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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Ein Parvenü der Presse.




Es giebt einen Mann in Frankreich, dem schönen Lande der Troubadours und Parvenü’s, der Sänger und der Abenteurer, der war vor dreißig Jahren gar Nichts. Heut’ aber ist er Viel, heut’ ist er eine Größe und ein Mann von Ruf und Namen, ein Parvenü, der sich in’s Fäustchen lacht. Dies ist Herr Emil von Girardin, der erste und große Emporkömmling der Zeitungsschreiberei. Otons le chapeau!

Es war just Julirevolution, 1830; Louis Philipp bestieg den Thron, die bourbonische Lilie verschwand und eine neue Morgenröthe brach an, der nichts fehlte, nicht einmal der Hahn – auf den Casquets der Soldaten. Da tritt ein Mensch auf, einige zwanzig Jahre alt, der seinen Vater anklagt, weil dieser ihm nicht seinen Namen zu tragen gestattet. Der alte, vom bösen Gewissen geplagte Papa, ein Herr von Girardin, wüthet; sein Sohn lacht ihn aus und meint, daß er als ein Kind der Liebe gerade soviel werth sei, als ein Kind der Ehe, ja vielleicht noch mehr, und daß er unstreitig das Recht besitze, den Namen desjenigen zu tragen, der ihn gezeugt habe. Das Gericht gab dem Sohne auch Recht; denn es kommt in Frankreich gar nicht auf den Namen an, und der Sohn des alten Herrn von Girardin hätte sich ohne Hindernisse Graf Coquin oder Marquis de Pelisson nennen können, da der Adel in Frankreich ohne Werth ist, nämlich so lange, bis er, wie jetzt von dem Herrn Frankreichs geschieht, einen Werth erhalten soll, indem man die Emporkömmlinge für legitim erklärt. Genug, der junge Mann, der damit auftrat, daß er seinen eigenen Vater des Namens wegen verklagte, war der Herr Emil von Girardin, dessen Name damit eine der Illustrationen der chronique scandaleuse geworden war.

Herr Emil von Girardin war nun mit einem Male eine bekannte Gestalt; das war der erste Erfolg, den er erringen wollte. Aber ein Mann wie er begnügte sich mit diesem Erfolge nicht; er wollte etwas Großes werden, denn er besaß namenlosen Ehrgeiz; er wollte Macht, Reichthum und Einfluß erreichen, denn er hatte dazu einen zähen und bedeutenden Geist, Witz und Bosheit. Aber wie sollte ein Mensch, wie er es war, der sich in die bessere Gesellschaft förmlich hineingedrängt hatte und dessen Vermögen nicht gar bedeutend war – wie sollte er ermöglichen, wozu Andere außer ihrem Witz und Geist noch Gönner, Protection und Verdienste haben müssen? – Herr von Girardin war aber kein Mann, der sich abschrecken ließ. Er sah sich zuerst die Welt an, in der er stand, und beobachtete, daß die Gesellschaft einem Milbenhaufen gleiche, wo Einer über den Anderen fortkriecht; ein Gomorrha, wo Seine Majestät das Geld allein regiere und dem Volke mit glühendem Eisen das Herz ausbrenne. Diese Gesellschaft mit allem Jammer und Elend, welches die gepriesene Civilisation hervorgerufen hatte, erschien seinem Geiste wie eine Courtisane, die dem am innigsten anhängt, der sie schlägt und verhöhnt.

Girardin sagte sich nun, daß diese Gesellschaft, die keine Moral und keine Tugend hat, mit aller ihrer Raffinerie doch eigentlich einem Dummkopf gleiche, den man gut gebrauchen muß, und daß man von ihr Alles erwarten könne, wenn man ihr die eigene Fäulniß unter die Nase halte. Speculation war ihre einzige Religion; Moral und Gesinnung fand sie sehr schön, aber langweilig. Um durch sie Etwas zu werden, mußte man sie als Leiter benutzen und ihre Gebrechen verherrlichen, um damit in die Höhe zu kommen. Das war freilich nicht moralisch; aber man braucht heutzutage nicht mehr moralisch zu sein, wenn man nur klug ist.

Nachdem Girardin nun seinen Namen durch den scandalösen Proceß bekannt gemacht hatte, fand er, daß er einen kühnen Wurf thun müsse, um eine respectable Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, die sich Alles gefallen läßt, wenn man nur ihren Gebräuchen schmeichelt und den Schein rettet. Eine Heirath war das beste Mittel, diesen Zweck zu erreichen. Aber der Teufel! Girardin wußte auch, daß er mit seiner Heirath Aufsehen machen müsse, da das Aufsehen bei der Gesellschaft das Verdienst ersetzt. Diese Heirathsspeculation Girardin’s war um so verlockender, als er seine Augen auf die Tochter der bekannten Schriftstellerin Sophie Gay geworfen, die damals bereits den Ruhm ihrer Mutter überflügelt hatte und durch ihre reizenden Poesien von den galanten Dichtern Frankreichs zur „zehnten Muse“ gekrönt worden war. Delphine Gay zu besitzen, das hieß also zugleich eine berühmte, gefeierte und geliebte Schönheit erwerben, deren Verdienst natürlich ihrem Gatten eine wichtige Bedeutung geben mußte. Aber Emil von Girardin war häßlich; sein Adel sehr zweifelhaft und berüchtigt; sein Vermögen, von dem er bisher gelebt hatte, nicht sehr verlockend; außerdem war die junge Delphine, die Muse Frankreichs, von reichen und berühmten Anbetern umringt. Alles dies hätte einen Anderen entmuthigt. Doch Girardin im Gegentheil fand darin höheren Reiz; er stellte sich Delphine vor, nachdem diese ihre Anbeter und darunter den Herrn de la Grange verabschiedet hatte. Die Mutter und die Tochter waren Herrn von Girardin nicht abgeneigt, und die junge Delphine antwortete auf alle Vorstellungen, welche man ihr hinsichtlich des Rufes und der Geburt Girardin’s machte:

„Was thut’s? das ist ein Mann von festem Willen und energischem Charakter, der sich Vermögen zu erwerben wissen wird.“

So führte denn Girardin die Braut 1831 heim, und um dem Aufsehen, welches diese Heirath machte, noch mehr Nahrung zu geben, kaufte der glückliche Ehemann ein prächtiges Hôtel in der Rue St. Georges, was ihn, da er kein großes Vermögen besaß, in Schulden stürzte, die seinen Credit nicht minder erhöhten. Von diesem Tage an sagte man, daß Delphine, die Dichterin, nur einen Fehler habe, nämlich ihren Gemahl. – In den Flitterwochen machte der alte Herr von Girardin seinem speculativen Sohne eine Visite; er sah die fürstliche Pracht seines Hôtels, schnitt ein fürchterliches Gesicht und sagte:

„Wird ’mal in einer Dachstube wohnen!“

Der alte, etwas bramarbasirende Papa Girardin kannte seinen Sohn nicht im Geringsten.

Als Emil von Girardin nun Namen, Stellung, eine berühmte Frau und Schulden erworben hatte, triumphirte er und blickte höhnisch auf die Gesellschaft herab, die ihn einst nicht einmal anerkennen wollte. Doch es handelte sich nun, weiter zu kommen, und auch Einfluß und Ehren zu erwerben. Da man Beides aber vermöge des Geldes erreichen kann, so sann Girardin auf eine Speculation, die ihm Alles auf einmal verschaffen könnte. Es war nicht schwer, unter den damaligen Zuständen Frankreichs, zu finden, daß ein Journal, die Presse überhaupt und eine ganz originelle Taktik darin, den Schlüssel zu allen Erfolgen bilde, die eine so ehrgeizige Natur wie Girardin erringen wollte.

In Folge dessen gründete Emil von Girardin 1836 ein neues Zeitungsblatt, „La Presse.“ Seiner Taktik getreu, suchte er gegen alle bestehenden Journale und gegen die allgemein geltenden Sitten Opposition zu machen. Nicht allein, daß er also sein Journal für 40 Francs jährlich ausbot, wodurch die anderen Zeitungen, die 80 Francs kosteten, in ihrer Existenz bedroht waren; sondern er gründete auch das seitdem eingebürgerte Feuilleton, und machte, da ihm die Leser zu Tausenden zuströmten, aus seiner „Presse“ die Leiter, auf welcher er Stufe zu Stufe erklomm. Auch war er ferne davon, seinem Blatte eine bestimmte politische Farbe zu geben; heute griff er die Regierung an und morgen lobte er sie; er war immer nur bedacht, Aufsehen durch seine Artikel zu erregen, kümmerte sich nicht um die öffentliche Meinung und, wenn er sich auch damit keinen Ruhm erwarb, und am allerwenigsten Ehre, so gewann er deshalb doch eine großartige Abonnentenzahl von mehr als 40,000, die er sich auch immer zu erhalten wußte. Der bessere Theil der Presse erklärte sich natürlich gegen diese gesinnungslose Charlatanerie Girardin’s, welche die Demoralisation der Gesellschaft auf’s Schmählichste ausbeutete. Aber der Redacteur der Presse war über diese Empörung nicht ungehalten; im Gegentheil, er schlug mit seiner Pritsche immer mehr unter den Geistern edlerer und männlicher Gesinnungen umher und zeigte immer entschiedener, daß er sein Journal nur als Mittel für seine persönlichen Zwecke gegründet habe, nicht für die einer Partei. Armand Carrel, der stolze Geist des „National“, der die Fahne des edleren Republikanismus aufgepflanzt hatte und sie mit heroischem Muth vertheidigte, war der Einzige, welcher Girardin vernichten konnte; denn die Gewalt einer edlen, mit Energie begabten Gesinnung ist unwiderstehlich. Girardin ahnte, was Carrel für eine Nemesis für ihn werden könnte, und rief ihn, als er nicht mehr mit der Feder ihm gewachsen war, zum Zweikampfe heraus, in welchem, von Allen betrauert, der Redacteur

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_385.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)