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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Aber es ist nun einmal der Fluch äußerer Lächerlichkeit, daß sie gute Eindrücke nur zu leicht wieder verwischt: hätte der gute Gerichtsverweser nur nicht gemeint, als Reiter imponiren zu können, so würde er das beste Andenken bei seinem neuen Bekannten, wie er den Grafen schon nannte, hinterlassen haben. Als er sich aber nach genossenem Kaffee empfahl, ein schweifklemmender, dicker Falber mit einer bunten Phantasie-Chabraque vorgeführt wurde, der kleine, starke Herr schulgerechten Tempos aufsaß, und nochmals die Mütze, an welcher jetzt ein Sturmriemen hing, im Halbkreise gegen die Zurückbleibenden schwenkend, im Galopp – leider über Kreuz angesprungen – vom Hofe ritt, da war bei der Frivolität einer Diplomatenlaune Alles vergessen, was diese Groteske vorher Würdiges und Achtungswerthes zu Tage gefördert, und selbst die wohlwollende Frau von Aßberg hatte sich des Lächelns nicht enthalten können. Der Gerichtsverweser lebte aber der festen Ueberzeugung, daß er seiner guten Bekanntschaft durch das Reiterstücklein die Krone aufgesetzt habe, und wußte des Abends in der Apotheke, wo die Honoratioren des kleinen Städtchens sich zu einer stehenden Partie Casco oder Deutsch-L’Hombre zusammenfanden, viel von „Hallstein,“ wie er nach Sitte seines Kreises den Grafen kurzweg und familiär nannte, zu erzählen und pries ihn als einen „charmanten Kerl.“

In Berga gedachte man seiner übrigens auch nicht mehr im Spott, sobald nur erst sein Hufschlag verhallt war. Günther rühmte ihn als einen rechtschaffenen[WS 1] und gegen die niederen Classen menschenfreundlichen Mann, was man, wie er behauptete, den Rechtspflegern nicht immer nachrühmen könne; Frau von Aßberg erzählte dazu einige Thatsachen und entschuldigte seine Schwäche, sich für einen guten Reiter zu halten, mit dem Mangel an Vorbildern in hiesiger Gegend, die ihn zur Selbsterkenntniß führen könnten. Der Graf richtete einen fragenden Blick auf seinen Freund. Dieser war einst der kühnste Sportsman gewesen; schon als Student hatte er Wagestücke zu Pferd gemacht, welche die ganze Stadt, besonders die weibliche Bevölkerung, in schaudernde Bewunderung gesetzt hatten. Sollte er auch dieser Neigung entsagt haben?

Günther ließ mit der Antwort nicht lange warten.

„Ich habe gar kein Reitpferd – mir geht es, wenn auch ohne Gelöbniß, wie Götz von Berlichingen, der kein Roß mehr besteigen und keine Nacht mehr außerhalb seiner Burg zubringen durfte.“

„Bravo!“ sagte Gebhard und forderte keine Erklärung mehr. Er fühlte sich in diesem Momente dem Freunde plötzlich so gänzlich fremd geworden, daß es ihm lächerlich vorkam, alte Beziehungen, an die nur er noch glaubte, wieder beleben zu wollen. Auch klang das Wort der Mutter, mit welchem sie ihr heutiges Gespräch beendigt hatte, von Neuem in seiner Seele und er kam sich wie ein Mephistopheles vor, der den kaum gewonnenen Frieden zu stören trachtete. Günther hatte Grund gehabt, das Leben in der Einsamkeit zu suchen und das: „Ja!“ seiner Mutter war nur zu bezeichnend, daß es ein gar schmerzlicher Grund gewesen sei. Sein „Bravo!“ dagegen – es klang so ironisch! Frau von Aßberg richtete ihr Auge auf ihn und er mußte diesem Blicke begegnen: welch’ eine Innigkeit rührender Bitte lag in ihm! Er verstand sie und rasch ihren Wunsch erfüllend, suchte er den Eindruck, den sein Ton offenbar auf den Freund gemacht hatte, zu entkräften.

„Was man will im Leben, muß man auch ganz durchführen!“ sagte er. „Du hast Deinen freien Entschluß gefaßt, willst hier im Sinne unserer Vorfahren, welche dem Lande erst deutsche Cultur gebracht, weiter wirken und nichts hierher verpflanzen, was Deinem jetzigen Schaffen fremd ist. Blutpferde, wie sie eigentlich nur Freude am Reiten gewähren – was sollten sie Dir hier? Und zu einem ehrlichen Landklepper hast Du Dich noch nicht entschließen können. Es wird aber kommen. Freund Günther, und ich sehe Dich schon auf einem cousin germain jenes Falben neben dem Herrn Gerichtsverweser dahin sprengen, der dann rapide Fortschritte in der Equitation machen wird. Du wolltest mir aber Deine Marken zeigen, so fahren wir wohl?“

Aßberg hatte bereits Befehl gegeben und ein leichter Wagen mit einer Gabel, in welcher nur ein Pferd, aber von edler Race ging, fuhr vor.

„Sieh, das verspricht schon etwas!“ sagte der Graf, indem er das tadellose, schön gebaute Thier musterte. „Du wirst hier die alten Heroenzeiten wieder heraufbeschwören. Homer’s Helden ritten auch nicht, sie fuhren. Wohlan, ich vertraue mich Dir an.“

Beide verabschiedeten sich von Frau von Aßberg und der Wagen rollte mit ihnen vom Hofe; kein Diener begleitete sie.

Im raschen Trabe fuhr Günther, nachdem er die beiden Steinpfeiler, welche den Eingang des nie verschlossen Thorweges bezeichneten, hinter sich hatte, längs der Hecke des Dorfes dahin, dessen ärmliche, mit Rohr gedeckte Hütten vereinzelt zwischen Bäumen und dichten Sträuchern liegen. Es war kein erfreuliches Bild, aber für einen starken Willen bot sich gewiß hier die reichste Gelegenheit, bessere Zustände zu schaffen. Denn auf der andern Seite, wo in strömender Ueppigkeit sich Weizenfelder mit dichten Halmen und schweren Fruchtähren ausstreckten, lag die Gewißheit, daß der Boden des Landes nicht schuld sei, wenn die Menschen in Armuth verkümmerten. Ein schmaler Weg, welchen Günther dann einschlug, führte die Freunde in vielen Krümmungen durch diese gesegneten Fluren zu einer sanft ansteigenden Lehne, wo die Fruchtbarkeit allmählich aufhörte; oben breitete sich sandiges Land weithin und ein dunkler Kiefernwald begrenzte die Aussicht.

Hier ließ Günther das edle Gestütpferd, das er zum Einspänner degradirt hatte, Schritt gehen und Gebhard erwartete, daß der Freund sich nun gegen ihn aussprechen werde. Er sah sich aber bald darin getäuscht, denn kein Wort, als nur über die Oertlichkeit und die Pläne, welche er für Verbesserungen und neue Anlagen hatte, kam über Günther’s Lippe. Zum ersten Male fand er ihn langweilig – wie hatte er sonst in seiner Geist und Witz sprühenden Unterhaltung die köstlichsten Stunden verlebt! Was war ihm denn geschehen, das ihn so ganz gebrochen, fast konnte man sagen, zerschmettert hatte? Auf der Seele brannte es Gebhard, ihn offen zu fragen, aber er hatte Frau von Aßberg gelobt, seinen wohl schwer errungenen Frieden zu ehren – und so ergab er sich und achtete kaum auf seine Worte, verlor sich vielmehr mit seinen eigenen Gedanken, welche von Neuem in immer engern Kreisen den Flug nahmen, von welchem er sie heute schon gewaltsam zurückgerufen hatte.

Sie waren unterdessen an den Wald gelangt.

„Noch immer Dein?“ fragte Hallstein zerstreut.

„Ich will Dir noch meine Pracht zeigen, nachdem wir lange durch trostlose Wüstenei gefahren sind.“

„Schöne Bauplätze, nicht wahr? Unschätzbar zu verwerthen, wenn nur Communicationen, Eisenbahnen, Canäle – wie?“

„Du schnellst einen Pfeil mit vergifteter Spitze, Gebhard – warum?“

Das klang wieder, wie ein Verständniß suchen, und Gebhard hätte es gern benutzt, aber er bezwang sich und gab nur seine beschämende Ignoranz in land- oder forstwirthschaftlichen Dingen als Grund der spottenden Neckerei an.

„Ich hoffe, Dich zu aufrichtiger Bewunderung zu bekehren,“ erwiderte Günther und das feurige Roß brauste nun, seiner Freiheit mehr überlassen, in schneller Gangart mit ihnen durch den Wald dahin. Dieser veränderte allmählich seinen Charakter. Zwischen die braunen, mächtigen Kiefern, welche allerdings Bauholz von unschätzbarem Werthe geliefert hätten, drängten sich einzelne junge Eichen ein, deren wurden mehr und immer ältere; die Kiefern verschwanden endlich ganz und ein Eichenwald nahm jetzt die Freunde auf, dessen ernste Pracht und Majestät den Grafen wirklich ganz übermannte. Er erinnerte sich nicht, je etwas Aehnliches gesehen zu haben, und gab seinem Staunen, seiner Bewunderung laute Worte.

Mitten im Forste gelangten sie zuletzt an einen Weiher von beträchtlichem Umfange. Die Riesenbäume, die ihre Wurzeln in seine Ufer geschlagen hatten, spiegelten sich in seiner unbewegten Fluth; ein goldner Glanz von der untergehenden Sonne füllte das niedere Gebüsch, das sich hier drängte mit zauberischen Lichtern. Es war eine Stätte von ganz eigenthümlicher und wunderbarer Schönheit, welche auf Jeden, der sie zum ersten Male sah, einen tiefen Eindruck machte; Hallstein war verstummt und ließ, während Günther am Rande des stillen Gewässers das Pferd anhielt, seine Blicke über dies geheimnißvoll abgeschlossene Waldgefild schweifen.

Hier begriff er, wie dem Einsiedler die Abgeschiedenheit von der Welt ein wahres Genügen im Herzen geben kann, hier konnte er sich einen heiligen Hain altgermanischen Götterdienstes denken, ja die Naturverehrung der Urzeit, ehe sie hellenische Gestaltung in sinnlich schönen Formen gewonnen hatte. Sein Auge bemerkte endlich am jenseitigen Rande, zwischen den tiefhängenden Zweigen halb versteckt, den weißen Streif eines angefangenen Gemäuers, das sich jedoch bis jetzt nur wenig über den Grundstein erhoben zu haben schien. Günther ließ eben den Wagen wieder leise angehen –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: rechschaffenen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_275.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)