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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Du weißt, meine liebe Feld- und Gartengemeinde, daß man den Regierungen keine scharfen Predigten halten darf. Hat man ihnen Etwas zu sagen, so soll dieses fein sänftiglich geschehen. Fühlte ich mich nun dazu berufen, auch ihnen eine Feld- und Gartenpredigt zu halten, so würde ich den Schafpelz anziehen und also sprechen: Hochzuverehrende Regierung, auf meinen Wanderungen durch einen Theil von Deutschland hat sich mir überall die Wahrnehmung aufgedrängt, wie ungenügend der Feld- und Gartenschutz gehandhabt, wie dadurch der Ertrag vom Grund und Boden bedeutend geschmälert und Manchem die Lust zum Obst- und Gartenbau verkümmert wird. Vor allen Dingen wird es nothwendig sein, daß auf jegliche Weise diejenigen Thiere in Schutz genommen werden, denen von der Natur die Vertilgung schädlicher Insecten aufgetragen worden, denn keine menschliche Thätigkeit richtet darin so viel aus, als die Natur selbst durch die in das Feld gesandten Schaaren. Mit Strenge sollten alle diejenigen bestraft werden, welche die Nester gewisser Vögel ausnehmen oder zerstören, oder Vögel wegfangen, gleichviel auf welche Weise und zu welchen Zwecken. Die Eltern aber müßten für ihre Jungen verantwortlich sein. Es sollte nicht zu den gleichgültigen und von der Ortspolizei geduldeten Dingen gehören, wenn Igel, Fledermäuse oder Eulen unnützer Weise verfolgt oder getödtet werden. Und über das Alles, jeder Gartenbesitzer oder Landwirth, welcher versäumt in seinem Obstgarten Raupen oder beim Pflügen die Engerlinge auflesen zu lassen, sollte mit einer Pön belegt werden, denn was hilft es mir, wenn ich meine Bäume sauber halte und Bruder Liederlich, mein Nachbar, läßt die Raupennester in allen Astwinkeln sitzen? Wer eine Anzahl von zweckmäßigen Brütkästen in seinem Garten anbrächte, sollte aus den eingegangenen Strafgeldern prämiirt werden. Aber die im Interesse des Feld- und Gartenschutzes gegebenen Bestimmungen dürften nicht nur auf dem Papiere stehen, sondern müßten mit aller Energie gehandhabt werden, und die Ortspolizei sollte auf die Erfüllung des Gesetzes eidlich verpflichtet sein. Das Alles, aber nur ausführlicher und mit Zahlen belegt, würde ich den Regierungen an das Herz legen, wenn ich mich dazu berufen fühlte.

Wenn Du aber nicht selbst ein Einsehen hast, liebe Feld- und Gartengemeinde, dann wird Alles nicht fruchten. Du mußt selbst das Beste dabei thun. Ein Jeder von Euch muß es sich zur Aufgabe machen, die Natur in ihrer Arbeit, der allzugroßen Vermehrung von Pflanzenfeinden Einhalt zu thun, zweckmäßig zu unterstützen. Alle ausgebildeten Insecten, so viel Ihr deren habhaft werden könnt in jenen Stunden, in denen Ihr müßig in Feld und Garten umherschlendert, müßt Ihr tödten, denn in jedem einzelnen vernichtet Ihr eine ungeheuere Nachkommenschaft. Die aufgesprungene Borke, Moos und Flechten müssen sorgfältig von den Stämmen und Aesten der Bäume abgekratzt und verbrannt werden; denn nicht nur, daß Euere Bäume dadurch an äußerem Ansehen gewinnen und ihre Gesundheit befördert wird, man entzieht dadurch auch einer Menge von Insecten den Grund und Boden, auf dem sie ungestört ihre Eier ablegen, sich entwickeln und überwintern können.

Alle abgefallenen Früchte, auch die kleinsten unreifen, müssen gesammelt und schnell verwendet werden, sei es zur Essigbereitung, sei es als Viehfutter; denn meistens fallen sie ab, weil ein feindliches Insect in ihm hauset, das nun auf oder in dem Boden seine weitere Ausbildung vollendet. In Obstkammern vorzüglich muß man jedes etwa ausbrechende Insect vertilgen, weil es von da aus wider die Obstbäume anfliegt und seine Eier absetzt.

Samen, die auf dem Boden aufgeschüttet werden, muß man öfters gründlich durcharbeiten, um dadurch die Entwickelung schädlicher Käfer und Motten zu hindern.

Auch ist es gerathen, im Garten alle verkrüppelten und sonst krankhaft afficirten Samenkapseln und Schoten, sowie an Bäumen und Sträuchern alle welk werdenden oder abgestorbenen Zweige zu entfernen und zu verbrennen, weil sie in der Regel von Insectenlarven bewohnt werden, die nur der bevorstehenden Metamorphose harren, um Euch eine ganze Brut auf das erste beste Blatt oder Zweiglein zu setzen. Aus gleichem Grunde müssen auf den Pflanzenbeeten alle diejenigen Stengel ausgezogen werden, welche ein mißfarbiges Ansehen bekommen, denn in der Regel ist auch hier der böse Feind eingezogen. Wo Blätter zusammengesponnen oder gerollt sind, wo sie gekräuselt oder durchlöchert erscheinen, wo Gespinnste oder körnige Excremente sich zeigen, die Rinde durchfurcht oder wohl gar von Fluglöchern durchbrochen ist, seid nicht säumig, das Krankhafte hinwegzunehmen und die Fresser zu entfernen, ehe sie sich in’s Unendliche vermehren und Euere Sorge und Arbeit um das Tausendfache vervielfältigen.

Meine werthgeschätzten Zuhörer! Ihr sprecht: das Alles ist uns nicht unbekannt, und Du sagst uns nichts Neues.

Wohl, aber warum ermannt Ihr Euch nicht zum Vertilgungskriege gegen Euere Feinde, und warum schreitet Ihr nicht energisch gegen Alles ein, was Euch die Früchte Eueres Schweißes verkümmert? Oder glaubt Ihr, ein paar zerfressene Blätter oder ein entblätterter Ast haben nicht viel zu bedeuten? O dann seid Ihr in einer argen Täuschung befangen, denn das Blatt ist Organ der Athmung, der Ausdünstung und der Aufnahme der in der Atmosphäre verbreiteten gasförmigen Nahrungsstoffe, und so wenig der menschliche Körper gedeihen kann, wenn die Haut durch Schmutz oder Flechten gehemmt oder die Lunge verderbt ist, so wenig können auch die Pflanzen eine gesunde Frucht erzeugen, oder sich zu vollkommener Schönheit entwickeln, wenn die Blätter oder Gefäße durch Schmutz, schmarotzende Gewächse, durch Raupenfraß oder Borkenkäfer leiden.

Das wissen auch die Gärtner sehr wohl; darum reinigen sie die Blätter der in Gewächshäusern gepflegten Pflanzen mit einem nassen Schwamme oder durch Bespritzen mit Wasser sorgfältig von allem Staub und Schmutz, und entfernen auch die verletzten Blätter, um neuen Bahn zu machen.

Ehe ich Euch aber mit einigen probaten Mitteln zur Bertilgung Euerer Cardinalfeinde zur Hand gehe, möchte ich Euch noch zu einem Einblick in die bewundernswürdige Oekonomie der Natur Gelegenheit geben.

Gleichwie jede Pflanze eine ihr mehr oder weniger eigenthümliche Insectenart beherbergt, so sind auch die letzteren den Angriffen gewisser Raubinsecten ausgesetzt, die selten eine andere Art anfallen. Ganz besonders haben die Schlupfwespen das Amt, einem zu ausgedehnten Raupenfraße Einhalt zu thun.

Sie sind zum großen Theile mit einem Legestachel versehen, den sie in den Körper der Raupen und Larven oder des ausgebildeten Insectes einsenken und so die Eier absetzen. Bald wimmelt es in dem befallenen Thiere von Larven, die den unfreiwilligen Wirth bei lebendigem Leibe auffressen und sich in ihm oder außer ihm verpuppen. Andere Schlupfwespen legen sogar ihre Eier in die Eier von Schmetterlingen, so daß die Entwickelung derselben schon im Keime zerstört ist. Im Herbste des vorigen Jahres wimmelte es allenthalben in den Kohlpflanzungen von Raupen des Kohl- und des Rübenweißlings. Aber bald stellten sich auch gewaltige Schaaren einer gewissen Art von Schlupfwespen ein, welche eine Raupe nach der andern anbohrten. Eine nach der andern färbte sich schmutzig gelb, eine nach der andern schleppte sich aus dem fetten Kohle nach einem Schlupfwinkel, um da zu sterben, und bald waren alle Pflanzen von den ungebetenen Gästen befreit.

Die Namen, welche die Gelehrten den verschiedenen Arten von Schlupfwespen gegeben, deuten fast alle auf die segensreiche Thätigkeit derselben hin; eine heißt bellator, der Krieger, eine andere necatorius, der Todbringende, eine dritte vulnerator, der Verwunder, eine vierte instigator, der Anbohrer, eine andere pugillator, Fechter u. s. w.

Fast eben so segensreich wirken die kleinen Käferchen, welche Eueren Kindern unter dem Namen Marienkühchen wohlbekannt und befreundet sind. Ihre Larven wüthen unter den Blattläusen ärger, als Löwen und Tiger unter den warmblütigen Thieren. Ein solcher Blattlauslöwe würgt in einem Tage eine Menge von Pflanzensaftsaugern, und überdies thut auch die Blattlausfliege das Ihre, denn sie bohrt die Blattläuse eben so an, wie die Schlupfwespen die Raupen.

Solche Thiere nun, welche Euere Bäume und Gemüsepflanzungen von den schlimmen Gästen reinigen, solltet Ihr kennen zu lernen und zu schätzen suchen, denn auch sie müssen manche Unbill erdulden, nicht weniger, als die lieben kleinen Singvögel.

Ich schließe hiermit den ersten Theil meiner Feld- und Gartenpredigt, in der ich Euch nur Allgemeines an das Herz legen wollte. Wenn es nur Etwas fruchtet! Es wird doch ein Samenkörnlein auf guten Boden fallen!

Gott befohlen, meine liebe Feld- und Gartengemeinde, – und Nichts für ungut!

C. R.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_193.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)