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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

nicht bekannt, daß bis jetzt das Wasserglas als Düngematerial benutzt worden wäre. Da wir aber wissen, daß das kieselsaure Kali, welches sich in der ausgelaugten Holzasche vorfindet, von wesentlicher Wirkung bei der Düngung mit dieser ist, so können wir eine solche wohl auch vom Wasserglas erwarten. Die betreffenden Versuche werde ich im Laufe dieses Jahres anstellen, wünsche aber auch, daß sie von rationellen Landwirthen in größerem Maßstabe, als es mir möglich ist, ausgeführt werden.

Ich kann diese Skizze über das Wasserglas nicht schließen, ohne in Bezug auf deren geschichtlichen Theil eine Nebenbemerkung zu machen. Fuchs konnte seiner Entdeckung in Deutschland nicht die Würdigung verschaffen, die ihr gebührt; sie wurde in Deutschland nicht eher anerkannt und in Anwendung gebracht, bis uns die Franzosen gezeigt hatten, was mit ihr zu leisten ist. Im Jahre 1831 wurde von einem anderen deutschen Chemiker, von Reichenbach, neben vielen anderen Stoffen das Paraffin als Bestandtheil der Theerarten erkannt und wegen seiner Schönheit und Leuchtkraft als ein prachtvolles Leuchtmaterial vorgeschlagen; die deutsche Industrie übersah diesen Körper so lange, bis endlich zwanzig Jahre später die Engländer die schönen Paraffinkerzen in den Handel brachten, wo nun endlich in Deutschland der Werth des Paraffins aufgefaßt wurde und die neueste Zeit eine große Zahl von Fabriken zur Gewinnung dieses und anderer Leuchtstoffe entstehen sieht. Diese Fälle stehen leider nicht vereinzelt und es ist wirklich wenig aufmunternd für die Männer der deutschen Wissenschaft, daß ihre schönen Entdeckungen erst im Auslande ausgebeutet werden müssen, bevor sie im Vaterlande Anerkennung und Würdigung finden. Die Industriellen Frankreichs und Englands wissen sich stets mit den Bestrebungen der Physiker und Chemiker ihrer Heimath in Verbindung zu erhalten und unterstützen dieselben oft durch bedeutende pecuniäre Opfer, gewähren aber auch dann denselben bei der Ausführung ihrer Erfindungen und Entdeckungen große und dauernde Entschädigungen, wodurch selbst wiederum die Bestrebungen nach neuen Erfindungen und Entdeckungen gefördert werden.

Nachschrift.

Während des Druckes dieses Aufsatzes, welcher der Redaction, wie diese bezeugen wird,[1] im Anfang Februars eingeschickt wurde, ist von Sänger in Erfurt ein Schriftchen über das Wasserglas erschienen, das mir Mitte März zu Händen kam. Einige Sätze darin, namentlich der Vergleich des Wasserglases mit der Seife, sind den von mir oben ausgesprochenen Ansichten so frappant ähnlich, daß der Leser des Sänger’schen Werkchens und dieses Aufsatzes unwillkürlich zu der Ansicht verleitet werden muß, es habe von der einen oder der anderen Seite ein Plagiat stattgefunden. Um allen Mißdeutungen vorzubeugen, erkläre ich hiermit, daß mir das Sänger’sche Werkchen bei der Bearbeitung dieses Aufsatzes unbekannt war und daß Herr Sänger diesen Aufsatz vor der Ausgabe der bezüglichen Nummern nicht gesehen hat.

Inzwischen sind auch zwei neue Verwendungsweisen des Wasserglases ermittelt worden, nämlich die zur Conservirung der Eier und die statt des Boraxes als Flußmittel beim Löthen des Kupfers.

Die erstere Verwendungsweise hat Marquard in Bonn bekannt gemacht; sie ist namentlich für die Hausfrauen bemerkenswerth und diesen zu empfehlen. Welche Köchin ist nicht in ihren Beschäftigungen durch ein faules Ei gestört worden und wer hat nicht bereits den Ekel beim Genuß eines faulen Eies empfunden? Das Wasserglas verspricht gegen diese Unannehmlichkeiten eine sichere Hülfe und somit ist Jedermann Herrn Dr. Marquard zu Dank verpflichtet. Um den Eiern die Eigenschaft zu ertheilen, sie unbeschadet ihres Inhaltes für lange Zeit zum Aufbewahren geeignet zu machen, ist eine einfache, leicht auszuführende Manipulation erforderlich; man bestreicht dieselben entweder mit einer dünnen Wasserglaslösung oder, zweckmäßiger, legt sie einige Zeit in eine solche und läßt sie dann an der Luft trocknen. Hierbei wird die Schalensubstanz, die wie die Kreide beinahe gänzlich aus kohlensaurem Kalk besteht, verkieselt und ihre Porosität beseitigt, so daß die atmosphärische Luft nicht zu dem Eierinhalte treten kann, womit die Bedingniß zur Fäulniß abgehalten wird.

Die zweite neue Verwendungsweise ist dieser Tage von mir ermittelt worden und eigentlich nur für Kupferarbeiter von Interesse, aber für diese wegen der bedeutenden Billigkeit des Wasserglases im Verhältniß zum Borax um so wichtiger. Es kann hier nur bemerkt werden, daß man sich beim Löthen des Kupfers mit Schlagloth des mit Wasser befeuchteten Wasserglaspulvers zu bedienen und sonst wie beim Borax zu verfahren hat und daß sich besonders hierzu das leicht schmelzbare Doebereiner’sche Krystallglas eignet.




Werther-Erinnerungen aus Wetzlar.
(Mit Abbildung.)

Dreiundachtzig Jahre sind vergangen, seit in Leipzig bei dem Buchhändler Weygand in einem dünnen Bändchen eine Erzählung erschien, kaum umfangreicher als die „Auf der Eisenbahn,“ welche kürzlich die Gartenlaube mittheilte. Die Leiden des jungen Werther’s stand auf dem Titelblatte, sonst nichts, auch nicht der Name des Verfassers. Doch war man über diesen gar nicht lange in Zweifel, denn alsbald nannte man einstimmig den Verfasser des „Götz von Berlichingen,“ den „Dr. Goethe, einen jungen Advocaten in Frankfurt.“

Das kleine Buch, ein Hoheslied auf die Liebe, war eine poetische große That. Wie geblendet stand das deutsche Volk anfangs vor der ganz ungewöhnlichen glänzenden Erscheinung, dann drängte es sich herzu, las und las und begeisterte sich und weinte Ströme von Thränen. In vielen Tausenden von Exemplaren verbreitete sich das Buch über alle Theile des Vaterlandes; in Berlin, in Carlsruhe, in Reutlingen, in Freistatt und an andern Orten erschienen Nachdrucke davon; mehr als zwanzig Nachahmungen, eine schlechter als die andere, drängten sich dem erregten Publicum auf; man malte die Geschichte und Bänkelsänger sangen sie auf Messen und Jahrmärkten nach einem noch heute bekannten Liede unter allgemeiner Rührung ab; die Kleidung Werther’s wurde auf mehrere Jahre durch ganz Deutschland Modetracht:

Gelb war des Todten Weste
Und blau sein Rock von Tuch,

wie es in dem ebenerwähnten Bänkelsängerliede heißt; in allen Häusern sang man:

„Ausgelitten hast Du, ausgerungen etc.“

und heute noch singt man hier und da dies Lied, wenn auch die Allerwenigsten wissen, daß „Werther“ damit gemeint ist. In alle Sprachen Europa’s, selbst zu wiederholten Malen, wurden „Werther’s Leiden“ übersetzt; die einfache traurige Geschichte, die darin erzählt ist, drang bis nach China und dort malte man Werthern und Lotten auf Tassen und Vasen von Porzellan; ja Napoleon selbst, der personificirte Verstand, führte das Büchlein auf allen seinen Feldzügen mit sich umher und er hatte es so oft und so aufmerksam, „wie ein Criminalrichter,“ gelesen, daß er noch 1809 den Verfasser auf eine schwache Seite desselben aufmerksam machen konnte. Und besitzt nicht heute noch der den Jahren nach alte Roman jugendfrisch alle Reize der Poesie, die Jeden, der ihr naht, erquickend und verklärend überstrahlt?

Ja – große Dichter sind Schöpfer. Sie vervollständigen gleichsam die Welt und rufen Wesen in das Dasein, die, wenn ich mich so ausdrücken darf, der liebe Gott ihnen zu schaffen überlassen hat und die vor den gewöhnlichen Menschen sogar den Vorzug voraushaben, daß sie nie sterben. Man denke, um nur einige solche von Dichtern Erschaffene zu erwähnen, an Shakespeare’s Fallstaff, Hamlet, Richard III. u. s. w., an Molière’s Tartüffe,

  1. Geschieht hiermit.
    D. Redact.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_280.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)