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es fehlt an einem Bache, der hineingeleitet werden könnte. Für die Herstellung der in früheren Kriegen – wovon wir bald sprechen werden – zerstörten Werke war wenig geschehen. Das Glacis hat eine Höhe von 2 bis 4 Fuß, der Graben eine Tiefe von 8 bis 10 Fuß. Escarpe und Contrescarpe sind in dieser Höhe mit Kalksteinen bekleidet. An der ersten erhebt sich die 8 Fuß hohe und 10 Fuß starke Brustwehr, welche an der innern Böschung mit einer Palisadenreihe besetzt war. Die steile äußere Böschung der Brustwehr der Bastionen war mit Flechtwerk aufgesetzt, die der Courtinen – Zwischenwälle – mit Rasen bekleidet. An der nördlichen Seite könnte die Donau allerdings einen wichtigen Schutz gewähren, wenn sich bei Kallarasch auf dem gegenüberliegenden walachischen Ufer ein starker Brückenkopf befände. Einen solchen anzulegen war aber der Pforte durch den Friedensvertrag von Adrianopel verwehrt, ja sie durfte nicht einmal die drei Silistria nahe liegenden Donauinseln befestigen, daher alle diese Punkte in die Hände der Russen geriethen, die hier Batterien anlegten. Als der preußische Oberst v. Kuczkowski – Muchlis Pascha – im Jahr 1849 den Auftrag erhielt, für die Wehrhaftigkeit von Silistria zu sorgen, fehlte es der Pforte, wie es ihr immer daran fehlt, an den nöthigen Geldmitteln, den Ort in eine starke Festung umzuschaffen, und er mußte sich darauf beschränken, ihn auf seinen zehn Fortificationsfronten mit Außenwerken zu umgeben. Im Süden der Stadt liegt ein 200 Fuß hohes Plateau, das sich nicht so schroff gegen die Donan herabsenkt, um sich nicht überall an der Böschung mit Artillerie etabliren zu können, und worauf die Russen während des Krieges von 1828–29 auch wirklich ihre Batterien errichteten. Diese die Festung beherrschende Hochebene besetzte der Oberst v. Kuczkowski mit zwei etwa 800 Schritt vom Festungswall entfernt gelegenen massiven Forts – Tabia’s –, die er mit bombenfesten Räumen und bedeckten Batterien ausstattete. Alle übrigen Forts, unter denen die sternförmige Arab Tabia am berühmtesten geworden ist, sind bloße Erdwerke durch Redouten, Schanzen und andere Anlagen flankirt, die sich gegenseitig decken und sich nach Norden bis zu dem Brückenkopfe Topschi Baschi hinziehen, der aus einem Kronenwerk mit starken Redouten, zwei bastionirten Thürmen und zwei Blockhäusern besteht. Um das feindliche Feuer über die Donau herüber weniger lästig zu machen, waren an der Wasserseite Werke aus Lehm und Flechtwerk aufgeführt und mit Rasen bekleidet. Während der Belagerung errichtete man auf dem etwa 150 Fuß breiten Raume, der die Nordfronte der Festung von der Donau trennt, einige Blockhäuser und Erdwerke, um den Graben mit größerer Zähigkeit vertheidigen zu können. Mehr und Besseres konnte der genannte tüchtige Ingenieur mit den ihm zugewiesenen Mitteln nicht leisten, dennoch wird jedermann, auch wenn er nicht Sachverständiger ist, sich leicht überzeugen, daß ein noch so ausgedehntes Netzwerk weitläufiger Außenwerke einen Platz nur höchst mangelhaft zu schützen vermag. Alle diese Punkte angemessen zu vertheidigen, würde eine Besatzung von 30,000 Mann erforderlich gewesen sein, die oft nicht zur Hälfte vorhanden war. Wäre ein einziges Fort dem Feinde in die Hände gefallen, so würde das gerade so viel gewesen sein, als wenn in einem Strumpfe eine Masche aufgeht; er läßt sich dann ganz aufwickeln. Zu mehr als zweimonatlichen Kämpfen mit dem Hauptheere von den berühmtesten russischen Generalen angeführt und trotz so oft wiederholter Stürme haben die Russen jedoch nicht eine Schanze erobert, mehrere Generale und unverhältnismäßig viel Officiere, überhaupt an 24,000 Mann verloren und sich genöthigt gesehen, am 23. Juni 1854 unverrichteter Dinge abzuziehen. Dennoch reichten, trotz der weit vorgeschobenen Außenwerke, die russischen Kugeln bis in die Stadt hinein, die schwer verwüstet wurde. Den tapfern Vertheidiger des Platzes selbst, Mussa Pascha, tödtete am 2. Juni eine russische Granatkugel vor der Thür seiner Wohnung, und wenn einerseits der Muth und die Ausdauer der Türken alle Anerkennung verdienen, so bleibt andererseits die Verwunderung des österreichischen Officiers über die Erfolglosigkeit dieser mit solchen Anstrengungen betriebenen Belagerung eines wenig haltbaren Platzes doch unstreitig sehr gerechtfertigt.

Silistria ist seit fast einem Jahrtausend für die Russen ein verhängnißvoller Ort gewesen. Im Jahr 971 erschienen sie unter Swjätoslaws Führung zum ersten Mal vor demselben und wurden von dem bizantinischen Kaiser Tzimiskes auf das Haupt geschlagen. Am 10. Juni 1773 schlug Osman Pascha den Angriff des Fürsten Romanzoff zurück. Die nächste Niederlage traf die Russen am 22. October 1809 bei Tataritza unweit Silistria; endlich gewannen sie am 11. Juni 1810 die Stadt durch Kapitulation – Andere sagen durch Bestechung. Vom 21. Juli bis 10. Nov. 1828 mühten sich drei russische Generale nach einander – Roth, Langeron und Wittgenstein – vergeblich ab, den Platz zu nehmen; im folgenden Jahre überlieferte aber nach sechswöchentlicher Belagerung Hadschi Achmet Pascha die Festung dem General Krassowski, angeblich weil er auf keinen Entsatz zu hoffen hatte und Proviant wie Munition ihm ausgingen, wahrscheinlicher, weil er viel Neigung für russische Ducaten hatte. Die Stadt blieb bis zum September 1836 in russischen Händen und wurde erst nach Abtragung der dem Sultan auferlegten Kriegssteuer in elendem Zustande zurückgegeben. Ueber zwölf Jahr geschah für die Herstellung der Werke nichts, und was dann dafür gethan wurde, haben wir erzählt. Einen wichtigen Vortheil haben die Russen aber doch bei der letzten mißlungenen Belagerung davon getragen. Sie lernten dem Obersten Kuczkowski den Bau dieser Erdwerke ab und machten bei Sebastopol davon einen dienlichen Gebrauch, obgleich weder der wichtige „Grüne Hügel,“ noch endlich der massive Malakow die Eroberung der Stadt zu verhindern vermochte.

Lassen wir nun unsern Berichterstatter wieder reden. „Ich begab mich,“ erwähnt er, „der übrigen Gesellschaft folgend, in die innere Stadt. Einer von unsern Begleitern, ein schäbig gekleidetes Subject, dem Volke angehörig, das sich das auserwählte nennt und darauf eine oft wahrzunehmende Arroganz begründet, warf sich zum Führer auf. Diesen Anspruch leitete er daher, daß er schon früher einmal in Silistria gewesen und der türkischen Sprache ziemlich mächtig sei. Der Nimbus, den diese letztere Behauptung um ihn verbreitet hatte, zerfloß sehr bald, denn schon nach den ersten fünf Minuten konnten wir uns überzeugen, daß er auch nicht ein Wort vom Türkischen mehr verstand, als wir Anderen, d. h. gar keines. Nachdem mehrere winklige und schmutzige Straßen durchwandert, manche Einkäufe in Buden mit Tabak, Süßigkeiten, Parfümerien und Seife – beide Wiener Fabrikat – getroffen und einige nicht übel gebaute, sogar geschmackvoll verzierte und nur durch wiederholten Kalkanstrich entstellte Moscheen betrachtet worden waren, hielt mich unerwartet ein reizendes Bild an einem Brunnen fest. Im Orient, wo die Hitze so groß, der Boden so trocken, gutes Wasser so selten ist, sind die Brunnen ein von der ganzen Bevölkerung sehr beachteter Gegenstand; ja sie stehen gleichsam mit dem Cultus in Verbindung und wegen der im Koran gebotenen täglichen Waschungen genießen sie eine, ich möchte sagen, andächtige Verehrung; sie sind die Sammelplätze, um die sich das Leben der sonst todten und öden Straßen der türkischen Orte gruppirt.“

„Der Brunnen, vor dem ich stand, war gemauert, und die im Laufe der Jahrhunderte verwitterte Mauer schillerte in verschiedenen angenehmen Farbentönen; einzelne herausgebrochene Steine und fahle Gräser, die auf dem obern Simse wucherten, erhöhten noch den Reiz dieses Anblicks. Lustig quoll das klare Wasser in einer eisernen Rinne hervor und rieselte zwischen den Steinen, die das Wasser holende Publicum gelegt hatte, um so trocken als möglich zu stehen, in eine kleine Pfütze. Aus dieser trank ein Schimmel, den ein Negerknabe an sehr langem Halfterstricke hielt – scheinbar aus Furcht, sich dem Pferde allzusehr zu nähern, in der That jedoch aus Zutrauen zu dem guten, gemüthlichen Thiere. Die orientalischen Pferde nämlich, die selten in einen Stall kommen, sind so harmlos, daß sie wie Hunde ihren Herren nachlaufen, und der Schimmel würde eben so ruhig bei seinem Trinken gestanden haben, hätte ihn der Knabe auch gar nicht gehalten. Ein Bulgarenmädchen, das dem europäischen Gepräge seiner Tracht nach, im Dienste eines fremden Consuls oder Kaufmanns stehen mochte, hatte zwei kupferne Kessel, außen berußt, innen aber blank und glänzend, mit frischem Wasser gefüllt, hängte sie vorn und hinten an eine Stange, die auf ihrer Schulter ruhte, und schritt damit vorsichtig über die einzelnen Steine, was bei den hohen Absätzen ihrer Holzsandalen und den beständigen Schwingungen der Kessel nicht ohne Beschwerde sein mochte, jedoch ihre Gewandtheit hervortreten ließ. Ein türkischer Privatmann in bunter Tracht und ein Soldat in weißem Mantel, welche beide eben die vorgeschriebene Waschung, jedoch nur in Bezug auf Gesicht und Hände, beendet hatten, saßen in sehr einsilbigem Gespräch auf dem Rande des Brunnens. Einige Gebäude, worunter eine Moschee mit ihrem zierlichen Minaret, als näherer, der Hügel der berühmten Arab Tabia als weiterer

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