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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

persönlichen Verkehre mit Seiner Heiligkeit entzogen wurde. Und dies war ihnen ein mächtiger Vortheil.

Wir richten unsern Blick auf Junia; denn mit ihr haben wir es ausschließend zu thun. Sie verließ ihren Vater nie. Mochte es sein, daß man ihn nach Spanien sandte, an den Hof Frankreichs oder zu einem der kleinen italienischen Fürsten, sie war stets in seinem Gefolge. So sehen wir sie denn auch jetzt, wo unsere Erzählung beginnt, an dem Hofe zu Ferrara, wo damals sich drei berühmte Männer aufhielten: Ariost, Aretino[1] und – der noch junge Tizian, aber bereits durch geniale Schöpfungen seines Pinsels bekannt. Man kann sich denken, welchen Eindruck auf diese an sich so verschiedenen poetischen Naturen die Erscheinung eines Weibes machte von dem großartigen Schönheitsgepräge der jungen Fürstin. Sie entschlossen sich alle drei, ihr den Hof zu machen, und sie fanden einen Nebenbuhler in dem Herzog, der sich beeilte, den Vater mit Gunstbezeigungen zu überschütten, um dadurch die Tochter für sich zu gewinnen. Doch die Göttin blieb auf ihrem Siegeswagen, sie stieg nicht herab, um Einen aus diesem Gefolge zu wählen. Der berühmte Sänger des Orlando fand keine Demüthigung des Stolzes darin, die Nächte hindurch wie ein gewöhnlicher Citherspieler unter dem Fenster des Palastes zu stehen, um sein Lied zu singen – vergebens. Tizian bemühte sich um nur eine Sitzung, um eine Skizze zu vollenden, die er im Geheimen angefangen; er erhielt diese Gunst nicht, und Aretino’s schönste Sonnette blieben unbeachtet. Nur den Artigkeiten des Herzogs wurde ein gemessenes Entgegenkommen gezeigt, aber dieses galt der Diplomatie, nicht der Liebe. Verzweifelnd über die Kälte des göttergleichen Weibes entschloß sich Ariost, den Hof zu verlassen, Tizian stürzte sich in ein theologisches Thema und malte ein Concil der Kirchenväter, die über die unentweihte Empfängniß Mariä disputirten, nur Aretino, der boshafte, der tückische Aretino, beleidigt, sich abgewiesen zu sehen, verließ den Gegenstand früher seiner Liebe, jetzt seines Hasses, nicht und sann auf eine Gelegenheit, um sich zu rächen.

Der Fürst verließ mit seiner Tochter den Hof von Ferrara; Aretino begleitete ihn nach Rom. Er war der angenehmste Gesellschafter, den man sich wünschen konnte. Geistvoll, witzig, immer bereit, ein treffendes Wort zu geben und zu nehmen, stets in heiterer Laune und voll von Aufmerksamkeiten gegen die, denen er sich verpflichtet zeigen wollte. Ein gewandter Weltmann, wie es keinen zweiten gab, hatte er den weitesten Horizont vor sich, und da die Empfindlichkeit und Reizbarkeit seines Gewissens ihn nicht beengte, so erweiterte er diesen Horizont auch gelegentlich nach Richtungen hin, wo das Auge eines ehrlichen Mannes nicht hindringt. Boshaft bis in die tiefste Falte seiner Seele hinein, zeigte er die offene Stirn und das heitere Lächeln einer Natur, die Ursache hat, zu glauben, daß sie sich ebenso mit dem Himmel wie mit der Erde gut stehe. Er, der seine Feder angesetzt hatte, um die berüchtigten Gemälde Julio Romanos so zu erklären, daß die Linien, die die Feder zog, noch die an Zügellosigkeit übertraf, die der Griffel vorgezeichnet hatte; ich sage, dieser Mann machte, wenn er wollte, so reizende Schäfergedichtchen, daß sie die Unschuld selbst mit Entzücken las. Junia wußte, was sie an ihm hatte: sie wollte ihn auch gern zum Gesellschafter, nur nicht zum Liebhaber, und da Aretin auf diese Stellung verzichtet hatte, so gab ihm Junia Ersatz, indem sie ihm zeigte, wie sehr sie mit ihm harmonirte, wenn es darauf ankam, über Bücher, Menschen und Dinge ein Urtheil zu fällen.

„Sie ist ein Teufel,“ schrieb er an Ariost, „aber ich werde sie zu meinen Füßen legen. Ich oder sie – Einer von uns muß siegen. Nie hat mich ein Weib so beschäftigt, wie dieses – das soll sie mir entgelten. Ich sinne über meine Rache, wie ein Poet über sein Gedicht. Ich sitze Nächte lang auf und ziehe sie heimlich groß, und freue mich an ihrem Wachsthum. Armer Ariosto, der Du glaubtest, dieses Weib könne durch einen schönen Vers besiegt werden! Es sind andere Mittel nöthig – um daß sie falle. Für’s Erste habe ich schon bemerkt, daß sie mit ihrer Stellung nicht zufrieden ist, sie will noch unabhängiger dastehen, als es bei diesem sie verzärtelnden Vater der Fall ist. Dies kann nur durch Heirath geschehen. So weit hab ich sie. Jetzt gilt es, den Mann zu finden. Ich will mich unter meinen Schülern umsehen. Es ist nicht die erste Frau, die ich verderbe! Erkundigt Euch, Freund Ariosto, nach einem gewissen Bernardo, er muß jetzt in Neapel verweilen, wenn er nicht als Bravo im Albaneser Gebirge umherstreift. Denn wie ich ihn verließ, war er von allen Mitteln entblößt, und wurde von den Sbirren verfolgt. Schreibt mir, was ihr über ihn in Erfahrung gebracht habt. Lange Zeit habe ich mich damit abgegeben, diesen jungen Mann zu bilden – für meine Zwecke; dann wurde mir die Arbeit zu mühevoll und ich ließ ihn seiner Wege gehen. Es thut mir leid, mein Entschluß war vielleicht zu rasch, ich hätte länger ausharren sollen; allein der Draht, den ich befestigte, um ihn nach Gefallen daran zu ziehen, wollte nicht haften, ich wurde ungeduldig, was ich doch sonst nicht leicht werde. Jetzt will mir sein Bild nicht aus dem Kopfe. Er ist über alles Maaß hinaus wild, frech und zügellos, aber dabei mir gehorsam. Wir wollen sehen, was sich nachholen läßt. Vor allen Dingen muß er aus dem Schlamm gezogen werden, in welchen er sich jetzt gestürzt. So können wir ihn nicht brauchen.“

Einige Wochen später schrieb Aretin nochmals:

„Was Ihr mir von dem Bernardo schreibt, trifft zu. Er war also eingefangen und sollte bereits auf die Galeere abgeliefert werden. Der Commandore, dem Ihr mein Schreiben abliefert, der mein Freund und mir Dank schuldig ist, weil ich ihn einst aus einer häßlichen Geschichte gerissen, hat, wie ich es gewünscht, rasch gehandelt und den Bernardo entschlüpfen lassen. Nun will ich mit ihm eine Zusammenkuft halten und ihn instruiren. Sollte er für diesen Zweck nicht tauglich sein, so bringe ich ihn in päpstliche Dienste, und er muß mir als Spion diejenigen überwachen, von denen ich etwas zu fürchten habe. Doch ich hoffe, er wird meine Erwartungen erfüllen. Ihr schreibt mir, theurer Bruder, daß Ihr den Burschen nicht so schön findet, als Ihr nach meinen Andeutungen ihn zu finden den festen Glauben gehabt. Laßt ihn nur erst in feinem genuesischem Sammet stecken, mit der goldenen Kette um den Hals! Sein schwarzes wildes Lockenhaar, seine dunkeln, glühenden Augen! Ich will ihn schon die Kunst lehren, alles dieses und noch manches Andere in’s gehörige Licht zu stellen! Dazu bin ich der Mann. Beim Bacchus, wozu hätte ich denn meine Weiberkenntniß! Der Fürst geht nach Madrid, seine Tochter natürlich mit ihm, sie sollen Carl V. von Seiten Sr. Heiligkeit beglückwünschen und ihn nach Rom zur Krönung einladen. Der Fürst, der ohne mich nicht leben kann, hat mich gebeten, ihn zu begleiten. Ich gebe mir die Miene, als folgte ich aus Höflichkeit und erzwungen dieser Einladung, die mir das Erwünschteste ist, was mir hätte kommen können.“

Nach Verlauf dreier Monate sehen wir Junia am Hofe zu Madrid. Sie ist die Sonne, um die sich Alles bewegt. Carl, der Held des Tages, nicht mehr jung, aber immer noch ein Glücksjäger bei den Schönen, wetteifert mit seinem jugendlichen Sohne, Philipp, der schönen Römerin ein Lächeln zu entlocken. Feste folgen auf Feste; der spanische Adel tummelt in Festturniren seine andalusischen Rosse, um den stolzen Blick der jungen Fürstin auf sich zu lenken. Die Sonne von Sevilla hat farbige Früchte gereift, glühende Romanzen und Notturnos, und diese werden unter dem Balkone der kaiserlichen Hofburg von verführerischen Stimmen in die blaue Mondnacht gesendet. Was tausend Frauen rührt, Junia rührt es nicht. Sie bleibt kalt, ruhig, leidenschaftslos, immer bedacht, die Schritte ihres Vaters zu leiten, auf seinem Wege die Hindernisse hinwegzuschaffen, kurz, immer mit Politik beschäftigt, und wenn sie sich eine müßige Stunde gönnt, so verplaudert sie diese mit Aretin, mit dem sie zusammen Sonnette dichtet und Epigramme fertigt. Auch mit Ariost bleiben Beide im Briefwechsel. An den Letzteren schreibt Aretin:

„Erwäge meine Lage! Immer in der Nähe eines Weibes, das ich bis zum Wahnsinn begehrt habe und das ich jetzt vernichten will. Je liebenswürdiger sie sich mir zeigt, um so schärfer wetze ich mein Messer. Ich hole aus zum Stoße, während sie, nichts ahnend, lächelnd und sicher an meiner Seite sitzt. Kalt und berechnend, gehe ich Schritt vor Schritt weiter, und ziehe meine Pflanzen, wie der sorgsame Gärtner groß, indem ich sie vor jedem Nachtwind, jedem Sturmwind hüte.“

Im Gefolge des Gesandten der Republik von St. Marco erschien am Hofe Carl’s ein Marquis Pescara, ein Mann, der die Blicke auf sich zu lenken wußte. Groß, schön gewachsen, mit dem Anstand eines Fürsten, machte er zugleich den Eindruck eines Piraten, der die Welt, mit tausend Gefahren kämpfend, durchzogen hatte.

  1. Ein italienischer Classiker des 16. Jahrhunderts, ein feiner Kunstkenner, damals gefürchtet wegen seiner scharfen Satyre und seines stets schlagfertigen Witzes, als Mensch aber wegen seines wüsten Lebens und seiner Zügellosigkeit wenig geachtet.
    D. Redact. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_242.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)