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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

wird Alles ordnen, wie es nur möglich ist; er kann mir auch wohl sagen, ob von meiner Seite ein Beweis der Theilnahme dem armen Kinde lieb sein würde.“

Günther versprach, am andern Tage in der Stadt bei dem Gerichtsverweser Erkundigungen einzuziehen, und das traurige Ereigniß wurde noch im Laufe des Abends vielfach besprochen. Graf Hallstein suchte dann die Unterhaltung auf andere Dinge zu ziehen und lobte, was er bei der Rundschau von der Besitzung gesehen hatte, besonders die herrlichen Waldpartien um den Weiher. Dabei fiel ihm der angefangene Bau wieder ein und er fragte jetzt nach dessen Bestimmung. Frau von Aßberg blickte auf ihren Sohn und sagte dann ruhig: „Es soll eine Kapelle werden.“

„Eine Kapelle?“ fragte Hallstein etwas verwundert. „Wohnen viele Katholiken in hiesiger Gegend?“

„Sollen nur die Katholiken das schöne Vorrecht haben, außerhalb ihrer Wohnplätze geweihte Stätten zu besitzen, wo sie ihre Andacht verrichten und ihre Herzen erleichtern können?“

Dem echten Weltmanne ist nichts so peinlich, als ein Gespräch über religiöse Dinge, wenn es ernst geführt wird – frivol weiß er allerdings darüber zu reden, er witzelt dabei nicht gerade über das Heilige selbst, wohl aber richtet sich sein Humor gern gegen die Diener der Kirche. Graf Hallstein machte darin keine Ausnahme und gab sich mit der erhaltenen Erklärung zufrieden, da irgend eine Einwendung von konfessionellen Standpunkte ihm nicht am Herzen lag.

Als er sich später auf das ihm angewiesene Zimmer zurückgezogen hatte und Günther, der ihn begleitet, wieder zu seiner Mutter kam, fragte diese sanft: „Hast Du Dich ausgesprochen, mein Sohn?“

„Nein, Mama,“ erwiderte Günther ruhig, „was könnte es mir helfen?“

Sie schüttelte leise den Kopf und sah ihn mit einem unendlich liebevollen Blicke an.

„Gefällt Dir Gebhard?“ fragte er.

„Er ist ein angenehmer und gebildeter Mann und scheint Dein wahrer Freund zu sein.“

„Das ist er auch!“ sagte Günther lebhaft. „Er könnte mir jedes Opfer bringen.“

„Dann – hat er doch ein Recht auf Dein Vertrauen, mein Sohn.“

„Warum wünschest Du, daß ich noch einem Dritten erzähle, was am besten in einer Brust verwahrt geblieben wäre?“

„Weil es dieser Brust Heilung bringen würde!“

Er küßte die Mutter und sagte:

„Ich bin mir aller Verhältnisse vollkommen klar bewußt. – Gute Nacht, Mama.“

Sie trennten sich und Frau von Aßberg konnte heute noch lange den Schlummer nicht finden.




IV.

Hallstein begleitete am andern Morgen seinen Freund nach der Stadt, wo dieser einige landwirthschaftliche Angelegenheiten zu besorgen hatte, und zugleich bei dem Gerichtsverweser Hassel Erkundigung über die Lage der Dinge in Allweide einziehen wollte. Diesmal war es nicht das gestrige Gespann, sondern ein geräumiger, mit zwei stattlichen Kutschpferden bespannter Wagen, der die Freunde nach der Stadt brachte, allerdings auch keine Carosse, die bei den schlechten Wegen der Gegend kaum zu benutzen gewesen wäre, sondern ein offener Holsteiner, welcher dem Grafen nach allen Seiten freien Umblick gestattete. Das Städtchen lag in einer Niederung, deren Anbau in alter Zeit wohl nur durch unermüdlichen Fleiß deutscher Colonisten dem Sumpfboden abgerungen worden war; bei nasser Jahreszeit mußte der Zugang noch immer schwierig sein, das bewiesen die vielen Stellen, auf denen sich Knüppeldämme fanden, die jetzt trocken lagen und die Fahrt unbequem machten. Um die Stadt her sah es wohlthuend frisch und grün aus, ihr langer Häuserstreif lag in Bäumen halb versteckt, und der einzige Thurm mit seinem niedrigen Kegel ragte kaum über die Wipfel hinweg.

Graf Hallstein, der wohl seit Jahren keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, ein kleines Provinzialstädtchen in der Nähe zu sehen, da die Eisenbahnen dieselben nur streifen, war erstaunt, als sie in die offene Gasse einfuhren, welche, in mehreren Krümmungen sich dahin streckend, den ganzen Ort bildete. So elende Häuschen, einen solchen Mangel an jeglichem Comfort des Wohnens, hatte er heut zu Tage nicht mehr für möglich gehalten; ein holpriger Steindamm mit tief ausgefahrenen Löchern nahm die Mitte der schmalen Gasse ein, an den Häusern gab es kein Pflaster, wohl aber lag hier und da ein Düngerhaufen, der auf gelegentliches Abfahren harrte, und zwischen ihnen standen verwitterte, grüne Bänke, auf denen die Bewohner ihre Feierabendstunden zu verbringen pflegten. An den Häusern selbst rankten sich zuweilen nie verschnittene Weinreben mit undurchdringlicher Blatterfülle empor, deren Trauben selten reif werden konnten; meist aber zeigten sich hohe Rosenstöcke, welche gerade in voller Blüthe standen und trotz der unerquicklichen Umgebung einen reizenden Anblick gewährten. Noch mehr als diese Schönheit fiel dem Grafen die Schönheit der jungen Mädchen auf, die sich hier und da blicken ließen, theils neugierig beim Rollen des herrschaftlichen Wagens aus den Hausthüren schauend, theils auf der Gasse – es war, als gäbe es hier kein häßliches Mädchengesicht; auch die Männer, denen man hier begegnete, hatten ein kräftiges, wohlgebildetes Ansehen.

„Ursprünglichkeit in unverdorbener Reine!“ sagte Gebhard. „Wenn ich mir gegen diese wandelnden Rosen unsere Aschpflanzen im Carneval denke!“

Auf dem Markt – so hieß eine geringe Ausweitung der Gasse, wo der Hauptbrunnen und das Spritzenhaus stand – zeigte sich nun der einzige Gasthof, „zum blauen Löwen,“ wo die Nachbarschaft an Markttagen einkehrte: Reisende verirrten sich wohl niemals hierher. Dicht daneben, im Schatten zweier geköpfter Pappeln, lag die schon gerühmte Apotheke, welche, um zu zeigen, daß man auch hier nicht hinter der Zeit und ihren weltbewegenden Interessen zurückgeblieben sei, „die Börse“ genannt wurde: sie war, wie Abends, so auch gegen eilf Uhr Vormittags, der Sammelplatz der Honoratioren, welche dann die neuesten Zeitungsnachrichten bei einem Glase Doppelbier oder an Festtagen bei gutem Rheinwein, den der Apotheker von der Quelle kommen ließ, besprachen und, wie nicht zu leugnen, oft mit sehr gesundem Urtheil, wenn es innerhalb der Tragweite ihrer Anschauungen lag. Auch heut waren sie bereits versammelt und Aßberg erkannte unter ihnen den Gerichtsverweser. Dieser stand auf, als der „Bergaer“ vor dem blauen Löwen anhielt, und begrüßte die absteigenden Herren. Günther fragte sogleich nach den Verhältnissen in Allweide.

„Ach, das ist ein Elend, Herr von Aßberg. Wenn nur der Alte erst unter der Erde wäre, daß man die Tochter fortnehmen könnte! Es geht Einem an’s Herz, wenn man ihren Jammer mit ansieht, und das Schlimmste kommt erst nach, wovon sie noch keine Ahnung hat. Sie behält nichts, auch gar nichts. Der liebe Nachbar, der die Geschichte, so lange der Alte lebte, durch Darlehne noch gehalten hat, legt nun die Hand d’rauf; die pure Menschenliebe, aus der er’s gethan, macht sich bezahlt – so ’n Capitalist kann rechnen! Wir Einheimischen witterten den Fuchs, als er sich hier bei uns ankaufte – verzeihen Sie, Herr von Aßberg, auf Sie geht das nicht, Sie sind ein Cavalier, der bei uns leben will, der aber will bei uns nur noch reicher werden, und wenn er den andern Herrn, dem das Wasser auch schon an den Hals geht, ausgekauft hat, dann spielt er auf dem Kreistage die erste Violine und unsere ehrlichen Gutsbesitzer müssen danach tanzen.“

Aßberg unterbrach diesen Ausbruch des Unwillens durch eine neue Frage.

„Ja, das Lenchen, was soll aus ihr werden? Dort kann sie nicht bleiben, wo Alles versiegelt ist, und ich ihr auf meine Verantwortung nur ein bischen mehr, als sie eben braucht, herausgelassen habe. Eine Mutter hat sie nicht mehr – nahe Verwandte auch nicht. Wenn sie nicht das Unglück mit ihrem Bräutigam gehabt hätte, wäre sie versorgt, nun weiß ich vor der Hand keinen andern Rath, als daß ich sie zu mir nehme, im Stich lassen kann ich das arme Ding doch nicht.“

(Fortsetzung folgt.)



 

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_277.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)