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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Schutt aus dem Tunnel zu schaffen. Ebenso wurden auf denselben von der eben bezeichneten Stelle unter dem Schachte Nr. 1. aus die zur Auskleidung des Tunnelgewölbes benöthigten Steine, welche man von der Höhe des Berges an einem langen, 3½ Zoll dicken, stark in Theer getränkten Seile den Schacht hinunter auf oben erwähntes Gerüste und durch eine eigens hierzu angebrachte Fallthüre auf die darunter gestellten Rollwagen herabließ, nach der Tiefe des Tunnels verführt. Hinter dem Schachte, also gegen Norden, stand eine kleine Schmiede mit zwei Feuern, um verdorbene Werkzeuge sofort wieder herzustellen. Ferner befanden sich dort eine Wagenwerkstätte, eine hölzerne Boutike, die den Arbeitern zum Trocknen ihrer Kleider und zur Ruhestätte diente, 31 Centner Steinkohlen und eine große Masse Holz zu Gewölbegerüsten. Vor dem Schachte war ein großes, durch das aus der Tiefe des Tunnels ziemlich reichlich herfließende Wasser getriebenes Wasserrad mit einem Ventilator, um die Luft zu erneuern, welche gegen den innern Raum zu wegen der Sprengarbeiten, des Lichterqualmes und des Verbrauches durch die zahlreichen Arbeiter fast unathembar wurde. Da nun aber bei den herangenahten wärmeren Tagen in Folge des Einflusses der Sonnenstrahlen, welche um die Mittagszeit in den Schacht und auf die südliche Tunnelmündung fielen, zu dieser Zeit gar kein Luftzug stattfand, folglich der Ventilator keine frische Luft zuführen konnte, so errichtete man auf dem oben beschriebenen, unter dem Schachte Nr. 1. aufgeschlagenen Gerüste einen kleinen Ofen, damit das darin unterhaltene Feuer den Einfluß der Sonnenstrahlen paralysire und einen Luftzug ermögliche. Der Ofen ward zu diesem Ende mit einem hohen Kamine versehen und der Schacht, etwa 30 Fuß über dieser neuen Ventilations-Vorrichtung, durch eine Decke aus blechbeschlagenen und mit einer dicken Lehmschicht bedeckten Dielen luftdicht abgeschlossen. Nur das eben erwähnte Kamin ging durch diese Decke. Von der Mündung des Kamins war der Schacht 80 Fuß in Felsen getrieben, oberhalb war er auf etwa 300 Fuß mit Holz eingeschalt und mit Holzwerk ausgesperrt, blos der oberste Theil, gegen 200 Fuß, war förmlich ausgemauert.

Die neue Ventilation mit warmer Luft erwies sich als zweckmäßig und entsprach den Erwartungen vollkommen. Aber sie wurde zugleich die Ursache der schrecklichen Katastrophe, die am 28. Mai Mittags eintrat. Der hölzerne Einbau des Schachtes war durch Hitze, Rauch und Ruß, herrührend von der oben berührten Tunnel-Schmiede gleichsam dazu vorbereitet. Unglücklicherweise wurde nämlich das schon erwähnte Seil, an welchem man früher Gewölbsteine durch den Schacht hinuntergelassen hatte, bei Aufstellung des Ofens nicht hinaufgezogen. Es hing am verhängnißvollen Mittag über dem Kamin, und zwar so, daß das untere Ende desselben auf dem Rande des Kamins und der Haken an demselben auf dem den Schacht vom Tunnel abschließenden Lehmboden, unterhalb der Mündung des Kamins auflag. Dieses stark getheerte Seil entzündete sich, die Flamme fuhr daran in die Höhe bis zum Holzwerke und theilte sich demselben mit. Daß dies die wirkliche Entstehungsart des Feuers war, schließt die ihrem Ende nahende amtliche Untersuchung aus dem Umstande, daß die Schmiede nebst ihrem Kamine vom Feuer nicht berührt aufgefunden wurde und auch das unterste Stück Seil sammt dem eisernen Haken sich unverbrannt vorfand, woraus hervorgeht, daß das Seil gerade an dem Punkte, wo es auf der Mündung des Kamins auflag, vom Feuer ergriffen wurde. –

Schacht.

E. Schmiede. – F. Tröknungsstube. – a. Das eiserne Rohr (Kamin). – b. Oeffnung zum Einfeuern. – c. Rohr zur Entfernung der Steinkohlendämpfe aus der Schmiede. – d. mit Theer getränktes 3½ Zoll starkes Seil, welches in Brand gerieth. – e. Rost. – f. Gerüst. – † Decke mit Lehmschicht.

Furchtbar wüthete das entfesselte Element den beinahe 600 Fuß hohen Schacht hinauf, sprühte nicht blos wildtobend Gluthen, Flammen und Rauch gen Himmel, sondern warf, einem feurigen Krater ähnlich, mit großer Gewalt brennende Bretter und Balken, Steine und Erde bis weit über die Oberfläche des Hauensteins empor. Gefahrdrohende Funken flogen und schwebten über den Dächern der friedlichen Bevölkerung des Bergdorfes Hauenstein, über die sich maßlose Angst und Schrecken verbreitete. Der Brand des hölzernen Einbaues, der Bretter, Sparren und Balken hatte den Einsturz des ganzen Schachtes zur Folge.

Drunten in der Tiefe des Berges, im Tunnel, hatte kurze Zeit zuvor die Ablösung der Arbeiter, welche alle drei Stunden zu geschehen pflegt, stattgefunden. Am ersten Feuer der kleinen Tunnel-Schmiede arbeiteten beim Ausbruche des Brandes Meister Martin Brügger aus dem nahegelegenen Dorfe Lostorf, Schmied Simon, ebenfalls aus einem benachbarten solothurnischen Dorfe, und der funfzehnjährige Lehrjunge Mrs. Gisiger ab dem Hauenstein. Am zweiten Feuer waren ein Würtemberger und ein Badenser beschäftigt. Sie konnten die Entstehung des Brandes wegen des den Schacht vom Tunnel trennenden, luftdichten Lehmbodens nicht sehen; um so entsetzlicher war es, als das tosende Knistern und das Gepolter des nach und nach herunter stürzenden Gebälkes keinen Zweifel mehr ließ über die fürchterliche Gefahr, in welcher Alle schwebten. Meister Brügger besaß noch die Geistesgegenwart, seinen Lehrburschen Gisiger den weiter nach der Tiefe des Tunnels beschäftigten Arbeitern zuzuschicken, mit der Aufforderung hervorzukommen, „der Tunnel falle ein!“ – Noch war es Zeit; Viele folgten dem Rufe des Knaben und waren gerettet. Andere, sei es, daß sie, zu weit in der Tiefe, den Warnruf nicht verstanden, oder daß sie den Ruf des Knaben: „Der Tunnel fällt zusammen!“ nicht glaubten, indem ja derselbe gewölbt sei und sie im unglücklichsten Falle durch den Schacht hinauf sich retten könnten, – blieben bei ihrer Arbeit und verhöhnten die Fliehenden als feige Bursche. – Kaum hatten Jene aus dem innern Tunnel hervor die Brandstelle unter dem Schachte Nr. 1. passirt und die freie Passage gegen die Südöffnung des Tunnels gewonnen, so stürzte das feurige Gebälk aus dem Schacht, den obgedachten Lehmboden durchschlagend und mit sich reißend in den Tunnel hinunter, Schutt und Steine ihm nach, und der Rückweg war den in der Tiefe des Tunnels Zurückgebliebenen vollständig versperrt. Es waren ihrer zweiundfünfzig. –

Der wiederholte Ruf der Sturmglocken der benachbarten Ortschaften und die himmelhoch aus dem verschütteten Schachte emporwirbelnde Rauchsäule brachten im Lauf des Nachmittags eine außerordentliche Menschenmenge auf den Platz. Bauführer und Aufseher, das technische Personal der Centralbahngesellschaft, die Aerzte Oltens, an ihrer Spitze der „Tunnel-Doctor“, d. h. der den Tunnel-Arbeitern seit dem Beginne des Baues eigens bestellte Arzt, Dr. Eugen Munzinger, ein junger tüchtiger Mann, denen dann später ihre Collegen aus dem benachbarten Aarau mit großer Bereitwilligkeit zur Seite standen, und die Bezirksbeamten von Olten waren zur Stelle. Heerweise strömten Männer aus den umliegenden Ortschaften herzu; die Arbeiter aus der Maschinenbauwerkstätte in Olten, die Tunnelarbeiter von Aarau, alle disponiblen Arbeiter der Centralbahn eilten herbei und wurden zum Theil durch Extrazüge auf den Schauplatz des Unglücks befördert. Weithin hatte schon der Telegraph von Olten aus Kunde von dem Unfalle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_390.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)