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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Grafen wieder kurzweg nannte, gleich mit in die Stadt genommen während er nach Berga ritt. Frau von Aßberg bat ihn um Erlaubniß, seine Frau einmal besuchen zu dürfen, um Helenen kennen zu lernen. Er machte eine kurze Verbeugung, schob aber nochmals die Brille auf und ab, als habe er doch einiges Bedenken.

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, sieht das nicht wie eine Thierschau aus? Nehmen Sie’s nicht übel, ich finde gerade keinen passenden Ausdruck. Meine Frau ist ein herzensgutes Weib und eine tüchtige Wirthin, wir haben uns aus Neigung geheirathet, und ich kann mir keine bessere Frau und meinen Kindern keine bravere Mutter wünschen. Aber zum Umgange für Sie paßt sie nicht, das weiß sie selbst, was sollte also der Besuch bedeuten? Wollen Sie die Lenchen sehen, so schicken Sie ihr in Zeit von drei, vier Wochen, wenn das erste Herzeleid ein bischen vorüber ist, Ihren Wagen oder ich bringe sie einmal von selber mit heraus.“

„Aber liebster Herr Gerichtsverweser!“

„Glauben Sie, daß sie nicht kommen würde? O, meine gnädige Frau, sie kommt wahr und wahrhaftig. Denn sie hat Demuth in ihrem Leben gelernt, das arme Kind. Ich will vom Todten nichts Uebles reden, aber Zuckerbrod hat sie bei ihm nicht gegessen. Sie war die erste Magd, weiter nichts. Pariren hat sie müssen, und wenn er in seiner Verbissenheit das Wunderlichste von ihr verlangte. Wenn sie also von der gnädigen Frau eingeladen wird, so kommt sie und thut es auch gern, denn es fällt ihr gar nicht ein, daß es anders sein könnte. Einen eigenen Willen hat sie nicht.“

„Um so eher muß man sie schonen,“ erwiderte Frau von Aßberg. „Ich werde mir Alles noch recht bedenken. Sie erlauben mir aber, in Ihre Hände zu legen, was schon mein Sohn mit Ihnen besprochen hat: ich verlasse mich dabei ganz auf Ihre Discretion.“

Das konnte sie auch, und als sie Herrn Hassel, ehe er fort ritt, unter vier Augen ihr Scherflein übergab, erstaunte er über den Betrag und nannte es ein Capital.

Vor der Hand war damit die Angelegenheit geordnet, aber Frau von Aßberg fühlte sich nicht befriedigt. Das Verlangen, sich mit eigenen Augen von der neuen Lage des Mädchens, für welches sie nun einmal das lebendigste Interesse fühlte, zu überzeugen, wurde immer dringender in ihr, und sie entschloß sich endlich, an Helene Nidau zu schreiben. Was sie ihr sagen wollte, war längst entschieden und die zarte Weise, die ihren Worten den zum Herzen sprechenden Ton gab, mußte Helenen für sie gewinnen. Der Brief ging ab und Hallstein, welcher glühend gewünscht hatte, ihn zu lesen, war gespannt auf die Antwort. Diese blieb aber aus. Drei Tage vergingen und der Zeitpunkt kam, welchen der Graf für seine Abreise bestimmt hatte, ohne daß aus der Stadt irgend eine Nachricht nach Berga gelangte. Es war unbegreiflich, daß nicht wenigstens der Gerichtsverweser etwas hören ließ, welcher doch von dem Schreiben der Frau von Aßberg, das ein Bote in seinem Hause abgegeben, Kenntniß haben mußte.

„Sie ist vielleicht krank oder noch zu tief betrübt, um den Worten einer Fremden zugänglich zu sein,“ entschuldigte sie Frau von Aßberg.

„Noch eine dritte Möglichkeit schwebt mir vor,“ sagte Hallstein, der sich in letzter Zeit absichtlich zu herzlosen Aeußerungen reizte: „eine Möglichkeit, welche ich aus den indiskreten Reden unseres Centauren Hassel aufgefangen habe: sie wird nicht schreiben können.“

Seine bisherigen forcirten Aeußerungen hatten nicht den Erfolg gehabt, welchen er vielleicht damit bezweckte, sie hatten ihm keine unwillige Zurückweisung zugezogen, denn Frau von Aßberg glaubte nicht daran und beschämte ihn in der Regel nur mit einem Blicke, der einen milden Vorwurf zu enthalten schien. Heute zum ersten Male fügte sie dem stummen Blicke noch ein Wort hinzu:

„Lieber Gebhard, warum wollen Sie mich durchaus gegen sich einnehmen?“

Das war’s! Die rechte Antwort stürmte in seinem aufwogenden Herzen, in seinem schmerzenden Hirn und verdunkelten Blick, aber er war von der Frage und dem süßen Klange ihrer Stimme ganz fassungslos und das erzwungene Lächeln, die erbärmliche Ausflucht, die von seinen Lippen kam, hätten auch Frau von Aßberg, welche nichts von Allem ahnte, was in ihm vorging, fast außer Fassung gesetzt. Sie vermochte es zwar noch, das strandende Schifflein wieder leicht von der Klippe zu wenden, dann aber wurde sie für den Rest des Abends still und ernst. Es war der letzte, welchen Graf Hallstein auf Berga zubrachte.

Am andern Morgen nahm er in vollkommener Selbstbeherrschung Abschied: er war wieder ganz der feine, an Welterfahrung überlegene Mann, ganz Legationsrath. Die Worte, welche er Frau von Aßberg beim Scheiden sagte, konnten nicht verbindlicher sein, sie athmeten nur Hochachtung und Antheil und er war mit sich zufrieden. Frau von Aßberg zeigte sich gegen ihn, wie sie alle Tage gewesen war: freundlich und voll herzlichen Gefühls, auf welches der Freund ihres Sohnes Anspruch hatte; ihr Auge blickte klar und ruhig, wie immer. Erst als er mit Günther, der ihn begleitete, jenseits des Thorweges verschwunden war, umwölkte sich ihre reine schöne Stirn und ein wehmüthiges Lächeln trat auf ihre Lippen. Auch während der Fahrt behielt Graf Gebhard seine vollkommenste Fassung, er nahm es dankbar an, als ihm Günther einen kleinen Umweg durch den Wald vorschlug, um ihm noch einmal die Partien am Weiher zu zeigen, die ihm so sehr gefallen hatten, und auch die im Bau begriffene Capelle am anderen Ufer, wo dann der Schleifweg wieder die Richtung nach der Stadt einschlug. Der Gerichtsverweser, der zu Pferde immer diesen viel angenehmeren Weg ritt, hatte ihn Aßberg erst gezeigt. Die Freunde fuhren absichtlich langsam und besprachen nochmals in ruhiger Stimmung, was sie sich mitgetheilt hatten. Aber Gebhard überzeugte sich dabei, daß Günther den schwersten Vorwurf in seiner Selbstanklage noch immer festhielt und sich durch die Bemühungen des Freundes, ihn zu entkräften, nicht irren ließ.

„Gieb das auf!“ sagte Aßbcrg endlich mit resignirtem Lächeln.

„Ich trage das Maal, und nur der Fittig eines Engels, wie in Dante’s Dichtung, könnte mich davon befreien. Darum bin ich hier auch ganz gut aufgehoben, bis ich dort ruhen werde.“

Er zeigte nach dem Gemäuer am See, das zwischen den grünen Zweigen eben sichtbar wurde.

„Wie?“ rief Gebhard. „Das ist der Sinn der Capelle?“

Ein Stutzen des Pferdes, ein helles Wiehern, während es lebhaft in’s Zeug ging, störte Günther’s Antwort. Man hörte in geringer Entfernung das Rollen eines Fuhrwerks auf den Wurzeln.

Bald darauf wurde es sichtbar: ein offener, landesüblich langer Kaleschwagen mit zwei Personen hinter dem Knecht.

„Günther!“ rief der Graf leise. „So wahr ich lebe –!“

Sie hatten den Gerichtsverweser erkannt – die Dame neben ihm in tiefer Trauer, wer konnte das anders sein, als –

„Schönsten guten Morgen!“ rief Herr Hassel ihnen entgegen. „Ei das trifft sich ja charmant! Frau Mutter doch zu Hause –?“

Das junge, schwarz gekleidete Mädchen, das neben ihm saß, hob ihr gesenktes Auge flüchtig zu den Fremden empor, ließ es aber gleich wieder zu Boden sinken, ihre vom Gram gebleichte Wange färbte sich ein wenig.

Günther hatte die Frage des Gerichtsverwesers bejaht, und bog aus, um das schwerfällige Fuhrwerk vorüber zu lassen. Hassel besaß doch so viel natürliches Zartgefühl, um nicht anzuhalten, was er sonst unbedingt gethan hätte. Er sagte nur: „Fräulein Lenchen will Ihrer Frau Mama selbst danken –“ Und Helene hob noch einmal ihr Auge auf den Sohn der Frau, von welcher sie das erste Zeichen liebevoller Güte, das ihr in ihrem ganzen Leben geworden, erhalten hatte; sie neigte sich gegen ihn, ihr Blick streifte auch den Grafen, aber schwere Perlen hingen an den langen dunklen Wimpern und zogen die schneeweißen Lider wieder über die feuchtschwimmenden Sterne – so fuhr sie an den Freunden vorüber und Günther vermochte, ergriffen, wie er von der rührenden Erscheinung in ihrem tiefen Leide war, kaum ein dürftiges Wort über seine Mutter in Bezug auf Hassel’s Erklärung zu erwidern.

Als der Wald sich zwischen den beiden sich kreuzenden Wagen geschlossen hatte, sagte Gebhard: „Nun ist das Geschick des armen, verwaisten Kindes gesichert. Deine Mutter wird schon für sie sorgen.“ Er wollte noch den Wunsch aussprechen, daß diese Begegnung an der Capelle ein gutes Omen sein möge! aber er besann sich eines Bessern und hütete sich, durch ein unvorsichtiges Wort in ein fremdes Schicksal einzugreifen. Günther that es leid, den ersten Moment zu versäumen, wo Fräulein Nidau seiner Mutter sich nahte, er hätte gern den ersten Eindruck auf diese beobachtet, von dem so viel abhing – der Graf zweifelte nicht, daß dieser Eindruck ein günstiger sein werde. Beide ließen dann, wie verabredet, den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_298.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)