Dich warten.“

„Ich werde da sein.“

Sie trennten sich wieder. Er ging nach der Winckelmann’schen Lithographie zu. Sie begab sich zuerst in die Grünstraße, um die Rechnung der Directrice zu bezahlen, und dann zu ihrem Putzladen in der Leipzigerstraße.




IV.

Der neue Miether der Frau Rohrdorf schien wirklich, wie Emma Rohrdorf ihrem Geliebten gesagt hatte, ein etwas eigenthümlicher Kauz zu sein. Er hatte sich in folgender Weise bei der Frau eingeführt. An der Klingel der Wohnung ward zuerst sehr leise gezogen; die Glocke hatte kaum angeschlagen. Die Frau Rohrdorf war mit einer Arbeit beschäftigt, von der sie nicht sofort aufstehen konnte. Unmittelbar darauf wurde zum zweiten Male stark geläutet, daß die Fenster zitterten. „Der ist eilig,“ dachte die Frau. Sie sprang auf und öffnete schnell die Thür. Ein fremdes, kleines, rundes Männchen in den fünfziger Jahren stand vor ihr.

„Gehört Ihnen diese Wohnung, Madame?“

„Ja, mein Herr.“

„Dieser ganze Stock?“

„Ja“

„Draußen am Fenster bei Ihnen hängt ein Papier, darauf steht: Zimmer zu vermiethen.“

„Ich habe Zimmer zu vermiethen.“

„Wie viele?“

„Wie viele wünschen Sie?“

„Drei, und zwar zusammenhängend.“

„Sie können sie bekommen. Ist es Ihnen gefällig?“

Der Fremde war in der Thür stehen geblieben. Er trat ein.

Die Wohnung war – es kommt für die weiteren Begebenheiten darauf an, und ich bitte daher meine Leser, darauf zu achten – in folgender Weise eingerichtet. Sie war im ersten Stock gelegen. Man trat zuerst in einen Eingang; rechts von diesem lag die Küche, hinter der Küche befanden sich drei kleine Stübchen, welche von der Frau Rohrdorf und ihren Kindern bewohnt wurden. Zur Linken gelangte man aus dem kleinen Eingange in einen seitwärts gehenden längeren Gang. An diesen zu seinen beiden Seiten befanden sich die Stuben, welche die Frau Rohrdorf zu vermiethen hatte. An jeder Seite waren drei Thüren, die je zu einer Stube führten. Am Ende des Ganges lag quer vor diesem noch ein siebentes Zimmer. Neben der Thür desselben war ein Fenster, durch welches der Gang von dieser Seite her sein Licht erhielt. Das Fenster war deshalb in seiner obern Hälfte ganz frei, und nur unten mit einer dichten grünen Gardine verhängt, so daß man von dem Gange aus nicht in die Stube blicken konnte. Inwendig war diese übrigens mit zwei, einander gegenüberliegenden Thüren versehen, welche in die beiden nebenan liegenden Zimmer führten.

Die Frau Rohrdorf begleitete den Fremden durch sämmtliche Zimmer. Er hatte schon gleich anfangs mit sichtlichem Behagen sein Augenmerk auf die am Ende des Corridors gelegenen Stuben gerichtet. Als er in diese eintrat, war sein Erstes, die Gardinen jenes in den Corridor führenden Fensters an der Seite ein wenig zurückzuschieben und in den Gang hineinzusehen. Er übersah den ganzen Gang und war sicher, wenn er sich nur ein wenig in Acht nehme, seinerseits von dem Gange aus nicht bemerkt zu werden. Er schien vollkommen zufrieden zu sein.

„Madame, wieviel beträgt die Miethe für dieses Zimmer und die beiden nebenan?“

„Täglich?“ fragte die Frau.

„Wöchentlich, oder besser, gleich für einen ganzen Monat.“

„Zwanzig Thaler, mein Herr.“

„Und täglich, Madame?“

„Auf den Tag bekomme ich für das Zimmer zehn Silbergroschen.“

„Das würde auf den Monat für alle drei dreißig Thaler machen?“

„Ja, mein Herr, aber –“

„Ich gebe Ihnen die dreißig Thaler, wenn Sie folgende Bedingungen eingehen. Sie richten mir diese Stube hier zu meinem Arbeitszimmer ein, die links dort zu meiner Schlafstube und die rechts zu einem Besuchszimmer. Einverstanden?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_394.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)