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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Fuße und rechnet sie in jeder Beziehung zu seinen nächsten Angehörigen und Hausgenossen. Auch seine Dienerschaft, zu der seine Amme und der alte Kutscher Paddenheim, ein Erbstück der Familie, zählt, erfreuen sich einer selten humanen Behandlung. – Gräfe geizt nicht nach äußeren Zeichen der Anerkennung, die ihm in seiner Stellung leicht zu erreichen wären. Er hat sich in jeder Beziehung eine beneidenswerthe Unabhängigkeit zu bewahren gewußt. – Für unsere Leserinnen dürfte auch die Nachricht nicht uninteressant sein, daß der berühmte Arzt noch unverheiratet ist.

Nur selten wird ein Mann bei so jungen Jahren eine ähnliche Stellung und in so kurzer Zeit erlangen. Gräfe verdankt dieselbe nicht nur seinem Talente, sondern weit mehr dem unermüdeten Fleiße und dem ernsten Streben, die ihn beseelen. Sein ganzes Leben legt dafür das schönste Zeugniß ab. Dadurch daß er sich ganz dem Dienste der Menschheit gewidmet hat, Alles seinem Berufe opfert, fast gänzlich auf die gewöhnlichen Zerstreuungen verzichtet, die Selbstverleugnung bis zur strengsten Askese treibt, Tag und Nacht der Wissenschaft nur lebt; hat er mit neunundzwanzig Jahren ein Ziel erreicht, das sonst nur dem gereiften Alter, der jahrelangen Erfahrung und einem Zusammenflusse günstiger Umstände zu Theil wird. Sein Name ist in ganz Europa bekannt, aber sein schönster Ruhm lebt im Munde von Tausenden, denen er das halbe Leben, den Quell des Lichts, die Sehkraft des erblindeten Auges bewahrt, oder wiedergegeben hat.

Max Ring.




Feld- und Gartenpredigten.

Nr. 1.

Werthgeschätzte Feldgenossenschaft und Gartengemeine!

Man sagt von Dir, daß Du in raschem Fortschreiten nach dem Besseren begriffen seist, und ich glaube es auch; denn stagnirende Sümpfe wandeln sich in üppige Felder; wo sonst Disteln und Dorngestrüpp wucherten, da streckt jetzt der Obstbaum seine blühenden Aeste; die Düngerstätte ergießt ihre trüben, aber Goldsand führenden Flüsse nicht mehr in die Straßen, und sonst noch haben rationelle Grundsätze in Deinen Gehöften, in Deinen Viehställen, auf Deinen Feldern siegreich sich Bahn gebrochen. Aber doch giebt es in Deinem Bereiche gewisse Ecken, an die Du Dich in behaglicher Ruhe seit Jahrhunderten anlehnst, Du kümmerst Dich nicht um den Unrath, der in den anstoßenden Winkeln seit undenklicher Zeit sich anhäufte, rührst nicht die Hand, den unerquicklichen Haufen fortzuschaffen.

Alle Ehre dem Compost, aber nur da, – wohin er gehört! Während unter dem gewaltigen Fortschritte des Zeitgeistes rings umher Alles erzittert und neu sich gestaltet, bilden jene Ecken ebenso viele in unbeweglicher Ruhe verharrende Schwingknoten und - der Zopf, der hängt Dir hinten!

Meine vielgeliebten Zuhörer! Nach Millionen lassen sich die Verluste berechnen, welche jährlich durch die Verheerungen der Raupen an Obst und Waldbäumen durch das Benagen der Wurzeln oder Blätter verursacht werden, durch die Erdflöhe an den Schotengewächsen, durch Blattläuse an den Fruchtbäumen und Hülsenfrüchten, durch Käfer und andere Insecten an allerhand Pflanzen, welche des Lebens Nahrung und Nothdurft abwerfen, durch Ratten und Mäuse, welche die Ernten mit Dir theilen. Der Schöpfer hat es weislich so geordnet, daß jedem Feld und Gartenfeinde ein Wächter beigegeben ist, der dafür sorgt, daß er in naturgemäßen Schranken bleibe. Ja noch mehr, in demselben Maße, in welchem die Insecten und andere Pflanzenfeinde an Zahl zunehmen, in demselben Maße wächst auch die Zahl der Wächter, welche unter den ungebetenen Gästen die Zucht zu üben und ihrer allzugroßen Vermehrung Schranken zu setzen haben. Jene nach Millionen zu berechnenden Verluste würden um ein Bedeutendes reducirt werden, wenn Du nur der Natur etwas nachhelfen oder sie wenigstens ungestört wirken lassen wolltest. Aber das ist es eben, was ich sage, – der Zopf, der hängt Dir hinten!

Denn kann man wohl hinter einem Gartenzaune weggehen, ohne auf einen zu Tode gesteinigten Igel zu stoßen? Und doch besteht seine Nahrung aus Nichts, als aus Insecten oder deren Larven, und Maikäfer sind sein Leibessen. Eine Spitzmaus darf sich eben so wenig sehen lassen, denn Du meinst ja, sie sei eine wirkliche Maus und Körnerfresserin. Schau ihr aber in das Maul und Du wirst an der Zahnbildung erkennen, daß sie zu den Raubthieren zu zählen ist und keine Pflanzenstoffe mag, sondern Engerlinge und Würmer, deren Häute Du auch in dem Magen des kleinen Thieres finden wirst. – Großvater seliger und Vater sind hinter dem Maulwurfe hergewesen und haben ihm, wo er sich sehen lassen, das Genick eingestoßen, und Du thust es auch, aber darum mehren sich auch Regenwürmer und Engerlinge so sehr, daß Du Dich ihrer nicht mehr zu erwehren weißt und von Deinem leidigen Vorurtheile und Ungestüm schlechten Dank hast. Wenn der Maulwurf – kommt her, weil er Mull oder lockere Erde aufwirft – Dein Gartenbeet oder Deine Wiese verunstaltet, so ebene es in Gottes Namen ganz ruhig und gelassen, denn Du hast den Vortheil, daß er Dir die Erde hübsch auflockert.

Meine liebe Gemeinde! An Deinen Scheunenthoren hängen scheußliche Cadaver von Eulen, großen und kleinen, angenagelt, wiewohl sonst häufiger, als jetzt, und Du bildest Dir auf diese Deine Jägerei ordentlich etwas ein, und doch giebt es kaum ein Thier, welches die Feld- und Waldmäuse so sicher in den gebührenden Schranken hielte, als die nächtlich raubende Eule. Euere jungen Hühner, Gänse und Enten, nach denen sie mitunter einmal Appetit bekommt, könnt Ihr schon vor ihr schützen, und ein einziger Bube, der um die Schule herumläuft und zuchtlos durch Wald und Gärten streift, vernichtet oft an einem Tage mehr Vögel, als eine Eule das ganze Jahr hindurch zu fangen Gelegenheit hat.

Die Fledermäuse sind allgemein gehaßt und verfolgt, und schön und liebenswürdig kann ich sie auch nicht nennen, aber doch vertilgen sie eine Menge von Insecten, welche in der Dämmerung und des Nacht’s[WS 1]fliegen. Ich fand einst auf dem Dachboden eines alten Schlosses, wo sich eine zahlreiche Fledermaus-Republik angesiedelt hatte, die Diele mit Flügeldecken, Flügeln, Beinen und Bruststücken von Maikäfern und Nachtschmetterlingen Zoll hoch überdeckt. Man sollte daher, statt sie zu verfolgen, für Herstellung dunkler Räume Sorge tragen, in denen sie ihre Residenz aufschlagen könnten.

Auch die Kröten, Eidechsen und Blindschleichen muß ich vor Euch in Schutz nehmen, meine lieben Zuhörer, und vor Eueren Büblein, kleinen und großen; denn sie leisten uns durch Vertilgung schädlicher Insecten bedeutendere Dienste, als Ihr meint, und wir könnten wohl, zum Dank dafür, ihr oft abschreckendes Aeußeres übersehen. Und liegt denn nicht auf Deinem Hofe, wie in Deinem Garten so Manches, was eben auch kein großes Wohlbehagen bei Dem hervorbringt, der nicht an dergleichen Dinge gewöhnt ist? Ihr müßtet nur Euere Kleinen über die Stellung dieser und anderer Thiere in der Haushaltung der Natur gehörig aufklären und der Schulmeister müßte es auch thun und dafür lieber die Liste der Berge und Flüsse in Asien und der Inseln im Weltmeere etwas kürzer zuschneiden, dann werden Vorurtheil und Thorheit bald aus dem bequemen Neste ziehen müssen, in dem sie sich so lange wohl befunden.

Was soll ich nun aber, meine geliebten Zuhörer, über die armen kleinen Singvögel sagen, die Euere größten Wohlthäter sind in Garten und Feld? Wüthet man nicht gegen diese Boten Gottes, die ihre Sendung mit so bewunderungswürdigem Geschick und Eifer ausführen, als wären sie Länder verheerende Bestien?

Rechnet nur zusammen, wie viele Insecten fressende Vögel, Rothkehlchen, Meisen, Nachtigallen, Grasmücken, Staare u. s. w. in einem einzigen Dorfe auf Leimruthen, in Fallen, Sprenkeln, Garnen und Schneußen gefangen werden und in der Gefangenschaft fast ohne Ausnahme elendiglich umkommen. Zählet dazu die Menge der Eier und Jungen, welche im Laufe eines Sommers aus den Nestern genommen und zertrümmert oder zu Tode gequält werden, und wundert Euch dann nicht mehr, wenn der Spaniol Euch beides, Blätter und Blüthen, abfrißt, daß Euere Obstbäume kahl stehen, wie Rapsstroh.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: des Nach’s
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_192.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)