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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

fünfzig Jahre und es rollt auch hier ein Eisenbahnzug dahin, und man wird dann dafür sorgen müssen, das kleine Bette des Dichters, der, so lange die deutsche Zunge redet, immer ein theurer Name bleiben wird, anders wohin zu verlegen. Leipzig kann ohne seinen Gellert nicht sein.

Diese einsame Kirche und dieses einsame Grab, mitten im Gewühl des Lebens und Verkehrs, machen einen eigenthümlichen Eindruck. Auf diesem Platze münden die vier Hauptbuchhändlerstraßen, die Grimmaische, die Bosen- und Königsstraße und die Querstraße ein, in der Haus an Haus die bedeutenden Buchhändlerfirmen angeheftet stehen, die ihre Namen von den Ufern des baltischen Meeres bis zu den Straßen von New-York auszubreiten verstanden haben. Der Betrieb Leipzigs in diesem Fache ist ein außerordentlicher, und er wächst jährlich. Wenn man diese Straßen wandelt, so fallen einem aus frühester Jugend alle die schönen Bücher ein, die man auf den Weihnachtstischen gefunden, und später von den Angehörigen geschenkt bekommen; es kommen einem aber auch die Werke in’s Gedächtniß, an die sich der Gang und die Resultate unserer Bildung knüpfen, und die Mancher von uns, dem die Mittel nicht reichlich zugemessen sind, mit Anwendung seiner theuer erworbenen Ersparnisse zu einer Privatbibliothek erkauft. Die Geschichte so manches deutschen Gelehrten beginnt und endet in diesen Straßen. Es sind die Straßen der Hoffnung, des Stolzes, der Demüthigung und der Enttäuschung. Es gibt hier Häuser, in denen fortwährend Leichenbegängnisse der Eitelkeit gefeiert werden, und andere gibt es, die Tempel des Ruhmes sind, und wieder andere, wo man Namen aus der Taufe hebt, die bestimmt, einst Deutschland mit ihrem schönen Klange zu erfreuen. Wer in Deutschland schrieb wohl je eine Zeile, die nicht, wenn auch nur als Manuscriptconvolut, durch eine dieser Straßen wanderte? Zarte Frauen, in Spitzenschleiern und in Seidenroben, stehlen sich in später Abendstunde, wenn all diese hundert Lampen in den Souterrains der Comptoirstuben brennen, an den Häusern hin; sie suchen keinen Geliebten, sie suchen – einen Verleger. Welche dieser Thüren wird sich ihnen öffnen? Welche Hand wird sie ihrer Bürde entledigen, des mit rosenrothen Bändchen zusammengeschnürten zierlich geschriebenen Manuscripts, das irgend eine wundersame Liebesgeschichte in nicht endenden Capiteln enthält? Ach, diese ungalanten Ritter der Tafelrunde, die statt bei Pokalen bei Tintenfässern sitzen, sie wissen nichts von der Dienstbeflissenheit, mit der man Damen in Nöthen beispringen muß, sie lassen die Schöne weiter wandern, und sie wandert fort, die lange, lange Straße hinab, Gellert’s Grab vorbei, und wenn sie am Schluß dieser hartherzigen grausamen Straße ist, die so viel steinerne Buchhändler-Herzen, wie steinerne Treppen zählt, so wünscht sie sich, ermüdet, des Dichters Grab zu theilen, da sie dessen Ruhm nicht theilen kann. Glücklich, wer diese Straßen, von denen die Königsstraße die schönste und mit Buchhändlern am meisten gesegnete ist, wandelt im Gefolge von fünfzehn Auflagen seines Werkes! Ihm schimmert jede Firma golden entgegen, er fühlt die scharfen, spitzigen Steine dieses Pflasters nicht, das gerade in diesen Straßen schlimmer ausgefallen ist, als in allen übrigen Leipzigs, er empfindet nichts vom scharfen Luftzuge, der hier weht, er und seine fünfzehn Auflagen gehen siegreich hindurch.

Gellert’s Grab.

Gellert’s Leben war ein bescheidenes und einfaches. Er war und blieb der Leipziger Professor trotz aller Versuche, ihn in das frivole Weltleben und in die vornehmen Bekanntschaften zu ziehen. Er correspondirte viel mit einflußreichen Personen, aber man hat nicht vernommen, daß er durch sie etwas zu erlangen strebte; gerade diese Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit zierte den Mann und flößte vor ihm Respect ein. Es ist hier nicht der Ort, über Gellert’s

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_313.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)