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unendlicher Zauber umgab die ganze Gestalt, deren melancholisch sanftes Auge von brauner Farbe eine magnetische Anziehungskraft auf mich ausübte. Ich habe nie wieder in meinem späteren Leben einen ähnlich seelenvollen Blick gesehen; so stellte ich mir das Auge der heiligen Märtyrer im Momente ihrer Verzückung oder Verklärung vor; bald erschien mir dieser Blick wie die stille Klage der unerfüllten Sehnsucht, bald wie die demüthige Ergebung in einen höheren Willen; er schien nicht mehr der Erde, sondern mir noch dem Himmel anzugehören, ein heiliges Mysterium zu verhüllen. Wunderbar von diesem geheimnißvollen Blicke angegangen, näherte ich mich der Frau, die trotz ihres bleichen Aussehens mehr Reize für mich hatte, als all’ die blühenden Mädchengestalten, denen ich bisher begegnet war. Endlich stand ich ganz in ihrer Nähe und wagte, sie zu der Polonaise zu engagiren, selbst auf die Gefahr hin, einen Korb zu bekommen, da ich ihr nicht vorgestellt war. Zu meiner Verwunderung nahm sie mein Anerbieten an und ich war schon eitel genug, dieses Glück meiner Kühnheit und von der Natur nicht ganz vernachlässigten Persönlichkeit zuzuschreiben.

Man kann sich denken, daß ich meinen ganzen Geist und all’ die mir zu Gebote stehende Liebenswürdigkeit aufbot, um meine Tänzerin zu unterhalten. Sie hörte mir auch anscheinend mit der größten Aufmerksamkeit zu und ich schmeichelte mir, bereits einen bedeutenden Eindruck auf sie oder gar auf ihr Herz gemacht zu haben, aber so sehr ich mich auch bemühte, eine entsprechende Antwort auf meine Fragen zu erhalten, so mißlang mir jeder derartige Versuch. Nur mit Mühe und Noth entpreßte ich ihr ein trockenes „Nein“ oder ein eben so trockenes „Ja“; im Uebrigen setzte sie meinen geistreichsten Reden ein eben so hartnäckiges als beleidigendes Stillschweigen entgegen. Ich konnte mir nicht denken, daß eine Frau mit solchen Augen keinen Geist besitzen sollte; deshalb stellte ich ihr Verstummen auf Rechnung einer kleinen weiblichen Rache, um mich für meine Zudringlichkeit zu strafen. Meine Eitelkeit erhielt dadurch einen neuen Sporn und ich setzte alle Schleußen meiner Beredsamkeit in Bewegung, um ihr Stillschweigen zu brechen und endlich ihren feinen, geistreichen Lippen ein interessantes Wort oder ein zustimmendes Lächeln abzugewinnen. Vergebliche Mühe, alle meine Anstrengungen waren umsonst; ich verzweifelte zum ersten Male vielleicht in meinem Leben einer Dame gegenüber; ich fühlte mich vernichtet und vollkommen gedemüthigt. Mit mehr Ungeduld, als ich anfänglich mir vorgestellt hatte, erwartete ich das Ende der Polonaise, welche mir eine Ewigkeit zu dauern schien. Sobald der letzte Takt verhallt war, führte ich meine stumme Schöne oder schöne Stumme zu ihrem Platze zurück, noch einmal um Entschuldigung für meine Zudringlichkeit bittend; sie sah mich nur mit ihren wunderbaren Augen an, ohne eine Sylbe mir zu antworten. O, es war zum Verzweifeln! Auch hier schien es mir nur auf eine Mystification abgesehen. – Als ich mich umwendete, entdeckte ich endlich meinen Freund, den Director, der mir sogleich entgegenkam.

„Verzeihe nur,“ sagte er, „daß ich Dich dem Zufalle überlassen mußte und Dich nicht selbst empfangen konnte; aber ein Arzt ist selten Herr seiner Zeit. Wie ich sehe, hast Du bereits Dich bekannt gemacht und sogar getanzt.“

„Sage mir, wer war meine Tänzerin? Du kennst sie gewiß.“

„Dort die Dame mit den schönen Augen? Baronin von Eichenhof.“

„Ganz recht; ich wollte Dich nur fragen –“

Aber ehe ich noch meine Frage stellen konnte, war der Director mir entführt und ich gerade so klug, als zuvor. Ich wußte wirklich nicht, ob ich meinen Freund mehr beneiden oder mehr bedauern sollte. Nie habe ich in einer Gesellschaft einen Wirth getroffen, der mehr von seinen Gästen in Anspruch genommen wurde, als er. Jeder wollte mit ihm reden, wenigstens ein Wort aus seinem Munde hören; Alles drängte sich um ihn; man suchte ihn für sich zu fesseln und ihn ausschließlich fest zu halten. Es fand ein förmlicher Wettkampf um seine Person statt und besonders die Damen schienen seinetwegen förmlich auf einander eifersüchtig zu fein. Ich freute mich über eine solche Beliebtheit, obgleich ich selbst darunter zu leiden hatte, da ich nur selten und im Fluge meinen Freund zu sehen bekam; an Sprechen war unter solchen Umständen gar nicht zu denken. Aus demselben Grunde mußte ich also auf die Befriedigung meiner Neugierde verzichten und mich vorläufig nur mit dem Namen der stummen Baronin mit den schönen Augen begnügen.

Noch ganz niedergebeugt von meiner ersten Niederlage, ließ ich den nächsten Tanz vorübergehen und suchte Unterhaltung im Nebenzimmer, wo einige Spieltische aufgestellt waren. Als Zuschauer nahm ich Antheil an einer Wisthpartie, welche von zwei Herren und einer Frau gespielt wurde. Niemals waren mir ähnliche Spieler vorgekommen; jedes von ihnen schien mir ein seltenes Original zu sein. So oft die schon ältliche Dame Karten gab und zufällig Coeur Trumpf wurde, stieß sie ein schallendes krampfhaftes Gelächter aus, worauf sie im halbleisen Tone nach einer eigenen Melodie die Worte sang: „Herzen macht Schmerzen, Pique aber froh,“ wozu sie mit dem Kopfe und ihrer schon aus der Mode gekommenen hohen Frisur in ganz seltsamer Weise wackelte. Auch die beiden Herren hatten ihre besonderen Angewohnheiten, wie man sie jedoch zuweilen bei alten Spielern findet. Wenn der Erste ausspielte, warf ihm stets der Zweite einen wüthenden Blick zu und meist blieb es nicht nur bei bloßen Blicken, sondern es wurden auch allerlei scharfe, anzügliche Redensarten von ihm vorgebracht und zuletzt die Karten auf den Tisch geworfen, ohne Rücksicht auf die Gegenwart der Dame zu nehmen. Diese Heftigkeit des Einen bildete in der That einen komischen Contrast zu der fast phlegmatischen Sanftmuth des Andern, der für den aufbrausenden Zorn seines Gegners nur ein stumpfes Lächeln und seine Tabaksdose hatte, aus der er bei jedem neuen Wuthanfall des Tyrannen eine Prise mit den eintönigen Worten nahm: „Contenance, nur immer Contenance, Patience und immer Patience.“

Zuletzt ermüdete mich dies einförmige Schauspiel und ich kehrte wieder in den Saal zurück, wo einige Erfrischungen herumgereicht wurden. Dort in einer Ecke stand der junge Chemiker, der Entdecker der versteinerten Luft, und schien sich lebhaft mit der Analyse eines Glases Mandelmilch zu unterhalten, während meine Tänzerin mit ihren bezaubernden Augen die Decke anstarrend einen Löffel Ananaseis zwischen ihren zarten Lippen schmelzen ließ. Der Bediente näherte sich auch mir mit dem Präsentirteller und bot mir einige Erfrischungen an, für die ich ihm dankte.

„Warum nehmen Sie denn nichts?“ fragte mich ein feingekleideter Herr, der mir eine große Sorgfalt auf seine Toilette verwendet zu haben schien; „warum nehmen Sie denn nichts?“ wiederholte er in verwundertem und, wie es mir vorkommen wollte, gebieterischem Tone.

„Ich danke, da ich weder Hunger noch Durst verspüre,“ entgegnete ich ablehnend.

„Sie müssen aber essen und Sie sollen trinken. Ich befehle es Ihnen!“ herrschte er mir mit hochmüthiger Geberde zu.

„Mein Herr, der Scherz geht zu weit!“

„Wer sagt Ihnen, daß ich scherze! Wissen Sie, mit Wem Sie sprechen!“

„Zwar habe ich nicht die Ehre, aber jedenfalls sind Sie so gut wie ich hier ein Gast des Directors.“

„Ich ein Gast? Lächerlich! Ich bin der Kaiser Napoleon, der Beherrscher der ganzen Welt.“

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Daß ich mich in einer Irrenanstalt befand, daß dieser Ball nur ein geistreiches Experiment meines Freundes war, wurde mir nun mit einem Male klar. Die meisten der eingeladenen Gäste mußten demnach Wahnsinnige sein und ich empfand jenes eigenthümliche Grauen, das mehr oder minder uns die Nähe von Geisteskranken einzuflößen pflegt. Jetzt konnte ich mir sowohl die seltsamen Reden des jungen Gelehrten wie die Apathie der Baronin deuten, der erste war ein überstudirter Schwärmer und die Dame eine beginnende Blödsinnige, trotz ihrer herrlichen Augen. – Ich eilte, um meinen Freund aufzusuchen und ihn wegen seiner Mystification einigermaßen zur Rede zu stellen. Bevor ich jedoch meinen Vorsatz ausführen konnte, trat mir wiederum eine neue Erscheinung entgegen, welche ganz und gar meine Aufmerksamkeit und Theilnahme in Anspruch nahm. Unter dem Schwarme, der sich mir entgegenstellte, begegnete ich unvermuthet einem bekannten Gesichte. Es war der Regierungsassessor Feldern, mit dem ich längere Zeit in einer Stadt und in naher Berührung gelebt hatte. Ich hatte in ihm einen eben so biederen Charakter als ausgezeichneten Kopf achten und schätzen gelernt; nur unsere verschiedene Berufsthätigkeit verhinderte, uns noch enger aneinander zu schließen. Seit seiner Versetzung hatte ich nichts von ihm direct gehört, nur zufällig erfuhr ich, daß er verheirathet und Vater eines oder mehrerer Kinder war. Ich erkannte ihn sogleich und seine Anwesenheit an diesem Orte erfüllte mich mit Trauer, da ich dieselbe nicht mit Unrecht einer geistigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_250.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)