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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Unbeugsamer Trotz lag in seinen Augen und Wildheit und Spott leuchtete unter den schwarzen Wellen seines gekräuselten Bartes. Man war neugierig über seine Herkunft, doch waren die Zeugnisse da, daß sein Wappen ein untadeliges sei, und Mitglieder seiner Familie sich in den Registern des goldenen Buches des venetianischen Adels fanden. Dies genügte. In einer Zeit, wo so viele glückliche Abenteurer umherzogen, die Söhne von Vätern, die diese Söhne nicht anerkannten, wollte und konnte man nicht so genau prüfen. War doch Don Juan von Oesterreich selbst ein solcher Abenteurer. Der Marquis Pescara wurde mit Beifall aufgenommen, und Aretin führte ihn in dem Hause des Fürsten Romagnola ein. Junia gab nicht das mindeste Zeichen, als wenn sie sich mit dem neuen Ankömmlinge beschäftige, und doch war dem so.

Eines Tages sagte sie zu Aretin, als sie eben die Satyren des Lucian gelesen hatten, eine Lectüre, die Junia liebte und die Aretin vortrefflich zu illustriren wußte, indem er sie auf die Gegenwart anwendete: „Signor, gebt mir einen Rath, soll ich mich vermählen?“

„Wozu? seid Ihr mit dem Manne nicht zufrieden, den Ihr habt?“

„Ich, einen Mann?“

„Nun ja, Ihr habt Euch selbst; die schöne Hülle ist eine Lüge: ein Weib seid Ihr nicht.“

„Ihr sucht das Weib nur in der Schwäche.“

„Sollen wir sie in der Stärke suchen, was sind wir Männer denn?“

„Was Ihr stets gewesen seid; so lange die Stärkeren, als kein Stärkerer kommt.“

„Sei es; doch was hat das mit der Ehe zu thun? Die großen Geister heirathen überhaupt nie. Sie schließen augenblickliche Verbindungen, die sie rasch zerreißen, wenn sie ihnen lästig fallen. Nur der grosse Haufe schließt Ehen, weil es des großen Haufen Geschäft ist, die Welt zu bevölkern. Was macht sich ein Philosoph daraus, Vater genannt zu werden? Er, der die Ideen seine Kinder nennt?“

„Genug! was sagt Ihr von dem Marquis Pescara?“

„Der Venetianer?“

„Derselbe.“

„Wenn ich zu wählen hätte, würde ich ihn nicht wählen, er beweist zu wenig Fügsamkeit und Unterwürfigkeit. Hat er auch noch je eine Serenade gebracht?“

„Ist das nöthig?“

„Wenn er auf den Saiten eines Herzens spielen will, muß ich vorher sehen, daß er die Saiten der Cither zu rühren weis?, sagt die Catalonierie.“

„Ich liebe die singenden Männer nicht, sie sollen reden oder – schweigen.“

„Das letztere ist die Eigenschaft unseres Helden.“

„Sagt ihm, daß er heute bei dem Feste nicht fehle, das man meinem Vater zu Ehren gibt. Es ist das Abschiedsfest, morgen gehen wir nach Rom zurück.“

„Ich werde Euren Auftrag bestellen, Signora.“

Aber er bestellte diesen Auftrag nicht. Wie die Kerzen im hellglänzenden Prachtsaale schimmerten, war unter der Menge Einer nicht zu finden, und dieser Eine war der Marquis von Pescara. Junia hatte ihn schon gesucht und sie flüsterte jetzt ihrem Vertrauten zu: „Habt Ihr ihn herbeschieden, wie ich gesagt?“

„Signora, dieser Wildfang hat es vorgezogen, eine Jagdpartie, die schon längst verabredet war, heute abzuhalten. Er läßt sich entschuldigen.“ Die Fürstin erwiderte nichts; es war nicht der leiseste Zug von Bewegung in ihrem Gesichte zu lesen, und dennoch las Aretin darin, daß er gesiegt habe. Diese Vernachlässigung, die erste, die sie erfuhr, reizte die Stolze. Aretin wußte jetzt, daß er rasch vorwärts schreiten durfte. Er gab seiner Creatur Befehl, sich um das Opfer zu bewerben, das reif war, zu fallen.

Das Abschiedsfest war vorüber, einige Tage mußte der Fürst noch zugeben; als es wirklich zur Reise kam, erschien der Kaiser, den Herzog von Olivarez an der Hand führend.

„Ich komme als Brautwerber, Fürstin!“ sagte der mächtige Herrscher mit der gütigen Stimme eines Protectors; „hier, einer der ersten Granden meines Reiches wirbt durch mich um Eure Hand, Donna Junia! Werdet Ihr Euch weigern, einem würdigen Manne, der zugleich mein Freund ist, anzugehören?“

„Sire,“ entgegnete die junge Römerin, „Seine Hoheit, der Herzog kommt zu spät; vor einer Stunde habe ich mich mit dem Marquis Pescara verlobt!“

Welche Worte! der ganze Hof ist sprachlos vor Erstaunen. Man blickt auf den Vater; auch dieser scheint zum ersten Mal diese Nachricht zu hören. Indessen läßt sich nichts anderes hier thun, als dem Marquis Glück zu wünschen, der über den Herzog von Olivarez den Preis davon getragen hat, ohne daß man wußte, daß er überhaupt nach diesem Preise ringe. Junia triumphirte und über Junia triumphirte Aretin.

In Bologna wurde die Hochzeit mit fürstlicher Pracht gefeiert, dann begaben sich die jungen Vermählten nach Rom. In der Vorhalle des Palastes Romagnola fand folgendes Gespräch statt.

Aretin: „Kennt Ihr schon, Signor, den ganzen Umfang des Vermögensantheils, der Euch zugefallen?“

Der Marquis: „Vollkommen. Es sind Landgüter und baare Geldsummen.“

Aretin: „Die ersteren behaltet, von den letzteren gehört mir die Hälfte.“

Der Marquis: „Euch, Signor?“

Aretin: „Mit vollkommenem Rechte; ich zog Euch aus der Niedrigkeit empor und habe Euch erstens eine Stellung und dann diese Heirath verschafft. Ihr wißt, ihr waret genöthigt, einen falschen Namen anzunehmen, und doch hat Euch die Gerechtigkeit gefunden. Ihr waret verloren, wenn ich nicht kam, Euch zu retten. Euere Familie hatte sich von Euch losgesagt.“

Der Marquis: „Soll ich Euch für alles dieses dankbar sein?“

Aretin: „Haltet es damit, wie ihr wollt.“

Der Marquis: „Nun denn, ich halte es so, daß ich Euch keinen Dank und auch kein Goldstück zahle! O, ich weiß auch, wie ich in der Welt mich zu benehmen habe!“

Einen Augenblick leuchtete ein Blitz in Aretin’s Auge, dann sagte er mit seinem gewohnten kalten Lächeln: „Gut, Signor, ich habe ja die Papiere des Commandore über Euch in meinen Händen. Morgen erfährt ganz Rom, daß Bernardo und der Marquis Pescara eine und dieselbe Person ist.“

Der Marquis gab nach, indem er mit den Zähnen knirschte und seinen Dolch in der Scheide zuckte. Jetzt war Aretin’s Mission vollendet; das, was nun folgen sollte, konnte er getrost seinem Zöglinge überlassen.

Sieben Jahre waren vergangen und nun entrollten die letzten Scenen dieser Tragödie. Wir haben es jetzt mit dem Bilde zu thun, das die Meisterhand Tizians schuf und auf dem die Heldin unserer Erzählung uns zum letzten Male und in einer gänzlich umgeschaffenen Gestalt entgegentritt. Wir sehen ein stolzes Herz gebrochen, einen wilden Sinn gebeugt. Laßt uns nun die Geschichte dieses Bildes erzählen.

Wir haben es jetzt mit Tizian zu thun. Eines Abends sitzt der berühmte Künstler mit einigen Freunden bei einem kleinen Festmahle in der Villa des Cardinals Orsini in Rom, da wird ihm gemeldet, daß Jemand ihn zu sprechen wünsche. Es ist der Bote einer vornehmen Dame, die ihn zu sich bescheidet. Der Name dieser Dame klingt dem Künstler fremd in’s Ohr, dennoch machte er sich sogleich bereit, dem Diener zu folgen, nachdem er seine Freunde nur wenige Augenblicke zu verlassen gedenkt. Er wird in einen Palast geführt und in einem prachtvoll decorirten Gemache allein gelassen. Bald öffnete sich die Thür und eine hoch und schlank gewachsene Frau, in schwarze Schleier gehüllt, tritt herein, bleibt stehen und scheint sich die Züge und die Gestalt des Künstlers mit Aufmerksamkeit zu betrachten. Endlich nimmt sie einen Sessel ein, ihrem Gaste gegenüber. Als sie den Schleier zurückschlägt, glaubt Tizian, diese edlen, reinen Formen, die die Schönheit, aber auch die Kälte des antiken Marmors an sich tragen, schon einmal gesehen zu haben.

„Ihr erkennt mich nicht wieder, Meister,“ hebt sie an, es sind über zehn Jahre, daß wir uns in Ferrara gesehen haben.“

„Fürstin Romagnola!“ ruft der Künstler.

„So hieß ich damals,“ entgegete sie.

„Ihr seid vermählt?“

„Gewesen.“

Nach diesen Worten entsteht eine Pause. Die Dame sieht zu Boden nieder und ihre Stirn ist umwölkt, die starre Blässe ihres Gesichts scheint sich noch gesteigert zu haben. Mit Anstrengung nimmt sie endlich wieder das Wort und sagt: „Damals, Meister

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_243.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)