Seite:Die Gartenlaube (1857) 256.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

überschwemmen alsdann den Markt mit ihren Producten, so lange nicht die strengsten Einfuhrverbote in Geltung gesetzt werden.

Und hier kommen wir eben zur dritten Forderung, als dem Schlußstein des ganzen Systems, zur Absperrung, zur industriellen Kriegserklärung der einzelnen Staaten gegen einander, ohne welche Maßregel es in keiner Weise aufrecht zu halten ist. Wirklich bestanden solche Zustände im Mittelalter und selbst bis in die Anfänge des achtzehnten Jahrhunderts hinein, ein Zeitraum, welcher die größte Blüthe des Handwerks umfaßt. Nicht blos eine Anzahl von Reichsstädten und Reichsrittern bildeten dazumal mit ihren Besitzungen kleine Staaten, völlig abgeschlossene Gebiete für sich; jeder einzelne Ort war durch die Schwierigkeit und Kostspieligkeit der Communication, die Menge von Fehden und Privatkriegen, von Zöllen und Geleiten, durch die Unsicherheit der wenigen überaus schlechten Verkehrsstraßen, thatsächlich bis zu einem gewissen Grade abgesperrt, so daß die Einwohner, was irgend daselbst zu haben war, nicht leicht von anders woher zu nehmen in Versuchung kamen. Da war denn eine solche auf das locale Bedürfniß berechnete Gewerbsorganisation ganz am Platze. Allein wie will man ein solches Sperrsystem jetzt durchführen, wo jene politische Zerrissenheit der Bildung großer, geordneter Staaten gewichen ist, und die ungeheure Steigerung aller Verkehrsmittel die fernsten Länder mit einer Leichtigkeit und Sicherheit mit einander verbindet, wie dies früher bei Ortschaften desselben Landes auf wenige Meilen Entfernung kaum der Fall war? Wenn auch ganze große Ländercomplexe noch gewisse Zolllinien gegen einander aufrecht erhalten, so schwinden diese von Tage zu Tage im wohlverstandenen allseitigen Interesse immer mehr, auch sind sie nicht der Art, eine solche Absperrung zu bewirken, wie sie nothwendig wäre, die auswärtige Production auszuschließen und Producenten und Consumenten ortsweise auf einander zu beschränken. Ohnehin wäre dies bei unseren dicht bevölkerten Staaten unausführbar und würde die Existenz der Mehrzahl der Einwohner ganzer großer Bezirke und Provinzen gefährden, welche blos bei ungehindertem Absatz ihrer Producte in entfernte Gegenden bestehen können, der ihnen bei Durchführung obiger Maßregel natürlich entzogen würde. Denn nie darf man dabei außer Acht lassen, daß die Hemmung der Einfuhr mit der Hemmung der Ausfuhr nothwendig Hand in Hand geht, und daß die eine stets die andere erzeugt. Nicht blos, daß, wenn ein Staat sich gegen die andern abschließt, diese in der Regel eine solche Maßregel erwidern, sondern dem Lande, dessen Producte in dem andern nicht zugelassen werden, fehlen ja eben deßhalb die Zahlungsmittel für die Producte des letztern, sich abschließenden, indem volkswirthschaftlich aller Verkehr am letzten Ende auf einen Productenaustausch hinausläuft.

Das wäre ohngefähr dasjenige, was sich der Betrachtung jedes Unbefangenen über den von den Handwerkern bei der vorliegenden Frage eingenommenen Standpunkt aufdrängt, und wir wollen schließlich nur noch einer großen offenbaren Täuschung gedenken, welcher sich die Handwerker dabei hingeben. Wären nämlich die gemachten Forderungen auch wirklich ausführbar – wie sie es eben nicht sind – würde durch ihre Realisirung wirklich der Preis und Absatz der Handwerkerwaaren auf die Dauer erhöht, so könnte den Handwerkern dies doch nur sehr wenig nützen. Daß durch die Ausschließung vom Handwerk, durch die Beschränkung des Fabrikwesens Massen brodloser Menschen geschaffen werden, an welche die Handwerker nichts verkaufen können, wollen wir hier ganz bei Seite setzen. Allein da nicht blos einzelne, sondern sämmtliche Handwerke gleichmäßig begünstigt werden sollen, so muß die erwartete Preissteigerung natürlich in allen Handwerksartikeln gleichmäßig eintreten. Nun ist der einzelne Handwerker aber immer nur in Bezug auf eine einzige sehr beschränkte Classe von Artikeln Producent, mit der Wirkung, daß er sich und seine Familie darin durch eigne Arbeit versorgen kann. In den meisten Fällen muß er sich, zur Befriedigung seiner, wie der Bedürfnisse der Seinigen, selbst an andre Handwerker wenden und deren Producte kaufen. Was braucht der Schuhmacher nicht alles außer seinem Schuhwerk, der Kammmacher außer Kämmen, der Bäcker außer Brod, Schlosser und Schmidt außer ihren Eisenwaaren! Sind nun alle diese verschiedenen Waaren im Preise gestiegen, so geht nothwendig das Mehrverdienst, die größere Einnahme in dem einen Gewerbszweige, durch die größere Ausgabe beim Ankauf der Waaren von den andern wieder verloren. Gesetzt, der Tischler A. hätte bisher mit Hülfe eines Gesellen und Lehrlings jährlich 400 Thaler verdient, und davon an Bäcker, Schuhmacher, Fleischer, Schneider u. s. w. 350 Thaler ausgegeben, während ihm seine Wohnung 50 Thaler kostet, so daß er gerade auskam, aber Nichts übrig behielt. Durch die Preissteigerung in Folge der Gewerbsbeschränkungen soll sich nun sein Verdienst bei gleicher Arbeit auf 550 Thaler erhöhen. Wenn nun alle übrigen Producte ebenfalls im Preise gestiegen sind, so daß das verdiente Mehr von 150 Thaler durch die Mehrkosten für seine übrigen Bedürfnisse aufgewogen wird, so ist er nicht im Mindesten gebessert: eine Seite der Sache, die nur zu oft außer Anschlag gelassen wird.




Blätter und Blüthen.

Wie eine Frau ihren Mann erzog. Die Leidenschaft des Trunkes war im siebzehnten Jahrhundert und weit über die Mitte des achtzehnten noch hinaus sehr ausgebreitet. England blieb darin nicht zurück, ja es übertraf noch in nicht seltenen Fällen den Continent, der schon sein Möglichstes leistete. Eine Geschichte der Trinkgelage ist zum größten Theil eine Geschichte der Höfe. Die Frauen waren dabei in übler Stellung, sie litten unsäglich unter dem herrschenden Laster, das den Mann zum wilden Thier erniedrigte, in dessen Hand Alles zur Waffe wurde, und über dessen Zunge die heftigsten Verwünschungen und Beleidigungen kamen, die durch keine Sühne wieder gut zu machen waren. Hier nur ein Beispiel, wie sich eine kluge Frau in einem solchen Falle zu benehmen wußte.

Lord Hair[WS 1], 1673 zu Edinburg geboren, stammte aus der Familie John Dalrymple’s, Viscounts und ersten Earls of Hair, den Wilhelm III. zum Lord-Advocat von Schottland machte. – Lord Hair machte unter Marlborough den spanischen Erbfolgekrieg mit, zeichnete sich bei Oudenarde aus und war der Erste, der die Nachricht des Sieges nach England brachte. 1709 wurde er als Gesandter nach Dresden geschickt, von wo er bei Marlborough’s Sturze zurückberufen wurde. Georg I. ernannte ihn zum Oberbefehlshaber der schottischen Truppen und dann zum Gesandten in Paris. 1730 wurde er Großadmiral von Schottland. Alle diese Ehren hinderten den edlen Lord nicht, daß er bis zu der Katastrophe, von der wir soeben berichten wollen, der Leidenschaft des Trunkes in einem Grade ergeben war, die Alles übertraf, was in diesem Fache bei seinen Landsleuten geleistet wurde. Lady Eleanor Campbell, Tochter des Earl von London[WS 2], war seine Auserkohrene, und zwar hatte er sich in ihren Besitz auf eine etwas eigenthümliche und nicht sehr zu empfehlende Weise gesetzt. Da die schöne Dame sehr wenig Neigung für ihn empfand, und ihm schon ein paar Mal einen Korb gegeben hatte, ging seine Lordschaft darauf aus, die Schöne zu zwingen. Er stahl sich demnach in ein Zimmer ihrer Garderobe, dessen Fenster auf eine belebte Straße Edinburgs führte, und hier, ohne daß die Lady eine Ahnung davon hatte, zeigte er sich am frühen Morgen halbangekleidet am Fenster. Der Ruf der Dame war vernichtet, und wollte sie sich rehabilitiren, so mußte sie, wohl oder übel, dem frechen Manne ihre Hand reichen. So kam die Ehe zu Stande, die bei alledem eine glückliche war, denn Lady Eleanor liebte den Mann, den sie anfangs geflohen, und sie entdeckte gute Eigenschaften an ihm, die sie nicht gesucht; namentlich sprachen sein Muth, seine Ehrenhaftigkeit und seine männliche Energie, die ihm nie erlaubte, ein gegebenes Wort zu brechen, zu seinen Gunsten. Nur einen unvertilgbaren Makel fand sie, und dieser war der Trunk. Lord Hair berauschte sich bis zur Sinnlosigkeit. Lady Eleanor hatte, wenn er sich in solchem gefährlichen Zustande befand, die herkulische Kraft seiner Fäuste mehr als einmal auf ihren zarten Schultern gefühlt, und sie nahm sich fest vor, diesem bösen Spiele ein Ende zu machen. Eines Abends hatte seine Lordschaft der Flasche wiederum über alle Gebühr zugesprochen und er ging in die Gemächer seiner Frau und versetzte ihr einen Faustschlag in’s Gesicht mit solcher Kraft, daß das Blut über Stirn und Wangen sich ergoß und selbst Hals und Busen färbte. Als er diese Heldenthat vollführt, legte er sich zu Bette. Aber Lady Eleanor blieb die ganze Nacht über sitzen, und am andern Tage in der Frühe, als der Trunkenbold ausgeschlafen hatte, trat sie ihm entgegen, ein Schreckbild, ganz in Blut getaucht, und kaum aus den Augen sehend. Der Anblick wirkte wie das Haupt der Medusa, versteinernd auf den Armen, der sich gewöhnlich nur dunkel der Vorgänge des Abends besinnen konnte, jetzt aber in furchtbarer Deutlichkeit sein Werk vor sich sah. Er that das Gelübde, wie Einer, der vor sich selbst einen Abscheu gefaßt, nie wieder einen Tropfen Wein über seine Zunge gleiten zu lassen, außer seine Frau selbst fülle ihm den Becher. Lady Eleanor hatte gesiegt: daß er den Schwur halten würde, das wußte sie. Jetzt ging sie und wusch sich rein. Später, bei allen Gelagen, die er mitfeierte, trank Lord Hair nur das Quantum an geistigen Getränken, das ihm seine Frau zumaß, und er war hierin so gewissenhaft, daß bei den Trinkgelagen, die die Männer nach alter Sitte in England beginnen, wenn die Frauen sich vom Tische erhoben und entfernt haben, er jedesmal die Lady bat, ehe sie sich entfernte, ihm das Maß zu bestimmen, das sie ihm zu trinken erlaube. So that der Großadmiral und Oberbefehlshaber Schottlands!



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist hier wie folgend statt Hair der Earl of Stair. Siehe Wikipedia: John Dalrymple, 2. Earl of Stair
  2. Gemeint ist der Earl of Loudoun, siehe Wikipedia
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_256.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2022)