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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Seifenkugeln, Pomade und ein Dutzend geschliffenen, „wohlriechenden Fläschchen.“ Die Gelehrten sind noch nicht darüber einig, ob auch ein Stiefelknecht drin war.

Der erste Eintritt in das Innere des Kunsttempels macht den überraschendsten Eindruck angenehmer Täuschung. Von Außen liegt der Kunsttempel lang, niedrig und breit. Inwendig wölbt und dehnt er sich in blaudämmernd verschwindende Ferne mit reichen Lichtern und Farben und architektonischen Linien und Formen. Er hat’s in sich. Durch die Mitte der Dachwölbung oben läuft ein langer Streifen von Himmelslicht durch’s Glas. Die übrigen Theile der Wölbungscurve sind architektonisch gefeldert und bläulich-grau gefärbt mit rothen Einfassungslinien. Dagegen heben sich die Eisenbalken und Säulen in grünlicher Bronze mit Goldkanten ab. Die bläulich-graue Farbe des großen Dachbogens gibt Leichtigkeit, Höhe und Erhabenheit.

Die Räume füllten sich sehr rasch, besonders die Reihen rother Stühle auf Teppichen mit kostbar gekleideten Damen, welche lachten, daß die schelmischen, großen Augen sich wie Knopflöcher zusammenschlitzten, als die seltsam kostbar costümirten officiellen Personen hereinschritten, steife Herren in großen, rothen Uniformen, besetzt mit Silber-Flecken und geschmackloser Arabeskenstickerei, mit aufgekrempelten martialischen Hüten und Brillen darunter, in weiten Purpurmänteln, mit weiten schwarzen Sammetröcken mit großen schwarzseidenen Säcken auf dem Rücken hinunterbaumelnd, eine Menge Lord-Mayors mit hellziegelrothen, Augen schmerzend stechenden Schlafröcken und dreieckigen Hüten, wie Diplomatenkutscher auf den Böcken, Herren mit weißtaffetnen Kniehosen und ungeheuer langen, gestickten Westen und rothen Strümpfen u. s. w. Neben diesen Civiluniformen noch wunderlichere militärische mit Säbeln, aufgekrempelten Hüten, Federbüschen und Orden quer über die Brust, so dicht wie Uhren in dem Schaufenster eines Uhrmachers, die noch seltsameren der verschiedenen Gesandten und Diplomaten, in denen auch zum Theil merkwürdige Persönlichkeiten eingeknöpft waren, z. B. Dallas, Gesandter der vereinigten Staaten mit dem bedeutendsten Kopfe unter Allen, durch volles, schneeweißes Haar auszeichnet, neben welchem sich der schwarze, gigantische Vertreter des Kaisers von Hayti, Baron Damier, sehr effectvoll und „historisch“ vielleicht hervorhob. Als sich der schwarze Gigant mit den lachenden weißen Zähnen der Gruppe näherte, aus welcher das weiße Haar des Herrn Dallas hervorstrahlte, kehrte Letzterer dem Schwarzen den Rücken und stellte sich später immer mit dem Rücken gegen ihn, blos manchmal vorwurfsvolle Seitenblicke auf den schwarzen Riesen werfend. Ja, er ist ein riesiger Vorwurf eurer ekelhaften Sclavenpolitik in den weißen Republiken. Witterte das weiße Haupt die Nemesis derselben in dem gigantischen Neger mit den furchtbar weißen, vollen Zähnen und den athletischen Muskeln? Das Benehmen des alten Dallas fiel offenbar auf: es war eben so knotig als kindisch. Nur Baron Van der Weyer, der Herr mit dem überaus klugen Gesichte und etwas aufgestülpter Nase, Vertreter des kleinen, gefürchteten Belgiens, sprach unbefangen und lange mit dem seltsamen Schwarzen, dem größten Manne unter allen Diplomaten, was besonders neben dem untersetzten, kurzen Belgier auffiel.

Die Zeit zu weiteren Beobachtungen der Herren, denen man oft nachsagt, daß sie ihren respectiven Ländern durch gegenseitiges Ueberlisten dienten, war vorbei. Ein Mann stürzte sich athemlos auf dem langen rothen Teppich, der sich durch’s Schiff zieht, heran und rief der großen Armee des Orchesters zu, anzufangen, wenn sie eine „rothe Fahne“ (die Polizei blieb ganz ruhig dabei) am Ende des Schiffes schwingen sähen. Dann eilte er eben so schnell zurück und Alles stand auf und machte lange Hälse über einander weg. Einige Damen kreischten im höchsten Discant auf über die Kanonen, die irgendwo in der Nähe abgeprotzt wurden. Die Kanonen wirkten Wunder. Weiße Rosen und weiße Hüte und unendliche Massen säuselnder Seide, Bänder, Schleifen, Millionen von Blumen und Blümchen an feinen umwickelten Drahtfädchen, goldene, flachsige, braune und schwarze Locken rauschten und wogten wie eine üppige Wiese voller Blumen im windigen Junimorgen kurz vor dem Mähen. Gläser in allen Größen blitzten tausendweise nach dem Ende des Schiffes, wo am äußersten Ende in dämmernder Ferne die „rothe Fahne“ wehte, aber nicht „über ganz Europa“, wie früher einmal die „Neue Preußische“ prophezeihete, sondern klein wie ein Mohnblatt. Die Policemen glänzten mit ihren lackirten Hüten eifrig Spalier drängend. Ueber sechshundert Blaseinstrumente und Geigen, Pauken und Cymbeln schmetterten God save the Queen durch die gloriosen Räume und Menschenohren hindurch. Die Sprachorgane schrieen jauchzend: Hurreh! Hurreh! Hurreh! und alle männliche Bevölkerung nahm die sonst festsitzenden Hüte ab. Die feierlichen Herrschaften in rothen Mänteln, in Sammet-Roben und seidenen Kniehosen und rothen Strümpfen stellten sich um die Stufen des Thronhimmels in der Mitte des Central-Schiffes. In der Ferne gingen brandrothe Uniformen auf, in deren Mitte der große, schöngewachsene Prinz Albert freundlich hervorschritt und auf den Thronhimmel geführt ward. Nach der Musik trat ein alter, stattlicher Herr mit rothscheinender Glatze auf und las dem Prinzen etwas von einem großen Papierbogen vor. Es war Lord Overstone, Präsident des Ausstellungs-Rathes, einer der wenigen Lords, die officiell zugegen waren. Die übrige Aristokratie hatte ihre Kunstschätze geschickt, war aber selbst weggeblieben, wie überall, wo Prinz Albert als Vertreter der Königin auftritt. Die regierenden Classen der Aristokratie sind eifersüchtig auf den Prinzen: sie meinen, er lasse den Thron nicht Null genug sein ihren, nicht den Interessen des Landes gegenüber. Außerdem ist er wirklicher präsidirender Genius der Bildung, Cultur, Kunst und Schönheit des Lebens, was man in England der demoralisirenden auswärtigen, England niederbrechenden Einbrecher- und Räuberpolitik gegenüber sehr gut brauchen kann. Er hat Dutzende von goldenen Maurerkellen, womit er Bildungs- und Culturinstituten den Grundstein befestigte. Das ist denn allerdings den Interessen der „privilegirten“, gegen Volk und Thron feindseligen regierenden Classen zuwider. So mögen sie überall wegbleiben, wo Culturinteressen gefeiert werden und endlich ganz und gar verschwinden, wenn England auf den Wegen, wo sie den Prinzen Albert und die Königin ohne Parlament finden, wirklich vorwärts kommt.

Der Prinz erwiderte auf die ihm vorgelesene Adresse mit einigen Worten, aber nicht laut genug, als daß ich etwas davon hätte verstehen können. Es wurde noch einige Male vorgelesen und darauf erwidert, was denen, die nichts davon hörten, sehr langweilig war, wie ich vernehme, noch mehr denen, die’s mit anhörten. Bei solchen Gelegenheiten wird officiell selten ein neuer, schöner Gedanke oder überhaupt etwas Substantielles gesprochen. Die Convenienz ist hier ein Censor, der strenger ist, als irgend einer in redeunfreien Ländern.

Das Gerede schloß mit einem Gebete des Bischofs von Manchester in ungeheueren weiten weißen, crinolirten Aermeln, wobei ein Herr in einer violetten Robe so weit aufgähnte, daß man mit einer Droschke in seinem Munde hätte umlenken können. Der Lord-Mayor von Dublin hob während der Zeit mühsam den rechten Handschuh auf (der vom Schicksale doch dazu bestimmt ist, immer allein verloren zu gehen) und bildete dabei eine Figur, wie sie die Jungen machen, wenn sie über einander „Hopp-Frosch“ wegspringen.

Nach dem Gerede kam brillante, gloriose Musik mit den berühmtesten Sängern und Sängerinnen. Die Dame im schwarzen Kleide mit einfachen Maiblümchen im Haar sang einen ganzen Engelshimmel voll Töne, welche den schönen, irdischen Gesichtern junger Damen einen reizend frommen, seligen Ausdruck aufhauchten. Es war Madame Clara Novello, gegen welche sich der Prinz nach Vollendung ihres Gesanges mit einem leichten, anerkennenden Lächeln kaum merklich, aber als unverkennbares Zeichen herzlicher Anerkennung verbeugte, so daß die Sängerin roth ward bis in die Stirn hinauf. Sie konnte wohl stolz auf ein solches Beifallszeichen sein, nicht weil es vom Prinzen kam, sondern von einer anerkannten Autorität in solchen Dingen und so nobel, so leicht und herzlich, gegenüber der in allen englischen Concerten und Theatern überschwenglichen, rohen Händehauerei und Füßetrommelei als Beifallszeichen.

Während der Procession des Prinzen und alles officiellen Personals durch die weiten Räume des Kunsttempels wurden die Damen rebellisch und machten Revolution gegen die Polizei, welche den Thronhimmel schützen wollte. Eine gottlose Schönheit mit stolzen, großen Augen und blaugestreiftem, achtfalbeligem Kleide drängte Bresche sechs Ellen weit, da der Policeman zu artig war, den künstlichen Umfang ihres kostbaren Crinoline’s zu knittern. Andere folgten: der Thron war in höchster Gefahr; nur ein Gewaltstreich konnte ihn retten. So griffen mehrere Policemen die Thronhimmeltreppe hinauf und faßten derb zu, einige Damen blos bei den Säumen, andere aber gerade zu bei den zarten Beinen. Das zog.

Mit einem Wehen des Federbuschhutes erklärte der Prinz nach Rückkehr von der Procession den Kunsttempel für geöffnet. Jetzt drängten 6000 Personen nach einer polizeibesetzten, halbgeöffneten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_290.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)