Seite:Die Gartenlaube (1857) 343.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

verlassene einzelne Pfeifen ertönt, ihm folgt die Frage: „Kennt Ihr den Schößmaier oder auch Laubmann, so sagt seinen Namen.“ Niemand kennt ihn und muß seine Unwissenheit mit einer kleinen Geldspende bezahlen und bekommt dafür nur ein Gelächter und Geschrei der Hölle zu hören. Auf diese Weise geht es durch das ganze Dorf und dann nach beendigtem Ritte auf den Anger zur Enthüllung der theuern Persönlichkeit. Das erhaltene Geld wird zu einem Gelag verwendet, dem öfters Angertanz folgt.

Welchen Sinn kann man dieser Sitte beilegen? Ist sie nur eine Huldigung dem Frühjahr, der beginnenden Neu- und Arbeitszeit des Ackermannes, oder soll sie den Anfang zum fröhlichen Leben im Freien bilden, oder hängt es mit dem früheren Rechte der Vogteier zusammen, daß sie von diesem Tage ab in das Holz fahren durften? Das erstere scheint mir insofern das Wahrscheinlichste, als ein alter Bauer mir erzählte, daß in früherer Zeit eine zweite Persönlichkeit, in dürres Holz gepackt, mit herumgeführt worden sei, dessen Hülle zu einem Freudenfeuer und Opfer für das Gedeihen der Frucht verbrannt, während die Hülle des Anderen aus Schößlingen (davon der Name) bestehend, von den Burschen in die Erde gesteckt worden sei, um zu grünen und zu wachsen. Jedenfalls ein sinniger Naturcultus, wiewohl ich keiner Bestätigung von anderer Seite habhaft werden konnte.

Der dritte Tag ist der erste Kirchmeßsonntag. Ein noch regeres Leben zeigt sich da in den Dörfern, der Hauptfreudentag seiner Bewohner ist ja da; die reiche Ernte ist glücklich in den Scheuern geborgen; die Arbeit für das Leben im Freien läßt nach und räumt den häuslichen Verrichtungen den Platz ein. Noch wölbt sich der blaue Himmel über die Erde, noch erfüllt warme Luft die Atmosphäre, die Bäume aber entfärben sich, dem freudigen Grün folgt das leuchtende Roth und Gelb, und jeder Windzug läßt das Laub vor dem nahen Untergang erzittern. Noch einmal unter solchen Umständen fröhlich zu sein, und die Herrlichkeiten der Natur mit vollen Athemzügen zu genießen, wer wird das für unnütz halten? Zahlreiche Städter und Städterinnen wandern den Orten zu, den hat die Milchfrau gebeten, diesen die Butterfrau, jenen der Hoflieferant und jenen die Freundscht (Freundschaft). Küche, Boden und Keller haben ihre Schätze öffnen müssen; Kuchen sind aufgespeichert und Fleisch von selbstgeschlachteten Thieren oder auch gekauft, wartet nur mit den nöthigen Salaten u. s. w. auf die Stunde der Vergeistigung.

Ebenso wie hier ein ewiger Kreislauf, so ist auch ein Drehen, Laufen, Schreien und Singen, ewiges Wechseln von Gruppen als Kreislauf der Kirchmeß zu bemerken. Essen und Trinken erhält den Leib, sich einmal aber in der Lieblingsspeise dick und satt essen zu können, ist sicher der höchste Genuß für den sinnlichen Menschen, und schon der Gedanke daran vermag die Brust zu schwellen und Freude, Wonne, Seligkeit über das Gesicht und die Bewegung eines solchen auszugießen. Wie schaukelt so süß lächelnd jener, noch das Gesangbuch unter dem Arme, die aus dem Backs (Backhaus) geholte Pfanne-Tiegel mit Kartoffeln, Kümmel und Hammelfleisch, wie umnebelt jenem das ihr entsteigende duftige Aroma; mit welchen Schritten eilt dieser wieder seinem Gehöfte zu, und endlich welche Begierde spricht sich bei diesem aus, indem er die Thür seines Gehöftes überschreitet! Nur wenige Minuten und der süßeste Wunsch, die heißeste Sehnsucht ist gestillt, das Warten hat sich reichlich belohnt, und bedächtig hält er Nachkost mit Ablecken der Lippen.

Doch genug davon, denn schon sammelt sich das Völkchen auf dem Anger und in den Tanzlocalen. Da in letzteren das Eigenthümliche verschwunden ist, so wählen wir den Anger. Personen mit schon geschilderten Trachten stehen dicht gedrängt mit solchen in anderer Tracht, die ich noch kurz anführen will, so weit sie Eigenthümliches einhüllt. Statt des Chormantels umschließt die starken Frauen ein Mieder von grünem oder blauem groben Tuch, vorne in zwei Klappen oder richtiger „Beidergewand“, aus Leinen und Wolle, was nur der Vogtei eigen ist, am Halse umgelegt und mit zwei Reihen dicht gedrängter kleiner, blanker, manchmal auch Tuchknöpfe besetzt, und durch einen Gürtel mit Stahlschnalle zusammengehalten. Ein kurzer dunkler Rock, am Saume mit breiten, meist hellgrünen Seidenstreifen eingefaßt, und zur Hälfte von einer meist dunkelblauen Schürze überdeckt, bildet mit dem schon bekannten Dutenheit und Schnallschuhen die übrige Bekleidung. Die heißblütigern Mädchen haben nur ein stark ausgeschnittenes Schnürleibchen von gleichem Tuch; das weiße selbstgefertigte Leinenhemd umschließt den Körper bis zum Halse, wo ein gesteppter und oft mit bunten Faden verzierter Kragen die Einfassung bildet. Die kurzen Puffärmel, mit gleichem Saum wie am Halse eingefaßt, sind zur Hebung der Tracht wie geschaffen.

Ein einfaches, buntes, breites Tuch legt sich denn auch öfters über die glatt nach hinten zu gekämmten, in einen Büschel geschlungenen Haare, oder es nimmt ein einfacher Strohhut mit halb sich deckenden schwarzen Rosetten geschmückt, die Stelle ein. Zwischen diesen Gestalten steht ein Bursche mit topfförmigem schwarzem Filzhut, dem Nachkommen des Dreimasters, und nicht weit davon der arme Arbeitsmann in seinem langen Kittel, dem am Halse ein Schild mit Namen oder Zierrath mit buntem Faden eingenäht ist, seiner Zipfelmütze, den eng anliegenden Kamaschen über die dürren Beine und plumpen Schuhen. Kinder, kaum dem Gängelband entlaufen, tummeln sich frohlockend in derselben Tracht, zu wahrer Carricaturen geschaffen, dazwischen herum.

Alles harrt des Zeichens des Anfangs, da schmettert eine Trompete das Signal, ein allgemeiner Jubelruf antwortet. Die wild durch einander stehenden Leute ordnen sich und bilden einen Kreis. Die Musik beginnt, der Platzmeister tritt auf, bedächtig den Stab, das Zeichen seiner Würde in der Hand wiegend, er spricht den Gruß an die Gesellschaft, schwenkt seinen mit Blumen geschmückten Hut, winkt mit dem Finger und sein Mädchen eilt mit ihm zum Tanze. Ganz allein mit seinem Mädchen, das vorzüglich festlich geschmückt ist, und eine große Haube mit allerlei Putz auf dem Kopfe balancirt, so daß ihre Kopfbewegungen ganz bedächtig und schwerfällig sind, umtanzt er einige Male den Platz, und zwar einmal tanzend, einmal gehend. Auch der zweite Tanz gehört ihm, nach diesem erfolgt erst das Tanzen der Angergesellschaft, die einen geschlossenen Zirkel bildet. Es ist halb Hopser, halb Zweitritt, was man sieht. Das Engagiren erfolgt mittelst Zurufen und Winkens der Burschen zu den Mädchen, die dann ihrem Tänzer zueilen. Der Platzmeister ist der Festordner und veranlaßt das Tanzen und Gehen; eine Bank, außer der, worauf die Musik sitzt, existirt nicht und daher fortwährendes Tanzen oder Gehen des betheiligten Paares. Nach einigen solchen Tänzen steht dem Platzmeister einer allein wieder zu. Man glaube aber nicht, daß dieses unschuldige Vergnügen frei von Aufmerksamkeiten ist, nur umgekehrt stellt es sich hier, indem die Mädchen den Burschen Etwas schenken; Einzelnen mag es sogar für ihre Verhältnisse hoch zu stehen kommen, da es nicht bloß künstliche Blumenbouquets, sondern auch Tücher und dergleichen sind, die den Burschen zum Tanze geneigt machen müssen.

Abends gegen 6 Uhr ist große Pause bis circa 8–8½ Uhr (das Abendbrod und das Abwarten des Viehes nimmt diese Zeit in Anspruch), um dann mit erneuten Kräften bei an den Bäumen aufgehängten Lämpchen bis in die Nacht hinein weiter fortfahren zu können.

Der vierte Tag ist der Montag zur Kirchweihe, indem sich da außer dem eben beschriebenen Tanzfest noch das Hammelsuchen dazu gesellt.

Durch freiwillige Beiträge wird nämlich soviel zusammengebracht, daß der Platzmeister von einigen Rathmännern unterstützt den Hirten einen fetten Hammel abkaufen kann. Sobald das geschehen, bringt der Hirt denselben in die Flur und treibt ihn ungesehen in ein beliebiges Gebüsch; eilt dann nach Haus und verkündet das Geschehene. Nun steigen die Burschen, festlich geschmückt, mit Peitschen, Pistolen, Stäben bewaffnet zu Pferde, die Mädchen nehmen auf Leiterwagen Platz und in rasendem Galopp, Musik an der Spitze, geht es nun hinaus in die Flur, den Hammel zu suchen. Ein ununterbrochener Jubel zeigt auf eine halbe Stunde Entfernung die Richtung des Chors, unter ihn mischt sich das Schießen, Trommeln, Pfeifen, Pferdegewieher und Gestampfe, das dem sicher ganz bange wird, den das Geschick dazwischen führt. Endlich ist er gefunden, er wird gebunden, mit Blumen geschmückt und der Obhut der Mädchen auf den Wagen anvertraut und nun geht es noch viel toller heimwärts auf den Anger. Hier angekommen hält der Platzmeister eine Rede, die sich aber zum größten Theil aus Zweideutigkeiten bildet, der Hammel wird geschlachtet und dann zu der Gemeinschenke gebracht, wo das Vertilgen das Ende dieser Festlichkeit ausmacht. Mit dem Felle wird die Musik abgefunden. Abends ist natürlicher Weise wieder Tanz auf dem Anger, doch bietet der heutige Tag noch die Ausübung einer weitern Sitte durch das Gesundheittrinken. So lange, wie das Trinken existirt, besteht zwar überall auch diese löbliche

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_343.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)