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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Gegensätze und Widersprüche. Dem mächtigen Frankreich und der großen Nation darin hat’s den Namen gegeben, während es selbst keine Macht und kein Volk mehr besitzt. Seine Geschichte ist ein wunderliches Durcheinander von aufblitzender Geistesthat und wasserspritzender Kapuzinade. Das katholische Land des ehemaligen Erzbisthums Bamberg liegt mitten im protestantischen Land des ehemaligen Markgrafenthums Bayreuth, und zuweilen bildete die Grenze einen tief aus den Besitzungen der brandenburger Fürsten in die der geistlichen, von der Jagdlust der erstern hineingetriebenen mächtigen Keil; denn die Nimrodsgelüste und die davon nicht selten bestimmte Jagd- und Landesgrenze wurden maßgebend, ob die Bauern nach der einen oder der andern Façon selig werden sollten, wie Ritter Lang in seiner Geschichte des Fürstenthums Bayreuth berichtet. So liegen denn noch heute katholische und protestantische Orte seltsam durcheinander, und wenn man von der ehemals markgräflich bayreuthischen Universitätsstadt Erlangen den geraden Fußweg nach Bayreuth wandern will, muß man durch die sehr bigot katholische fränkische Schweiz, einen der reizendsten Erdwinkel im lieben deutschen Vaterlande, ein wahres Cabinetsstück. Ein gleiches Verhältniß ist’s mit den Geistern; in Nürnberg lebt Daumer, der unversöhnliche Feind des Christenthums, und in Anspach Herr Oscar von Redwitz, der Verfasser des Amarant, der minnesingende Feind des Pantheismus, ja sogar des unschuldigsten, zahmsten und flachköpfigsten Rationalismus, und beide Herren sind deutsche Dichter, und machen ausgezeichnet schöne Verse.

Die Nürnberger hatten 1848 und 1849 viel lebendige Köpfe unter sich, und nachher bildeten sie eine freie Gemeinde. Damit ist’s freilich vorbei, und die Spitzen dampfen nur noch leise drüben „im Lande der Freiheit,“ denn die amerikanische Luft verhindert bekanntlich das Feuerspeien. Jetzt sind die Nürnberger erst wieder bei „Soll und Haben“ angelangt. Inzwischen zeigte mir doch Einer ein allerliebstes Nippes-Stück, das er sich nach seiner Angabe von einem Silberschmied hatte machen lassen, eine ganz kleine niedliche Dame, eine Art weiblichen Däumling von echtem Silber, halb als Ritterdame, ohngefähr à la Pucelle d’Orléans, halb als Nönnchen gekleidet, mit Schwert, Lanze und Fahne ausgestattet, einen großen Harfenstein unter dem Arme, knieend und ihren Rosenkranz abbetend. Aber das Figürchen war hohl bis in den Kopf und diente als Lichtverlöscher, als „gute Nacht.“ Auf dem betreuzten Schilde des Dämchens stand mit goldenen Buchstaben: „Amarant.“ Die Idee gefiel mir, und ich gebe sie hiermit den Fabrikanten anheim, ob sie nicht aus dem prächtig klingenden Worte Amarant einen passenden Gattungsnamen für die nützlichen Lichtkäppchen machen wollen. Vielleicht erleben die Amaranten in den Läden der Blechschmiede noch einmal einen reißenden Absatz und dann mögen sich die Herren dankbar des witzigen Nürnbergers erinnern.

Ich hatte den Sonnabend in dem köstlichen Streitberg im comfortablen Posthause zugebracht, wo ich wieder viel Nürnberger schöne Welt gefunden, und ging in der frischen, herrlichen, grünen Sonntagsfrühe das Thal der Wisent aufwärts nach Gößweinstein. Eh’ ich das grüne Streitberg verließ, warf ich noch einen Blick auf seine hübschen Häuser, seine malerische Ruine und seine freundlichen Gärten zurück. In einem der letzteren saß ein nicht mehr jugendlicher Mann von auffallendem Aeußern und speiste Milchsuppe aus einem irdenen Napfe. Seine Tracht erinnerte an die Jean Paul’s, wie sie die Statue auf dem Gymnasiumsplatze in Bayreuth so treu wiedergibt: Hemd ohne Halstuch und Weste, das den Hals offen, die Brust frei ließ; alter dunkelgrüner weiter salopper Ueberrock, alter lederner Gugelhut, wie ihn die Bilder Ulrichs von Hutten zeigen. Das lange, schmale, bleiche, runzelige Gesicht mit dem großen schneeweißen Geisbart rief mir die Gestalt Friedrich Ludwig Jahn’s zurück, des Turnvaters, doch hatte das alte Gesicht auch einige Aehnlichkeit mit dem Friedrich Fröbel’s, des Kindergärtners. Der ärmliche Mann machte einen seltsam tiefen Eindruck auf mich; ich konnte den ganzen Weg über sein Bild nicht wieder los werden.

Gößweinstein ist die Perle der fränkischen Schweiz. Die noch ziemlich erhaltene Burg liegt in schwindelnder Höhe auf dem schroffen Muschelkalkfelsen des linken Ufers der Wisent. Der Altan oben, von dem man aus das Thal und die weite Umgegend schaut, erinnert an die Bastei der sächsischen Schweiz. Jenseits des Burgberges zieht sich der freundliche Marktflecken, von waldigen Höhen und Schluchten umgeben, malerisch an der Bergwand hinab. Hier ragt auf einer andern Höhe die prächtige, zweithürmige heilige Dreifaltigkeitskirche, aus Sandsteinquadern erst vor hundert Jahren erbaut, einer der schönsten christlichen Tempel in einem so edlen und großartigen Styl, daß man ihn dem vorigen Jahrhundert kaum zutraut. An den Bezirk der Kirche stößt das stattliche Franciscanerkloster mit seiner Kirche, dessen Mönche sehr freundliche und liebenswürdige Herren sind. Vom Wirthshause unten im Thale bis zur Kirche zieht sich der angenehme Weg mit überraschenden, wechselnden Ansichten auf das Thal und die umliegenden Berghöhen fast eine halbe Stunde hinauf, in kleinen Zwischenräumen mit steinernen Stationen, die unter kleinen Dächern Bilder der heiligen Dreifaltigkeit haben, besetzt.

Aus dem tiefen Thale rutschten Bauernfrauen auf den Knieen in ziemlicher Anzahl, sonntäglich geputzt, die dicken Gebetbücher unterm Arm, die Rosenkränze in den Händen, betend den hohen Berg hinauf und in die Kirche, wo sie dann lange um den Hochaltar marschirten, die Kniee als Füße gebrauchend, immer Eine hinter der Andern, eine lange bunte Reihe. Vor den Stationen machten sie Halt und beteten Paternoster, die bekanntlich am Rosenkranz abgezählt werden. Auf der Plattform, von welcher sich die Kirche erhebt, stehen in Nischen und frei um sie viele steinerne Heiligenbilder, die nicht ohne Kunstwerth sind, meist Kirchenfürsten mit dem Krummstab und Mitra und Insul. Andere mögen Apostel vorstellen. Von Leuten aus dem Volke konnte ich die Namen dieser Heiligen nicht erfahren, und ein Kleriker, der sie mir hätte angeben können, war nicht zur Hand. Ich sah mir die schönen, frommen Gestalten lange und mit prüfendem Auge an.

„Die andre Kirche fängt jetzt auch an, ihre Heiligenbilder aufzustellen,“ sagte plötzlich ein Mann neben mir, in welchem ich den milchspeisenden Alten aus dem grünen Garten in Streitberg wieder erkannte.

„Welche andre Kirche meinen Sie?“ fragte ich erstaunt.

„Die Kirche der Humanität und der Aufklärung, die Gemeinschaft aller Menschen von Geist, Gemüth und wahrer Bildung. In Frankfurt am Main steht eine solche Heiligenstatue, in Stuttgart steht eine, in Weimar eine dritte, in Braunschweig eine vierte, im nahen Bayreuth eine fünfte; Berlin und Wien haben zwei Reiterstatuen von echten Wunderthätern des deutschen Volks. Bald wird sich zu der in Weimar errichteten noch eine zweite Statue, die des großen Carl August, erheben. Wir beugen nicht das Knie vor ihnen; aber die Glieder jener Kirche, welche, wenn auch nicht an Quantität, so doch an Qualität die bedeutendste der Welt ist, werden jedesmal von jener echten Andacht ergriffen, die zur That spornt für das Heil der Menschheit, wenn sie vor solch einem ehernen Heiligenbilde stehen. Unser Deutschland ist trotz alledem der Hauptsitz dieser Kirche.“

Es schimmere feucht in des Mannes Auge. Ich gab ihm schnell die Hand mit den Worten:

„Ich bin auch ein Glied dieser deutschen Kirche. Und die Heiligenbilder in Berlin und Wien, in Braunschweig und Bayreuth sind mir gar sehr lieb und werth. Die beiden Königssöhne und Vernunftkönige sitzen natürlich zu Pferd, während die beiden schlichten Pfarrerssöhne und Humanitätspriester zu Fuß sind; aber ehrliche, herrliche Menschen waren sie alle Viere. Der Pfarrersohn in Weimar hätte es gar zu gern auch ganz ehrlich gemeint, und er hatte das Zeug dazu, aber zu seinem Unglück war er herzoglich sachsen-weimarischer Generalsuperintentent.“

„Trotz aller Amaranten und Redwitziaden in zwölf Auflagen ist Deutschland die Wiege des Gedankens, und seine Kirche wird, wenn auch langsam, wachsen und gedeihen und den andern Ländern vorleuchten, bis Italien seinem Giordano Bruno, Spanien seinem Miguel Serveto, Holland seinem Baruch Spinoza die eherne Statue errichten wird.“

Der Sprecher entschwand mir wieder im Gedränge, und ich wanderte über die Bergrücken und lieblichen Thäler durch katholische und protestantische Dörfer nach Bayreuth hinüber, wo ich vor der Jean Pauls-Statue meine Andacht verrichtete. Die Ideenverbindung führte mir zugleich die Lessingstatue aus Braunschweig in die Seele, und mir fiel eine artige Geschichte ein, die mir dort erzählt wurde.

Als der große Lichtträger in dem hervorspringenden Hause auf dem Aegidienkirchhofe in der Blüthe des Mannesalters gestorben war, todt geärgert von Zeloten, die sich christliche Priester nannten, erhoben diejenigen der letztern, welche in Braunschweig das Recht hatten, das Volk von den Kanzeln zu belehren, ein Triumphgeschrei von ihren heiligen Rednerstühlen: „Seht, der Teufel hat den verruchten Gottesleugner, den Christusschänder geholt.“ Und sie fanatisirten den Pöbel in einem solchen Grade, daß er wuthschnaubend

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