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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Und wir wanderten selbander hinaus – westwärts auf der Frankfurter Straße.

Dicht hinter Naumburg blieb Alfred stehen und labte sich lange an der herrlichen Aussicht, die auf diesem Bergwege dem Wanderer sich darbietet.

Nordwärts – gerade gegenüber, hinter den Rebenhügeln, an deren Fuße die Unstrut sich zwischen schmucken Dörfern hindurchschlängelt, um gleich darauf in die Saale zu münden, erhebt sich der majestätische Thurm des Freiburger Bergschlosses und gibt dem ohnehin anmuthigen Thalgrunde einen höchst romantischen Charakter. In der That: eine liebliche Aussicht, die noch eine reichere wird, wenn man sie von einer der Villa’s aus genießt, welche diesen Theil der Frankfurter Straße zieren. Besonders ist hierbei die Villa hervorzuheben, welche gegenwärtig der Dichterin Elise Mente zur Wohnung dient. –

Die Klopstocks-Quelle bei Schul-Pforta.

Bei dem eine halbe Stunde von Naumburg entfernten Dorfe Altenburg (gewöhnlich Almrich genannt) verließen wir die Chaussee und erstiegen, uns etwas links wendend, den imposanten, schön bewaldeten Knabenberg.

Von der westlichen Kante dieser mit so reichem Wechsel herrlicher Thalsichten ausgestatteten Hochebene – über der sogenannten „Windlücke“ – erblickt man Kösen, die Saaleck, die Rudelsburg, den hohen Rittersitz Kreipitzsch, den Ettersberg; ja es lassen sich bei klarem Wetter sogar der Schneekopf, Finsterberg und Kikelhahn, sowie andere einzelne Spitzen des Thüringer Waldes erkennen. Hier ist auch der Punkt, von wo aus Fürst Pückler-Muskau unser Saalthal näher in Augenschein genommen. Daß er die Gegend „eine magere Schönheit“ nennt, darf bei ihm, dem „über die Maßen Verwöhnten,“ nicht Wunder nehmen.

Von der Windlücke aus führt ein Pfad in das „Eichenunterholz“ und dann links zuletzt zu einer Laube, welche gerade über dem Pfortaischen Garten steht. Der Blick auf Pforta und auf seine Kirche hinab ist wahrhaft reizend und mein Engländer hatte wohl Recht, als er auf dieser Stelle entzückt ausrief:

„O dieses liebliche Bild friedlicher Ruhe!“ –

Als wir die Höhe wieder hinabgestiegen waren, gingen wir durch das anmuthige „Pfortenholz,“ das von einem schmalen Arme der Saale, der sogenannten kleinen Saale – Klopstock in der Ode „Erinnerungen“ nennt sie den kastalischen Arm – durchflossen wird. An diesem Wege liegt die Klopstocksquelle, jene Quelle, welche ihrem Namen zum Gedächtniß des einst so gefeierten Dichters trägt, der – wie weiter unten gezeigt werden wird – schon als Alumnus hier den Plan zu seinem Messias entworfen und „beinahe ganz vollendet hat.“

Alfred war ein warmer Verehrer der Messiade. Er führte mehrere seltene Ausgaben derselben bei sich, darunter sogar eine holländische Übersetzung des Freiherrn von Meerman. Es nahm mich daher nicht Wunder, daß er sich mit einer wahren Andacht dem „Lieblingsplatze des heiligen Sängers“ näherte. Noch ein paar Schritte, und – wir standen vor der Quelle, die die ersten Töne der himmlischen Harfe vernommen. Ein einfacher Ueberbau, aber von Schlingpflanzen und Baumzweigen malerisch umrankt, ist der einzige Schmuck derselben.

Der Engländer entblößte ehrerbietig sein Haupt. Dann sprach er mit feierlicher Stimme:

„Der Seraph stammelt, und die Unendlichkeit
Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach
Dein hohes Lied –“

„Man spricht so wenig noch von diesem Dichter. Ist Klopstock in seinem, in Eurem Deutschland – vergessen?!!“ frug er.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_252.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)