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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

fand sich somit kein Anhalt für eine andere Vermuthung, als die, daß der Tod des Kriegsraths die Folge einer Lungenlähmung gewesen sei, und der Physicus faßte sein in negativer Form abgegebenes vorläufiges Gutachten dahin ab, daß kein Grund vorhanden sei, eine ausgeübte Gewalt als Todesursache anzunehmen, daß auch nichts für die Annahme einer Selbstentleibung spräche. Nichts desto weniger wurden der Magen, die Speiseröhre u. s. w. den Gerichtsärzten unter Beobachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten zur chemischen Untersuchung eingehändigt, ob vielleicht eine Vergiftung stattgefunden habe.

Von der Gerichtsbehörde war gleichzeitig die amtliche Auskunft ertheilt worden, daß der Verstorbene kein Testament bei dem Gerichte niedergelegt habe.

Zu wessen Gunsten war demnach sein Leben versichert worden, da seine Ehefrau einen Anspruch auf diese Summe weder haben sollte noch wollte, und ein Testament, wie der Verstorbene gegen den Agenten bemerkt hatte, nicht errichtet war? Die Police lautete ausdrücklich „zahlbar an die in meinem nach Landesgesetzen rechtsgültig errichteten Testamente benannte Person oder deren gesetzliche Erben.“

Als die Deputation des Gerichts mit dem ärztlichen Personal die Sterbewohnung eben verlassen wollte, trat ein Herr ein, den ich sofort als den früheren Begleiter des Verstorbenen bei dessen Spaziergängen und Schachpartien erkannte. Er stellte sich dem Beamten in sichtlicher Bewegung als einen Freund und ehemaligen Kameraden des Verstorbenen vor und bezog sich auf einen Brief der Wittwe, Inhalts dessen er um den Liebesdienst ersucht wurde, sich den Anordnungen für ein angemessenes Leichenbegängniß zu unterziehen. Der Staatsanwalt, welcher gleichfalls zugegen war, begrüßte den Eingetretenen als einen Bekannten und stellte ihn als den Major von Sebald vor.

Man trat wieder in das Schlafzimmer. Der alte Soldat ging auf die Leiche seines verstorbenen Kameraden zu, an welchen, die Spuren der vorgenommenen Section kunstgerecht beseitigt waren. Er faßte seine rechte Hand, legte die eigene Linke auf das Haupt des Entschlafenen, und zwei große Thränen rannen die gebräunte Wange hinab in den grauen Schnurrbart.

„Er war mein einziger wahrer Freund,“ sprach er, zu uns gewendet, „ich war ihm um ein Dutzend Jahre in der Anciennetät überlegen, und nun ist er heimlich vor mir zur großen Armee ausgerückt!“

Wir waren alle von dem treuherzigen Ausdruck soldatischen Schmerzes ergriffen. Der Staatsanwalt entfernte den Major von der Leiche, und setzte ihm die Lage der Sache auseinander, die einzelnen Verdachtsmomente, die Höhe der genommenen Lebensversicherung, den Mangel einer letztwilligen Verordnung. Er schloß mit der Frage, ob der Major irgend eine Vermuthung über den Zusammenhang dieser Dinge habe.

Der Major war betroffen, konnte aber keine Auskunft geben. In ihrem langjährigen persönlichen Verkehr sei niemals die Rede auf die häuslichen und noch weniger die Vermögensverhältnisse gekommen. Er habe gewußt, daß die Erörterung derartiger Angelegenheiten seinem Freunde peinlich sei, und es sich deshalb zum unverbrüchlichen Grundsatz gemacht, in diesen Punkten die äußerste Discretion zu beobachten. Er wisse heute noch nicht, ob sein verstorbener Kamerad arm oder reich gewesen sei, ihr beiderseitiger Verkehr habe auf einer andern Grundlage beruht, als auf äußerlichen Beziehungen.

Also auch von dieser Seite her war keine Aufklärung zu hoffen. Man schickte sich an, das Haus zusammen zu verlassen.

„Darf ich mir eine Bitte gestatten?“ fragte der Major, bereits an der Thür.

Der Untersuchungsrichter erklärte seine Bereitwilligkeit.

„Ich wünsche das silberne Schachspiel des Verewigten aus der Nachlaßmasse zu erwerben,“ bemerkte der Major, „es knüpfen sich daran Erinnerungen an viele gemeinsam verlebte Stunden, und ich möchte nicht, daß es in fremde, gleichgültige Hände kommt.“

„Hat der Verstorbene ein silbernes Schachspiel besessen?“ fragte der Richter, aufmerksam geworden.

„Allerdings,“ lautete die Antwort, „ich habe es noch am Tage vor seinem Tode bei ihm gesehen.“

„Wo pflegte er es aufzubewahren?“

„Es stand regelmäßig auf diesem kleinen Tischchen hier, dessen untere Klappe, wie Sie bemerken werden, aufzuschlagen geht, und so ein Schachbret bildet.“

Die Beamten sahen sich stutzig an.

„Können Sie uns die Stunde mit Gewißheit angeben, zu welcher Sie das Schachspiel zuletzt gesehen haben?“

„Ganz genau. Wir haben am Dienstag Mittag, also an seinem Todestage, bis ein Uhr noch damit Schach gezogen.“

„Halten Sie es für unwahrscheinlich, daß der Verstorbene das Schachspiel – vielleicht in einer momentanen Verlegenheit – veräußert oder verpfändet habe?“

„Meine Herren, ich halte es geradezu für undenkbar; außerdem besaß der Kriegsrath an seinem Todestage noch eine ansehnliche Geldsumme, die ich selbst in seiner Börse gesehen habe.“

„Können Sie uns den ungefähren Betrag angeben?“

„Es mögen zehn bis zwölf Louisd’or, und eben so viel Ein- und Zweithalerstücke nebst mancherlei Kleingeld gewesen sein.“

„Es ist durchaus keine Silbermünze im Nachlaß des Verstorbenen vorgefunden worden, am allerwenigsten in seiner Geldbörse.“

„Auch nicht der durchlöcherte brabanter Kronthaler und der Sterbethaler mit dem Datum des Todestages Friedrichs des Großen?“

„Auch dieser nicht.“

Der Major stand von höchstem Erstaunen ergriffen da. Auch der Gerichtspersonen hatte sich eine lebhafte Spannung bemächtigt.

„Wollen die Herren mir gestatten, eine Meinung zu äußern?“ nahm nach einer Pause der Major wieder das Wort.

„Bitte, sagen Sie uns unumwunden Alles, was Sie vermuthen.“

„Nun denn, was ich vermuthe,“ sprach der Major mit Nachdruck, „ist, daß mein verstorbener Kamerad sich freiwillig weder des silbernen Schachspiels, noch der beiden Silbermünzen entäußert hat, sondern –“

„Nun?“

„– daß er beraubt worden ist.“

Hatten schon die bisher zur Sprache gekommenen mancherlei Anzeichen die Beamten bedenklich gemacht, so war die bestimmte und mit überzeugender Klarheit abgegebene Erklärung des Majors vollends geeignet, dem einmal angeregten Verdacht neue Nahrung zu geben. Hier lag endlich ein positiver Anhaltspunkt vor, an den weitere Nachforschungen geknüpft werden konnten. Diese mußten sodann zu weiteren Entdeckungen führen, durch welche allein es möglich wurde, alles Geheimnißvolle in dem ganzen Vorgänge aufzuklären.

Der Major gab seine Aussage zu Protokoll, wiederholte alle einzelnen Umstände seiner Wahrnehmungen mit der größten Genauigkeit und beschwor seine Aussage. Jetzt ging man auch darauf zurück, in welchem Zustande man die Börse des Kriegsraths vorgefunden hatte. Von dem Polizeibeamten war sie nicht angerührt worden, derselbe hatte sich nur durch den äußern Anschein überzeugt, daß sie Geld enthielt. Die erste Person, welche sie in die Hand genommen, war der Untersuchungsrichter gewesen. Die Börse war von grüner Seide gehäkelt und mit zwei stählernen Ringen versehen. Das eine Ende der Börse war leer, der Ring weit zurückgeschoben; auf der andern Seite befanden sich sechs Goldstücke; auch hier war der Ring, wenn auch nicht so weit als der andere, zurückgeschoben. Auch diese an sich geringfügigen Umstände trugen, in Verbindung mit der überall hervorleuchtenden peinlichen Ordnungsliebe des Verstorbenen, zur Verstärkung der Annahme bei, daß eine fremde Hand die Börse zuletzt geöffnet habe. Das Gesammtergebniß aller dieser Wahrnehmungen war schließlich, daß als objectiver Thatbestand ein begangener Diebstahl an Gegenständen vorlag, welche unzweifelhaft dem Verstorbenen gehört und sich mit höchster Wahrscheinlichkeit bis zum Moment seines Todes in seinem Besitz befunden hatten.

Ein detaillirtes Verzeichniß der vermißten Gegenstände wurde zum Behufe der anzustellenden Recherchen an die verschiedenen Polizeireviere gesandt; eine Anzahl bestrafter, unter polizeilicher Aufsicht stehender Subjecte wurde unter besonders genaue Controlle gestellt, Haussuchungen wurden bei verschiedenen Personen vorgenommen, welche der Diebshehlerei verdächtig waren. Alle diese Schritte führten zu keinem Resultate.

(Fortsetzung folgt.)



 

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_328.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)