Seite:Die Gartenlaube (1857) 342.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Reihen, zum größten Theile abgeputzt und mit eigenthümlich bunt bemalten Fensterladen in dem Parterre versehen. In den Ausläufern des Dorfes nur findet man ärmlichere Wohnungen, die sich aber öfters durch die umgrenzenden Gärten zu malerischen Bildern gestalten.

Ein gewisser Wohlstand ist gleich auf den ersten Blick nicht zu verkennen, wie auch, daß ein gesunder, thätiger Menschenschlag die Bewohner bildet, der jedoch den Begriffen der Jetztzeit nach durch sein Festhalten am Alten versimpelt ist. Das männliche Geschlecht ist meist lang und hager emporgewachsen, hat ein langes Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen, langgezogener Nase, mit verschmitzt umherblickenden Augen, denen man die ununterdrückbare Neugierde auch noch ansieht, und glattem Haar. Das weibliche Geschlecht ist durchschnittlich um ein Wesentliches kleiner, dadurch gedrungener, kräftiger gewachsen, hat mehr ein breitgedrücktes Gesicht mit gleichfalls vorstehenden Backenknochen, aber mehr den Stumpsnasen sich nähernden Nasen. Das eigenthümlichste dieses Völkchens ist, daß beide Theile keine Waden haben, so daß sie selbst unter sich über ein mit Waden beschenktes Individuum sagen: „der is nöch vom Stamm.“

Diese drei Dörfer, Ober- und Niederdorla und Langula, Namen, deren ältere urkundliche Form Turnilohnu, Durnloh, Dorlo und Langelo die Entstehung in einer Waldgegend, dem Hainichwalde, durch die Endsylbe bekundet, bildeten in früherer Zeit die Hauptorte der Vogteier Mark, indem noch eine Menge Ortschaften, die theils noch bestehen, theils blos in den Namen der Wüstungen übrig geblieben sind, dazu gehörten, und waren dem Westgau des fränkischen oder Süd-Thüringens, der von der Unstrut, an der Werra hin, bis zur Hörsel geht, einverleibt.

Die Vogteier haben eine weite und nicht unbedeutende Vergangenheit. Bereits 860 wird Dorla in einer Schenkung des Grafen Erpho an das Stift Würzburg genannt und 987 wurden die Kirche durch Erzbischof Willipis von Mainz eingeweiht, dem bei dieser Gelegenheit ein Theil der Vogtei urkundlich geschenkt ward. Ein anderer Theil der Vogtei gehörte den Herren von Salza und Treffurt, die durch Fehden genöthigt wurden, ihr Besitzthum an die Fürsten von Hessen und Sachsen abzutreten, von wo die Landschaft abermals 1360 durch Verpfändung an die freie Reichsstadt Mühlhausen kam. Die Vogteier wußten sich aber unter allen Verhältnissen ihre eigene Verfassung treu zu bewahren, Zins-, Steuern- und Feldstreitigkeiten wurden des Jahres drei Mal in Oberdorla vor der Kapelle durch den Rotding geschlichtet, „zweimal bei dürrem und einmal bei grünem Futter,“ ein öffentliches Gericht, das aus den Schultheißen der Orte, zwölf Schöppen und zwei Vitzthumen bestand. Bürgerliche und peinliche Processe entschied der Vogtding, eine Art Gaugericht, das aus den Persönlichkeiten des Rotding und einigen Gerichtsbeamten der jeweiligen Herren oder Pfandinhaber der Vogtei bestand. Durch dieses Selbstregieren erhielten sich die Vogteier eine Selbstständigkeit und es bildete sich dadurch in jedem Einzelnen ein gewisser Stolz aus, der auf der einen Seite sehr berechtigt schien, anderer Seits aber oft in Trotz und Ueberhebung überging. Das „I muß mi Rächt hahn“ der Vogteier ist sprüchwörtlich geworden und hat schon Manchem einen Theil seines Vermögens gekostet; ihre Zähigkeit in andern Sachen ist auch bekannt genug. Bei alledem wußten sie sich aber dabei auch ihre Unabhängigkeit stets zu erhalten, selbst als nach den Bauernkriegen, die namentlich in dortiger Gegend arg wütheten, der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen die Reformation mit Gewalt einführte und selbstredend dabei die Oberleitung der kirchlichen Angelegenheiten sich für immer aneignete, der 1736 die förmliche Besitznahme des größten Theiles der Vogtei folgte. Schon 1803 ward indeß die Landschaft durch Beschluß der außerordentlichen Reichsdeputation an die Krone Preußens abgetreten, die aber factisch erst 1816 durch die Wiener Congreßacte Besitz ergreifen konnte.

Ueber fünfzig Jahre sind die Vogteier bereits preußische Unterthanen und als solche auf gleichem Standpunkt mit den früheren, d. h. ohne alle Vorrechte, aber es wird ihnen jetzt noch schwer, sich in diese neue Ordnung zu fügen, und die Liebe zu dem Alten und Hergebrachten ist Allen tief in’s Herz geschrieben. Ihre Wehmuth, daß Kinder und Enkel einst nichts mehr von ihren langbehaupteten Rechten und Gebräuchen haben sollen, als die durch die Tradition fortgepflanzten Mittheilungen, hat etwas Rührendes, und wenn sie auch von ihren frühern Rechten jetzt vollständig absehen müssen, so suchen sie wenigstens in ihren Sitten, Gebräuchen und Trachten die frühere Zeit noch aufrecht zu halten.

Wandern wir nun selbst in die Landschaft ein und suchen uns durch Augenschein ein frisches Bild dieses seltsamen Völkchens zu schaffen. Fünf Tage des Jahres können uns da am besten über Trachten und Sitten aufklären. Der erste ist der Charfreitag. Eine feierliche Stille herrscht durch das ganze Dorf, kaum sieht man ein altes Mütterchen hinter dem Fenster stehen und vorlugen; Alles, was gehen kann, ist in der Kirche; die Einsegnung der Confirmanden und der Genuß des Abendmahls hat die Bewohner dahin gerufen. Jetzt ist die Kirche aus, die Thüre öffnet sich. Kommt eine Procession heraus oder ist wie bei den Katholiken Hochamt gewesen, oder hat jeder Bewohner seine Kirchendienerin? Nein, das Alles nicht; es sind die Bewohner selbst in ihrem Sonntagsstaat, und vorzüglich die „Freiben“ (Frauen) und „Maichen“ (Mädchen), die diese Befürchtungen aufkommen ließen. Ein langer weißer Mantel, ganz nach Art eines Chormantels, in viele Falten am Hals gelegt, umschlingt die Gestalten dermaßen, daß nur die grünen und blauen Tuchschuhe mit Lederbesatz und großen silbernen und stählernen Schnallen, durch die meistentheils ein hellgrünes Band als Schleife gezogen ist, und die schwarzen Strümpfe eigentlich hervorsehen, denn auf dem Kopfe thront die Schnorrbätzen (Mütze) und verdeckt Haar und Hals. Diese Mütze besteht aus einer kleinen Haube von Pappe, die mit schwarzer Seide oder Atlas überzogen ist und in dergleichen Bänder ausläuft. Schneeweiße Spitzen (von deren gebrannter runder, welliger Form das „Schnorr“), die zur Seite wie ein geöffnetes Scheuerthor in die Welt hinausstehen und oben auf der Stirne in eine Schneppe zusammenlaufen, umfassen die Kante der Haube. Zwischen diesen Schnorrbätzen hindurch windet sich noch ein anderer Kopfputz bei sonst gleicher Kleidung. Es ist der Spitzen-, auch Duten-Heit (Hut) einer Gevatterin. Ein Posamentirladen hat da sicher seinen ganzen Spitzenvorrath hergeben müssen, um dieses Kunstwerk der Mode auszustaffiren! Der Hut besteht aus dem einfachen Dutenhut, aber bis in’s Unendliche mit zierlichen Spitzen in den verschiedensten Formen umwunden. Leider konnte ich hiervon keine Zeichnung machen, indem diese Kopfbedeckung nur äußerst selten bei besondern festlichen Tauffällen vorkommt, und dann allemal erst zwei Tage vorher (so viel Zeit erfordert sie nämlich bei einer geschickten Putzmacherin nach Aussage einer Vogteier Frau) angefertigt, und nach Beendigung des Festes gleich wieder zerlegt wird.

Gravitätisch schreitet der Mann oder Bursche einher; ein langer, enganliegender, kurztailliger grüner oder blauer Ueberrock mit blanken Knöpfen, die dicht aneinander in zwei Reihen aufgenäht sind und mit einem stehkragenähnlichen Kragen umschließt seine Gestalt; lederne gelbliche Beinkleider reichen bis zum Knie und sind hier mit langen schmalen Riemen zusammengebunden, so daß aber noch eine Menge davon zum Herumbummeln übrig bleibt. Enge Halbstiefeln umfassen das wadenlose Bein und lassen die grauweißen Strümpfe ein Stückchen hervorsehen. Der Kopf erhebt sich zwischen dem über den Rockkragen hervorragenden, mit meist dunkel buntem Tuche unterbundenen gesteppten weißen Hemdkragen, stolz die Lampe, einen Dreimaster von ungeheuren Dimensionen, balancirend. Alte Leute kommen mit dem Stoab (Stab) angewankt, und besteht dieser aus einem Stück Latte von Zweidrittel Höhe des Trägers.

Der zweite Tag ist der erste Pfingstfeiertag. Wie anders sieht es da in dem Dorfe aus! Der blaue Frühjahrshimmel hat die Bewohner auf die Straße gelockt, und läßt sie sich singend und lärmend ergehen, gleich als wenn der heitere Himmel, die reinere Luft, das zu neuem Leben hervorsprießende Grün des Waldes und der Flur auch in ihnen neues fröhliches Leben erzeugt hätte. Alles, was eine Kehle hat, jubelt und lacht, Freude malt sich auf jedem Gesicht. Unter das Schreien und Rufen mischt sich Pferdegetrampel und gelles Pfeifen. Plötzlich ist Alles ruhig, nur eine Pfeifstimme ist hörbar und im Nu ist wieder ein Gelächter und Geschrei. Was gibt es denn? fragen wir erstaunt.

„Es wärd der grüne Laubmann eingeführt,“ antwortet uns jede Persönlichkeit, „kennt er das noch nöcht? Das es schienne, da muß er einmal dablieben, h’er wärd gleich kümmen (kommen).“

Der Troß kommt näher, auf aufgeputzten Pferden paradiren die Burschen in ihrem Sonntagsstaat, zwei von ihnen führen an einem Faden eine ganz in Laub eingemummelte Gestalt, gleichfalls zu Pferde, die durch die Zweige hindurch immerwährend pfeifen muß. Vor jedem Haus halten sie an, der Skandal legt sich, das

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_342.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)