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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Regionen Wallfische mit. Dieses jammervolle Leben, zu welchem sich ein ordentlicher Matrose nicht freiwillig hergiebt, führte er siebenzehn Monate lang. Endlich blieb er ganz geschwächt und krank zu Honolulu (Sandwichinseln) im Spitale zurück, nachdem er durch das Einschreiten des amerikanischen Consuls von seinem Joche frei geworden war. Von seinen weitern Erlebnissen auf den Sandwichinseln mag nun Beck selbst Einiges erzählen.

„Dem alten Marinehospitale in Honolulu gegenüber lag das königl. Hawaische Theater, sehr leicht aus Holz und Bretern gebaut; rechts um die Ecke des Hospitalgartens und in nicht weiter Entfernung stand ein kleines niedriges Häuschen aus demselben leichten Material erbaut. Ich hatte nach langem Siechthume zum ersten Male die Erlaubniß erhalten, einen kleinen Spaziergang zu machen, und war im Begriffe, meine Schritte dem belebteren Stadttheil zuzulenken, als mich mein Weg an jener Hütte vorüberführte. Da haften meine Blicke plötzlich an einem Schilde, welches über der Thüre befestigt war. Auf demselben stand in englischer und französischer Sprache geschrieben: Hier verkauft man Bier, Branntwein und Cigarren. Das Wort Bier übte eine zauberhafte Wirkung auf mich aus. Wie lange hatte ich kein Bier getrunken! – Wie lange war ich von dem schönen Thüringen getrennt, wo es so gutes Bier gibt! – Fünfzehn Monate lang hatte ich übelriechendes und übelschmeckendes Wasser getrunken, wie es eben einem Seefahrer in schmalen Rationen zugemessen wird. Im Hospitale hatte ich darauf zwei Monate lang das von der heißen Sonne Honolulu’s durchwärmte Wasser genossen, und nun auf einmal las ich mit meinen Augen: Hier verkauft man Bier. Ich bekam mit einem Male ungeheuern Durst und starkes Heimweh und trat in das Häuschen ein, in dessen einzigem Fenster noch andere Lockungen in angenehmer Verwirrung ausgestellt waren, als eine Pyramide von Orangen, Bananen, Cigarren, Biscuit, Schwefelhölzer, Seife, Kautabak, Thonpfeifen u. s. w. Auf mein Verlangen nach dem lange ersehnten Trunk erhielt ich eine Flasche mit braunem Zeuge hingestellt – es war Sprucebier, jenes unheimliche Fabricat von Syrup und Kartoffeln, nicht nur sehr schlecht, sondern auch eben so warm wie das Brunnenwasser der Stadt. Das war nun freilich eine arge Täuschung. Aber eine ordentliche Freude sollte ich doch bei dem Besuche erleben. Fand ich auch kein deutsches Bier, so fand ich doch einen deutschen Landsmann.

Während ich mich nämlich mit dem abscheulichen Getränke abquälte, faßte ich den Barkeeper genauer in’s Auge. Es konnte keine Täuschung sein: diese ehrlichen Gesichtszüge mußten einem Deutschen angehören. Um meine Zweifel schnell zu beenden, redete ich den jungen Mann deutsch an und an mein entzücktes Ohr schlugen die geliebten Töne der Muttersprache, wie sie ein ächter Sachse hervorbringt. Der Barkeeper war eben so freudig überrascht wie ich, einen Landsmann so fern vom Vaterlande gefunden zu haben, dem er sich mittheilen und vertrauen konnte. Wir tauschten die Geschichte unserer Erlebnisse aus.

Es war meinem neuen Freund Carl Schöne aus Lommatsch in Sachsen ähnlich ergangen wie mir. Nachdem er mehrere Jahre als Schmied in Deutschland umhergereist, war er nach Bremerhafen gekommen und hatte Beschäftigung in einer Schiffsschmiede erhalten. Hier lernte er unter andern den Capitain eines Wallfischfängers kennen, der ihn überredete, eine Reise mitzumachen. Drei Jahre lang fuhr er mit in den Gewässern der Südsee und im nördlichen Eismeere umher. Die Leute wurden vom Glück begünstigt, denn nach drei Jahren hatten sie eine volle Ladung Thran an Bord. Auf der Heimreise lief das Schiff in den Hafen von Honolulu ein, um sich mit Proviant zu versehen. Schöne hatte keine große Lust gehabt, jetzt nach Deutschland zurückzukehren, da er keine Angehörigen dort hatte und nicht die Mittel besaß, ein eigenes Geschäft anzufangen. Er gedachte vielmehr einige Jahre auf der Insel zu bleiben, wo die Arbeitslöhne hoch standen, und sich zu seinem Beuteantheil, der sich auf 150–200 Thaler belaufen mochte, noch eine Summe zu erwerben, um sich dann, nach Deutschland zurückgekehrt, etabliren zu können. Allein die Rechnung war ohne den Wirth gemacht. Als Schöne den Capitain um seine Entlassung und die Auszahlung seines Gewinnantheiles am Thrane bat, erhielt er die erstere ohne Anstand gewährt, aber anstatt der gehofften 200 Thaler zahlte man ihm dreißig aus. Vergebens klagte der Geprellte beim Bremer Consul. Es war derselbe ein Amerikaner und hinlänglich als ein Mann verrufen, bei welchem blanke Dollars vieles Ungesetzliche gesetzlich machten. Schöne konnte sich ihm nicht einmal verständlich machen, da der Vertreter eines deutschen Staates nicht deutsch sprach. Es blieb dem armen Schöne nur die Wahl, entweder mit nach Deutschland zurückzufahren oder die dreißig Thaler zu nehmen und zu bleiben. Er blieb, da er Aussicht hatte, als Schmied täglich drei bis vier Dollars zu verdienen. Zum Unglück für ihn erkrankte er und mußte auf den Rath des Arztes in’s Gebirge ziehen. Er genas und kehrte in die Stadt zurück, aber von Mitteln entblößt. Zur rechten Zeit machte er die Bekanntschaft eines Deutschen, Besitzers dieser Wirthschaft, der gern schon längst eine Erholungsreise nach der Insel Owaihi unternommen hätte, wenn er einem zuverlässigen und zahlungsfähigen Manne seine Vorräthe und Waaren käuflich hätte überlassen können. Er nahm Schöne in seine Dienste als Ladendiener für acht Dollars den Monat und freie Station. Nach einigen Tagen fand sich auch der geeignete Käufer in der Person des königlichen Kapellmeisters Herrn Merseburg, der es trotz seiner hohen Stellung nicht verschmähte, den Kramladen nebst dem Ladendiener zu übernehmen. Dieser Herr war ebenfalls ein Deutscher und hatte das Amt, acht Eingebornen, welche die Kapelle Sr. indianischen Majestät bildeten, Musikunterricht zu ertheilen und deren Kunstproductionen im Theater zu leiten. In dessen Diensten stand nun Schöne und verkaufte für seine Rechnung Cigarren, Schwefelhölzer und die andern Herrlichkeiten.

Das war das Schicksal meines neuen Bekannten gewesen, wie es das Loos Unzähliger ist, von Schurken überlistet, ausgebeutet und betrogen zu werden. Das gleiche Elend bewirkte, daß wir uns fester an einander schlossen. Dazu trug noch ein anderer Umstand wesentlich bei, der sich im weiteren Verlaufe unserer freundschaftlichen Unterhaltung herausstellte. Schöne stammte ans Lommatsch, war aber in der Nähe von Dresden erzogen und kannte meinen Oheim daselbst ganz genau, da er eine Zeit lang bei ihm in Arbeit gestanden. Wir riefen uns gemeinsam die Erinnerungen an Sachsens schöne Hauptstadt und deren reizende Umgebung zurück und schwelgten Beide lange Zeit darin, bis uns ganz wehmüthig zu Sinne wurde. Wir waren gar zu weit von Hause entfernt, als daß es uns nicht hätte bangen sollen, ob wir jemals die Heimath wieder sehen würden.

So oft es nun mein Zustand erlaubte, besuchte ich Freund Schöne in seinem Breterhause und hatte bei der Gelegenheit auch die Ehre, den Herrn Kapellmeister Merseburg, den Eigenthümer des Geschäftes kennen zu lernen. Nach einiger Zeit erkrankte Schöne abermals und mußte für einige Wochen in’s Gebirge flüchten. Nach seiner Rückkehr trat er in eine andere Stellung ein; er wurde nämlich Koch in einer deutschen Möbelfabrik, welche zwei ältlichen Hagestolzen gehörte. Neben seiner Kunst als Koch trieb mein Freund noch eine andere, die wenig Zusammenhang mit jener hatte. Seiner Aussage nach hatte er nämlich die Thierarzneischule in Dresden besucht und machte nun an Pferden der Eingebornen einige gelungene Curen. Nach und nach gewann er auch bei der weißen Bevölkerung der Insel Ruf als Thierarzt. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß auf der Insel sich noch kein solcher befand, und rieth Schönen, frischweg als Thierarzt aufzutreten. Er sah die Vortheile einer derartigen Stellung vollkommen ein, allein es fehlten ihm die Mittel und, was noch schlimmer war, der echte amerikanische Unternehmungsgeist, der die finanziellen Schwierigkeiten zu überwinden strebt. Ich gab ihm daher den durch die Umstände gerechtfertigten Rath, den Humbug und die Marktschreiereien der Yankees in etwas nachzuahmen. Darauf erschien denn in der Honolulu-Zeitung mehrere Male hinter einander eine Anzeige von einem berühmten aus Europa eingetroffenen Thierarzte, welcher sich auf der Insel bleibend niedergelassen und die schwersten Krankheiten der Pferde curire.

Mein Freund wurde nun Bürger des Hawaischen Königreichs und miethete sich ein Häuschen, welches in einem großen Hofe lag, für zwölf Dollars monatlich. Dieses schmückte er mit einer großen Zahl leerer Flaschen und Gläser aus, welche er zu dem Zwecke in der Apotheke geholt. War auch jetzt noch nichts darin, so zeigten doch die schönsten Etiketten und Aufschriften den künftigen Inhalt an. Die ganze Einrichtung verfehlte nicht, Effect zu machen, und damit war viel gewonnen; noch mehr durch einige glückliche Curen. Bald sah sich Schöne, dessen Glücksstern hell leuchtete, in Stand gesetzt, sich für fünfzig Dollars Medicin von San Francisco kommen zu lassen. Die Bekanntschaft mit einem deutschen Seemann, der auf einem der Postschooner regelmäßige Reisen zwischen Californien und den Sandwichinseln machte, verschaffte ihm diese günstige Gelegenheit.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_322.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)