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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Theodor Körner, der die Leyer und das Schwert mit gleicher Kraft und Liebe schwang, bis er auf dem Schlachtfelde die Schuld des Vaterlandes mit seinem Leben zahlte; auch ein Held des Geistes wie der That.

All überall ging es wie Sturmeswehen durch die deutschen Gauen, Niemand wollte zurückbleiben, die Gebrechlichen und Krüppel, die Schwachen und Alten, welche den Anstrengungen eines Krieges nicht gewachsen waren, und deshalb nicht mitziehen konnten, rüsteten sich mit Schwert und Lanze und bildeten den Landsturm, der neben den Linientruppen und der Landwehr oft treffliche Dienste leistete. In Berlin war die Hasenheide vor dem Hallischen Thore der Sammelplatz desselben. Unter den Kiefern auf demselben Sandboden, auf welchem die jugendlichen Turner im altdeutschen Sammetrock und mit langen Haaren unter Anleitung von „Vater Jahn“ ihre Glieder stählten und mit dem Körper auch den Geist kräftigten, sah man jetzt so manchen ehrsamen Bürger der Hauptstadt mit ungewohnten kriegerischen Uebungen beschäftigt. Friedliche Kaufleute übten sich im Angriff und in der Vertheidigung, stille Gelehrte schulterten das Gewehr, Künstler und Schauspieler schossen nach der Scheibe und wohl noch mehr daneben. Da gab es wunderliche Figuren und manche komische Erscheinung; dicke Bierbrauer, welche im Schweiße ihres Angesichts jetzt exercirten, kleine, magere Schneider, welche statt der leichten Nähnadel die schwere Lanze schwangen. Auch war die Bewaffnung und Bekleidung so bunt und mannigfach als möglich; der Eine erschien mit einem Dreimaster und einem Rappier, der Andere in der Mütze und mit einem Husarensäbel; der schwang den Spieß und jener schleppte an zwei rostigen Pistolen. Wer an den regelmäßigen Anblick und an die militairische Gleichmäßigkeit der Liniensoldaten dachte, der mochte mit Mühe nur ein Lächeln unterdrücken, aber an Patriotismus und Eifer gab der Landsturm gewiß keiner regelmäßigen Truppengattung nach. Es gehörten die angesehensten Männer dazu und auch der berühmte Fichte, so wie Schleiermacher waren Mitglieder desselben. Der erstere erschien sogar bei allen Uebungen nach antiker Weise nicht nur mit der stattlichen Lanze, sondern auch mit einem von ihm vorgeschlagenen, leichten Schilde bewaffnet, worüber der sarkastische Schleiermacher seinen bekannten Witz nicht unterdrücken konnte.

„Lieber Professor!“ rief er ihm schon von Weitem zu, „Sie gleichen ja vollkommen dem rasenden Ajax mit seinem berühmten Schild von sieben übereinander gelegten Ochsenhäuten.“

Fichte schmunzelte und verzog sein ernstes Gesicht zu einem kaum merklichen Lächeln, indem er seinerseits den kleinen Schleiermacher mit der schweren Flinte neckte, die dieser kaum zu schleppen vermochte.

„Sie führen da eine furchtbare Waffe, eine niederschmetternde Feder,“ scherzte er, „wie sie einem Schüler des sanften Plato am wenigsten zukommt.“

„Mit dieser Feder hoffe ich einen Lobgesang auf die deutsche Freiheit zu schreiben und ein Spottgedicht auf den Sturz Napoleons.“

„Das laß ich mir gefallen,“ erwiderte der berühmte Philosoph mit gewohntem Ernst und reichte Schleiermacher die Hand, welche dieser herzlich drückte. „Man muß den Usurpator mit allen uns zu Gebote stehenden Waffen bekämpfen, mit dem Wort, wie mit dem Schwert, mit der Feder des Geistes, wie mit der Lanze des Landsturmes. Wenn nicht alle Kräfte des Vaterlandes sich zusammenthun und vereinen, wenn nicht jeder Muskel, jeder Nerv angespannt wird, so dürfte der Sieg kaum zu erringen sein. Wir haben es mit einem furchtbaren Gegner zu thun, und noch ist die Gefahr zunächst für Berlin nicht einmal vorüber.“

„Einstweilen hat der wackere Bülow den Franzosen bei Großbeeren den Weg gewiesen. Unsere Landwehr hat Wunder von Tapferkeit gethan. Als die vom Regen durchnäßten Gewehre nicht mehr losgehen wollten, schlugen die braven Burschen mit Kolben drein und munterten sich mit dem Zuruf auf: „det fluscht better.“

„Der Geist im Heere ist trefflich; leider scheint in der Führung nicht die nöthige Einigkeit zu herrschen. Die Nachrichten vom böhmischen Heere lauten nicht eben tröstlich. Schwarzenberg hat den Rückzug antreten müssen und auch von Blücher hört man aus Schlesien nicht gerade Erfreuliches.“

„Für den alten Husaren hab’ ich keine Furcht. Geben Sie Acht, ehe wir uns versehen, erfahren wir von ihm ein echtes Reiterstücklein.“

In demselben Augenblicke erschien ein trotz seines hohen Alters noch immer stattlicher Mann von einem vornehmen Aeußern im blauen Leibrock und mit fein gefältelter Calotte, die Flinte auf der Schulter. Man konnte ihn für einen höhern Staatsbeamten halten. Sein großes, sprechendes Auge schien vor Freude zu glänzen. Er beschleunigte seinen sonst gemessenen und würdevollen Gang, als wollte er sich beeilen, der Erste zu sein, um eine frohe Botschaft zu überbringen.

„Sieh da, Herr General-Director Iffland!“ rief ihm Schleiermacher schon von Weitem entgegen und reichte ihm die Hand.

Der berühmte Schauspieler schöpfte tief Athem, ehe er den Gruß des ausgezeichneten Theologen erwiedern konnte. Dem Meister des Wortes fehlte nun das rechte Wort, so hatte er sich aufgeregt.

„Sieg!“ rief er endlich mit zitternder Stimme, „doppelter Sieg! Blücher hat die Franzosen an der wüthenden Neiße in Schlesien auf’s Haupt geschlagen und Vandamme ist bei Kulm in der Nähe von Teplitz gänzlich vernichtet, sein Heer aufgerieben und er selbst gefangen worden.“

Es war zu viel des Glückes; die edlen Vaterlandsfreunde wagten kaum, daran zu glauben. Schleiermacher hatte seine Hände gefaltet und in Fichte’s Augen glänzte eine Thräne.

„Woher haben Sie die Nachricht?“ fragte dieser, eine neue Täuschung fürchtend.

„Ich habe einen Brief von Gneisenau gelesen und außerdem bin ich auf dem Kriegsministerium gewesen, wo das freudige Ereigniß ebenfalls bekannt ist. Morgen wird es schon in den Zeitungen stehen.“

Niemand vermochte zu sprechen, sie standen stumm; der Schauspieler, der Philosoph und der Kanzelredner hatten ihre Blicke zum Himmel empor gerichtet und dankten leise, jeder in seiner Art, dem Helfer in der Noth.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht unter den übrigen Landsturmleuten; sie schlossen einen Kreis um die drei berühmten Männer, welche ihnen die näheren Mittheilungen machten, so weit sie davon selber Kenntniß hatten.

Iffland schloß den Bericht mit dem Rufe: „Es leben die Sieger an der Katzbach und bei Kulm!“

„Sie leben!“ wiederholten die Landstürmer, ihre Mützen und Hüte schwingend.

Von jener unwillkürlichen Begeisterung erfaßt, welche die Menge bei ähnlichen großen Ereignissen zu ergreifen pflegt, stimmten Einige das schöne Lied an: „Eine feste Burg ist unser Gott.“

So zogen die Vaterlandsvertheidiger und an ihrer Spitze Fichte, Schleiermacher und Iffland singend von der Hasenheide nach Berlin, den Sieg ihrer Cameraden feiernd. Das war ein schöner Tag.

Ein Jahr später erlag Fichte dem Typhus, und starb daran als ein Opfer seiner Menschenfreundlichkeit und seines Patriotismus. Auf seine Veranlassung hatte sich seine Frau der Pflege der Nervenfieberkranken in den Spitälern gewidmet; sie selber wurde angesteckt; sie genas, aber an ihrem Krankenbette holte sich Fichte den Todeskeim; er starb den 29. Januar 1814, im Leben wie im Tode ein echter Freund des Vaterlandes, der mit dem Wort wie mit der Waffe für dasselbe kämpfte. Ehre den deutschen Gelehrten, die ihm gleichen!

Max Ring.




Prokrustes-Qualen im neunzehnten Jahrhundert.
Winke für Fußbekleidungs-Drangsaler und Gedrangsalte.[1]

Die alten Griechen erzählten ein Märchen von dem bösen Manne Prokrustes, der die Leute in ein zu kurzes Bette gezwängt und die zu langen Glieder ihnen abgeschnitten, oder umgekehrt in einem zu langen Bette die Gemarterten so lange gestreckt

  1. Nach Dr. Herrmann Meyer, Professor der Anatomie in Zürich, frei bearbeitet. Das ausführliche Original befindet sich in der Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereins in Zürich. II. Jahrgang, 1857. S. 62.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_372.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)