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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Leser, bedecke abwechselnd eine der Gesichtshälften mit einem Blatt Papier, und Du wirst Dich davon überzeugen! – Man sagt, daß Garrick diese Kunst besessen habe, rechts zu weinen und links zu lachen: sie ist jedenfalls selten. Denn merkwürdiger Weise ist unser Wille nicht im Stande, einen einzelnen anatomischen Muskel herauszufinden, sondern wir können nur Bewegungen ausführen, die wir uns vorher bildlich in der Phantasie vorgestellt haben, und hierzu bedienen wir uns dann gewöhnlich einer Gruppe von mehreren zusammenwirkenden Muskeln (z. B. beim Weinen auch noch des Augenbrauenmuskels u. a. m.).

In der 4ten Figur sehen wir den breiten dünnen Hautmuskel, welcher auf beiden Seiten des Halses beim Menschen herabläuft und bei den Anatomen den wohlklingenden Namen Platysma myoïdes führt, mittels breitaufgelegter und mit nassem Tuch umwickelter Stromgeber in Zusammenziehung gebracht. Dadurch wird nicht nur die Haut am Halse gerunzelt, sondern auch die Kinnlade herabgezogen und der Mund geöffnet, wie ihn Staunende, Erschreckende, sich Entsetzende aufsperren. Nur wenige feinbeobachtende Maler haben jene Falten am Halse bei Darstellung dieser Gemüthsaffecte mitausgedrückt. [Wir erinnern uns nebenbei, daß der Mensch außer diesem Hautmuskel nur noch einen dergleichen besitzt, welcher die Stirn runzelt, die Kopfhaut hin- und herzieht und die Haare sträuben macht, wenn uns „die Haut schaudert.“ Viele Thiere dagegen haben bekanntlich eine solche feine Muskelschicht unter der gesammten Körperhaut und können daher, wie es z. B. die Pferde fleißig thun, über die ganze Haut schaudern.]

Fig. 5.       Gefolterter.

In der 5ten und letzten Figur ist zu der ebenbeschriebenen Erregung des Halshautmuskels die Faradisirung des Augenbrauenrunzeler’s (Corrugator supercilii) hinzugefügt,[1] welcher letztere Muskel bekanntlich den Ausdruck einer tiefschmerzlichen Gemüthsstimmung hervorbringt. (Gewöhnlich in Gesellschaft mit anderen Gesichtsmuskeln, z. B. mit dem kleinen Jochbeinmuskel, Fig. 3., sobald wir aus Schmerz weinen.) – Diese Verbindung der Thätigkeiten beider Augenbrauen- und Halshautmuskeln (nach einer trefflichen, von Nadar in Paris gefertigten Photographie) gibt dem Antlitz den Ausdruck eines mit dem höchsten Entsetzen gepaarten Schmerzes, wie z. B. bei einem Gefolterten. Zur Beruhigung für zarte Leserinnen fügen wir hinzu, daß unsre Versuchsperson von solchen grausamen Qualen gar nichts fühlt, sondern nur eine gewisse unangenehme Empfindung im Gesicht spürt, welche nach Entfernung der Stromgeber sofort verschwindet. Denn dies ist der große Vorzug der Faradisation, daß sie, obwohl ein ungeheuer mächtiges Reizmittel, doch nach Unterbrechung der Einwirkung, augenblicklich einen schmerzlosen Zustand hinterläßt.

Die hier gegebenen Beispiele genügen, um die Hauptsache der Duchenne’schen Methode zu erläutern, nämlich die genaue präcise Localisirung der elektrischen Einwirkung auf bestimmte Muskeln, und so auch auf bestimmte andere Körpertheile, z. B. Nerven (und deren Verbreitungsgebiet), Knochen, Hautstellen, und sogar auf verschiedene Eingeweide. Diese Localisirung nun eines Mittels, das bald als Reiz- bald als Beruhigungsmittel, bald als Lähmungs- bald als Krampf-widriges Heilmittel benutzt werden kann, mußte natürlich für die Zwecke der praktischen Medicin eine reiche Ausbeute gewähren; sowohl für die Erkennung von Krankheiten, als für die Heilung derselben. (S. den Niemeyer’schen Aufsatz, Gartenlaube 1856. Nr. 36.) In ersterer Hinsicht, die Diagnose betreffend, ist namentlich im Gebiete der Lähmungskrankheiten dadurch ein ganz neues Licht aufgegangen. Viele Uebel

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_213.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)
  1. Die Wirkung jedes dieser Muskeln für sich unterscheide der Leser, indem er gefälligst bald die obere, bald die untere Gesichtshälfte mittels eines Papierblättchens bedeckt.