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mehr, je zurückhaltender sie trotz aller Milde gegen ihn war. Er war nie ein Mann von vielen modischen Worten gewesen, und glaubte, sich ihr schweigendes Dulden seiner Aufmerksamkeiten günstig deuten zu dürfen. Er wandte sich mit seinem Antrage an die Eltern, diesen konnte Niemand als Schwiegersohn erwünschter sein. Louise selbst gerieth durch den Antrag des Mannes, dessen ehrenhafte Geradheit ihr erst Achtung, dann Neigung abgezwungen hatte, in die peinvollste Bedrängniß. Konnte sie den Mann täuschen, der ihr sein ganzes Herz, seinen unbefleckten Namen entgegenbrachte? Aber was sollte sie sagen? Mit welchen Gründen sollte sie einem Antrage ausweichen, der nach der Meinung Aller ihr Lebensglück sicherte? Die Eltern, welche überzeugt waren, daß ihre Tochter an der Seite eines liebenden Gatten zu neuem Leben genesen würde, boten alle Gründe der Ueberredung auf – ihr eigenes Herz sprach nur zu laut dafür! Und Er redete selbst mit ihr. Und wie klang es so rührend, als der ernst und treu blickende Mann sie bat, Vertrauen zu ihm zu haben, als er gelobte, ihrem jungen Herzen und ihrer noch nicht befestigten Neigung kein Opfer zuzumuthen, zu dem sie sich nicht freiwillig bereit finden würde; als er davon sprach, daß, wenn noch eine liebe Erinnerung zwischen ihm und ihrem Herzen stände, er geduldig warten wolle, bis die Stunde seines Glückes geschlagen haben werde. Es war ihr, als müßte sie ihre Seele ausweinen vor Schmerz über den Jammer, den ihr thörichtes unerfahrenes Herz über ihr Leben gebracht. Er saß neben ihr, schweigend, selbst von Rührung ergriffen, nicht wagend, ihre Bewegung für sich zu nutzen. Aber er hatte ihre Hand gefaßt und hielt sie in der seinen. So saßen sie lange nebeneinander und sprachen nicht, aber eine Welt von Gefühlen zog durch Beider Herzen. Daß ein Gott in dieser Stunde das Wort des Vertrauens auf ihre Lippen gelegt hätte! daß sie dem Manne, der ihre Seele mit unbegrenzter Achtung und scheuer Liebe erfüllte, zu Füßen gesunken wäre, ihn zum Vertrauten ihres Unglückes gemacht hätte! Es sollte nicht sein. So oft sie die Lippen zu dem traurigen Bekenntnisse öffnen wollte, trat das Gespenst des Verführers vor ihre Seele, mit den maskenhaft geschminkten Wangen, dem künstlich verwilderten Haupthaar, und drohte ihr mit zornfunkelnden Augen, – und das Wort erstarrte ihr im Munde. Sie konnte das Schreckliche nicht sagen – ihm nicht sagen, und sollte sie darüber zu Grunde gehen.

Ein Brief der Uhrmachersfrau, der durch eine vertraute Freundin (die einzige, die sie besaß) eingetroffen war, ließ sie endlich nachgeben. Diese schrieb, daß sie auf dem Wege nach Amerika sei, sie wandere aus zu Verwandten, welche sich in Ohio angesiedelt hatten und nach ihr schrieben. Sie nahm Abschied für immer und dankte für alle erwiesenen Wohlthaten. Des Knaben erwähnte sie nicht, – es war ihr zum Gesetz gemacht worden, seiner niemals vor Louisen zu gedenken. Lebte er – war er gestorben? Das letztere schien das Wahrscheinliche und Louise glaubte es.

So ward sie des Kriegsraths Gattin. Ihrem Wunsche gemäß wurden sie in einer entfernten kleinen Dorfkirche getraut. Die Ehe war keine glückliche. Der Dämon des Geheimnisses, das unausgesprochen zwischen ihnen lag, trennte die Gatten von einander, ehe sie sich recht zusammengefunden hatten. Kein fröhliches Kindergesicht trat als Friedensengel zu ihnen; sie wurde immer demuthsvoller, ergebener, scheuer; er fühlte sich zurückgestoßen, sein Gefühl wurde verstimmt, das Bewußtsein, ihr durch jahrelange Hingebung kein Vertrauen, kein unbefangenes Entgegenkommen abgewonnen zu haben, lastete auf seiner Seele und entfremdete ihn dem Gedanken an eheliches Glück. Die Kluft zwischen ihnen wurde immer größer, sie gingen nur noch neben einander her, zwei gedrückte, unglückliche Menschen. Jede Gemeinschaft hatte zwischen ihnen aufgehört. Er verschloß sich in sich selbst, sie härmte sich ab und hoffte Erlösung durch den Tod. – Die einzige Bedienung in der Haushaltung des Ehepaares war ein junges Mädchen, welches die Mutter Louisens ihnen zugesandt hatte, und das in dem Hause der Schwiegereltern mit den jüngeren Geschwistern herangewachsen war. Die „blonde Marie“ – so hieß sie wegen ihrer blonden Haarflechten von seltener Schönheit – vermittelte den Verkehr zwischen den Ehegatten. Mit dem scharfen Blicke des Weibes hatte sie das Zerwürfniß zwischen den Gatten erblickt. Obgleich sie in keinem Punkte der strengsten Pflichterfüllung etwas vergab, so zeigte sie der Frau gegenüber nur die gemessene Ehrerbietung die sie der Herrin schuldete, während sie in allem, was den Herrn betraf, die theilnehmendste Sorgfalt verrieth. Es war, als trauere sie mit ihm um sein trübes Eheleben, obgleich niemals eine Sylbe über ihre Lippen kam, welche ihren innern Antheil verrieth. –

Eines Tages hatte ein bedenklich aussehender Mann den Kriegsrath zu sprechen verlangt, ohne seinen Namen nennen zu wollen. Er war eine geraume Zeit bei ihm geblieben und hatte sich dann entfernt. Der Kriegsrath hatte sich den Tag über eingeschlossen. Gegen Abend öffnete er die Thür seines Arbeitszimmers, – er brauchte nicht zu rufen, die treue Dienerin harrte schon seit Stunden mit Angst auf den Ruf des Herrn. Er war noch ernster, blasser als sonst.

„Marie,“ sprach er, „ich kann Dir vertrauen –.“ Sie ahnte ein Unheil und rang die Hände. Er schüttelte mißbilligend mit dem Kopfe – sie schwieg. „Dies Packet übergibst Du morgen meiner Frau – ich verlasse das Haus für immer. Ich beziehe eine andere Wohnung, die Sachen, die ich bezeichnet habe, werden abgeholt werden. Bleibe bei meiner Frau, sei ihr treu – ich vertraue Dir. Für Deine Zukunft werde ich sorgen.“

Er übergab ihr ein Packet Briefe, versiegelt und an Frau von P. adressirt. Das treue Geschöpf sah ihn mit dem Ausdruck ungeheuchelten Schmerzes aus den in Thränen schwimmenden blauen Augen an und konnte kein Wort sprechen.

„Marie – es muß sein!“ Weiter sagte er nichts. Er berührte leise ihr Haupt mit der Hand und ging, um nicht zurückzukehren.

Das Packet enthielt die Briefe, die Louise in der Pensions-Anstalt an den Schauspieler geschrieben hatte, es ging Alles daraus hervor. Der Kriegsrath selbst hatte nur wenige Worte hinzugefügt. Sie enthielten die Bitte, ihn als gestorben zu betrachten und ihn womöglich zu vergessen. Er verzeihe ihr, aber sie müßten fortan für einander todt sein. Das Uebrige waren Dispositionen über ihre Vermögensangelegenheit und die Sicherstellung eines ausreichenden Einkommens für die Lebenszeit.

Wie sie den letzten Schlag ertrug, war äußerlich schwer zu erkennen. Die Briefe an ihre Jugendfreundin, welche bisher den Wegweiser für ihre Geschichte bildeten, hörten in dieser Epoche auf. Nur wenige Zeilen schienen aus dieser Zeit herzurühren, ein Streifen Papier, mit unsicheren Schriftzügen die Worte enthaltend:

„Ich bin erlöst von der Verdammniß der marternden Angst und erdulde die sichere Qual der ewigen Verdammniß. Ich kann nicht mehr weinen. Ich harre auf die Nacht, der kein Morgen mehr folgt.“

Die weiteren Nachforschungen über den Verbleib der Uhrmachersfrau ergaben, daß dieselbe in der That nach Amerika ausgewandert sei, und zwar allein, ohne Begleitung eines Kindes. Ihre Absicht war es ursprünglich gewesen, den Knaben mitzunehmen; auf dringendes Zureden eines bejahrten kinderlosen Verwandten, welcher versprach, für den Knaben zu sorgen, entschloß sie sich jedoch, ihn zurückzulassen. Ludwig sollte bei seinem neuen Pflegevater die Kunstdrechsler-Profession erlernen und, wenn er seine Selbstständigkeit erreicht haben würde, nachfolgen. Der alte Mann starb jedoch schon im zweiten Jahre nach der Abreise der Uhrmachersfrau, Ludwig vollendete bei einem andern Meister seine Lehrzeit und führte seitdem das unstäte Leben eines wandernden Handwerksburschen. Wie es ihm gelungen war, seine Mutter ausfindig zu machen, konnte nicht ermittelt werden. Frau v. P. lebte in tiefster Zurückgezogenheit, die blonde Marie hatte sie bald nach der Trennung von dem Gatten verlassen, der Aufenthalt des Mädchens war unbekannt.

Nachdem diese Verhältnisse so weit aufgeklärt waren, konnte man hoffen, von dem Angeklagten ein offenes Geständniß desjenigen zu erhalten, was bis jetzt anderweit nicht ermittelt werden konnte.

Aber es schien, als sollte Alles, was mit dieser Untersuchung zusammenhing, sich auf unerwartete Weise gestalten. Wieder war es Herr Wichert, der Agent, der mich an einem frühen Morgen mit der Neuigkeit überraschte, daß Ludwig *** in der Nacht vor seiner Zurücklieferung in das Gefängniß in der Bekleidung des Krankenwärters seiner Station entsprungen sei.

Sofort erlassene Steckbriefe, die eifrigsten Nachforschungen der Polizeibehörde erwiesen sich als gänzlich fruchtlos. Der Zustand der Wittwe war ein solcher, daß die Möglichkeit, durch sie weiteres Licht in der Sache zu erhalten, gänzlich ausgeschlossen war. Sie sprach kein Wort mehr und saß den Tag über regungslos, mit gefalteten Händen in ihrem Lehnstuhl. Ihre Wärterin ging

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