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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

mußte mich von meinem eigentlichen Ziele zu weit entfernen. Ich hatte den Damen zu folgen, die in ein Bad, hoffentlich nach Baden-Baden gegangen waren. Ich requirirte die Polizeibehörde in R., nach dem Wagen fortgesetzte Erkundigungen einzuziehen, und das Resultat mir nach Hause mitzutheilen. Ich telegraphirte dann an die Polizei in Hamburg, mir, gleichfalls nach Hause, Nachricht zu geben, welche Madame Meier einen Paß nach einem Bade, und nach welchem erhalten habe, eventuell bei allen zwei- bis dreihundert Familien Meier in Hamburg deshalb Nachfrage zu halten. Ich reiste darauf mit Hertel nach Hause zurück. Erkundigungen, die ich noch unterwegs nach der Madame Meier und ihrer Nichte einzog - sie waren denselben Weg gefahren – blieben fruchtlos.

Hertel wurde, je näher wir der Heimath und seinem Principale kamen, immer niedergeschlagener. Der arme B. drohete unter dem furchtbaren Schlage zusammenzubrechen, denn sein Verlust war schon bekannt geworden, und unter seinen Gläubigern waren ein paar hartherzige; sie sahen nur den ruinirten Mann, nicht die Art und Weise, wie er ruinirt worden war. Sie wollten ihn in seinem Abgrunde liegen lassen. Nun wollten oder konnten auch die Anderen ihm nicht helfen. Ich hatte alle meine Autorität, alle meine viele Bekanntschaft in der Kaufmannswelt aufzubieten, um wenigstens ein vorläufiges Arrangement für ihn zu Stande zu bringen. Es gelang mir; aber dennoch sah ich ein, daß B. nie wieder ganz aufzurichten war, wenn ihm sein Geld nicht wieder verschafft wurde. Ich war entschlossen, jedes Mittel dafür bis zum letzten möglichen Schritte fortzusetzen. Ich wartete die vorbehaltenen Nachrichten aus R. und Hamburg ab; ich mußte mich ohnehin, um jenes Arrangements für B. willen, mehrere Tage in der Heimath aufhalten. Die Nachrichten kamen, waren aber völlig werthlos. Von R. wurde mir gemeldet, daß man eine frühere Spur des Wagens gar nicht aufgefunden; daß man die spätere zwar wieder entdeckt habe, aber erst nahe an der polnischen Grenze; dort sei sie völlig wieder verschwunden; der Wagen müsse über die Grenze gefahren sein, die polnischen Grenzbehörden wollten aber von nichts wissen. In Hamburg waren allerdings über zweihundert Damen Meier festgestellt; allein von diesen waren über dreißig in die Bäder gereist, und zwar in alle möglichen renommirten Bäder Deutschlands, freilich darunter auch fünf bis sechs oder noch mehr nach Baden-Baden. Ich beschloß, nach Baden zu reisen, denn es kam hier auf rasches und entschiedenes Handeln, vielleicht gar hin und wieder auf ein Wagniß an. Untergeordnete, unselbstständige Beamte hatten dazu nicht den Muth oder, was noch schlimmer war, nicht das Geschick; ich mußte deshalb selbst die Fäden der Sache in der Hand behalten. Hertel mußte mich begleiten, um, wenn der Dieb gefunden wurde, diesen sogleich recognosciren zu können. Der Minister gab mir gern weiteren Urlaub und neue Beglaubigungs- und Empfehlungsschreiben. So reiste ich mit Hertel nach Baden-Baden ab. Leider hatte ich mich nicht so sehr beeilen können, daß nicht schon beinahe drei Wochen nach dem Diebstahle verflossen waren.

Wir kamen in Baden-Baden an. Mein Erstes war, daß ich mir die Badeliste geben ließ, um darin die Madame Meier aus Hamburg aufzusuchen. Der Name Herr und Madame Meier kam ein paar Dutzend Mal darin vor; aus Hamburg waren sie fünf oder sechs Mal da, und alle waren seit acht bis vierzehn Tagen eingetroffen. Ihnen allen, soweit sie aus Hamburg waren, mußte ich meinen Besuch machen, wenn mir das Glück nicht so wohl wollte, schon bei den ersten Besuchen die rechte Familie zu treffen. Das war ein schwerer Gang; ich trat ihn nicht ohne Resignation an, und hatte in der That auch nicht das erwähnte Glück. Meine Bemühungen waren sogar völlig erfolglos, wenn ich nicht den Erfolg in Anrechnung bringen will, daß ich am zweiten Tage nach meiner Ankunft in ganz Baden als ein Narr bekannt geworden war und den Spottnamen „der Meiernarr“ davon getragen hatte. Ich hatte nämlich, wenn ich nicht meinen Plan verderben und meinen Zweck vereiteln wollte, einerseits nur unter einem fremden Namen, als der Particulier Menzel aus – in Baden erscheinen, und andererseits bei den verschiedenen Familien Meier nur unter irgend einem Vorwände mich einführen dürfen. Das mußte denn, bei der Erfolglosigkeit meiner Besuche, zu mancherlei Mißverständnissen und Conflicten Veranlassung geben, die eben so natürlich bald in der Badegesellschaft, wenigstens in einzelnen Classen und Coterien derselben, bekannt wurden.

„Ich habe die Ehre, Madame Meier aus Hamburg zu sprechen?“ fragte ich eine Dame.

„Was gibt mir die Ehre Ihres Besuches, mein Herr?“ fragte diese zurück.

Es war eine angenehme, sanft und mild aussehende Vierzigerin. Mein Signalement der Madame Meier, die in gewesen war, paßte auf sie. Ich glaubte daher, bei ihr nicht auf einem gar zu weiten Umwege vorangehen zu müssen.

„Madame, entschuldigen Sie eine Frage; waren Sie vor etwa drei Wochen in der Provinz P.?“

Sie antwortete mir zwar mit Bestimmtheit: „Nein, mein Herr!“ ich glaubte aber doch, einen leisen Zug von Verlegenheit in ihrem Gesichte wahrzunehmen, und fragte daher weiter.

„Mit einer Verwandten oder Gesellschafterin, Madame?“

Die sanfte Dame schien etwas ungeduldig zu sein.

„Aber nein, mein Herr!“

„Sie trafen dort mit einer jungen Dame, einer Nichte, zusammen?“

„Mein Gott, mein Herr, ich habe Ihnen doch nein gesagt!“

„Madame, es ist in einer sehr wichtigen Angelegenheit, daß ich mir diese Fragen an Sie erlaube.“

Die milde Dame wurde grob.

„Mein Herr, ich weiß nichts von Ihrer Provinz P. und will nichts von Ihnen und Ihren Fragen wissen! Genügt Ihnen diese Antwort?“

Sie mußte mir genügen.

Auch die Polizei muß noch lernen, auch die –sche. Du mußt höflicher werden, nahm ich mir vor. So kam ich zu der zweiten Madame Meier aus Hamburg. Mit Nichte und Gesellschafterin war sie ausdrücklich in der Badeliste aufgeführt, Ich ging deshalb mit großen Hoffnungen zu ihr, und wurde in ein Zimmer geführt, dessen Fenster sehr dicht mit Vorhängen verhüllt waren. Ich trat in eine Finsterniß, in der ich kaum die Figur einer Frau, die auf einer Ottomane lag, unterscheiden konnte.

„Was steht zu ihren Diensten, Herr Menzel?“ fragte eine unterdrückte dünne, aber freundliche Stimme.

„Sie kommen aus Hamburg, meine gnädige Frau?“

„Ja, mein Herr,“ antwortete die Stimme noch freundliche, und zugleich richtete die Dame sich auf.

O weh, das war ein Koloß. Ich meinte, Fallstaff in den lustigen Weibern von Windsor, als Frau verkleidet, vor mir sich erheben zu sehen. Sie war so fett, daß sie kaum einen Raum für ihre dünne Stimme hatte. Das war unmöglich die Dame, die ich suchte. Aber wie von ihr wieder loskommen? Sie hielt mich fest. Ich war wahrscheinlich der Erste, der diese fette Madame Meier, eine gnädige Frau genannt hatte. Sie wollte meine Höflichkeit belohnen, und erzählte mir mit ihrer unterdrückten, dünnen Stimme, daß und wie sie an den Augen litt, daß und wie ihre Nichte ein leichtfertiges Ding sei, die sie immer allein lasse, und ihr auch noch ihre Gesellschafterin entführe, die sie doch bezahle u. s. w. Endlich kam sie auf ihre Frage zurück, was zu meinen Diensten stehe.

Ich antwortete ihr, daß ich mich nur nach meinem Freunde, dem Doctor A. in Hamburg, bei ihr habe erkundigen wollen.

„Den kennen Sie auch? Ach, ein lieber charmanter Herr!“

Erst nach einer Stunde gelang es mir, mich loszureißen. Der Abend nahete schon. Dennoch, um meine Zeit nicht zu verlieren, machte ich meinen Besuch noch bei einer dritten Madame Meier aus Hamburg. Diese war eine schöne und feine Dame. Mein Signalement aus R. paßte vortrefflich auf sie. Sie hatte etwas Geistreiches in ihrem Gesichte; das mußte mir schnell den Vorwand geben, unter dem ich mich bei ihr einzuführen hatte.

„Gnädige Frau, der Buchhändler R. in Hamburg, mein Freund, hat mir viel von der geistreichsten Dame Hamburgs gesagt. Madame Meier ist ihr Name. Leider kenne ich den Namen nicht näher. Ich komme heute hier an, lese Ihren Namen in der Badeliste und fühle das Bedürfniß, zu versuchen, ob ich das Glück haben kann, die von meinem Freunde so hoch verehrte Dame kennen zu lernen.“

Das Gesicht der Dame erglänzte bei dem Complimente so geistlos, daß ich in einem Punkte sicher mich bei ihr geirrt hatte. Sie konnte deshalb aber noch immer meine Dame aus K. sein.

„Ich kenne Herrn K.,“ antwortete sie, „und ich bin ihm sehr dankbar für die gütige Meinung, die er über mich ausgesprochen hat. Ach, ich liebe die Literatur sehr, und ich mache, auch selbst einige Gedichte, freilich nur schwache Versuche.“

„Die Bescheidenheit, meine Gnädige, ist dem wahren Talent und dem wahren Berufe eigen. Sie widmen sich der lyrischen Dichtung?“

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