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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Decke und gießt den größern Theil des unter ihr befindlichen Flüssigen aus, so zeigen sich nach dem Erkalten einzelne, oft recht schön ausgebildete Krystalle.

Bedenkt man nun, daß am Fenster außer dem störenden Gedränge der gestaltungslustigen Wassertheilchen auch die Beschaffenheit des Bodens, auf dem sie erwachsen, störend einwirken kann, so begreift sich, daß selten regelmäßige Gestalten zum Vorschein kommen. Eine dünnere Stelle der Glastafel wird früher erkalten, als ihre Nachbarn und sich eigenwillig und voreilig beeisen; ein anderer Punkt der Glastafel ist etwas mehr fettig, besitzt also weniger adhärirendes Wasser und kann nicht nachkommen. Ritze, wie sie beim Abwischen der Glastafeln so leicht entstehen, bedingen die den gereiften Strohhalmen oder kurzästigen Tannen vergleichbaren Eisgebilde. Die geritzte Stelle ist dünner, erkaltet deshalb früher und füllt sich mit einem Eisstreife, aus dem, vielleicht von den seitlichen Splitterungen beginnend, Zacken herauswachsen. Daß aber die Gestaltungen des Fenstereises nicht ausschließlich von der Beschaffenheit des Glases bedingt sind, ist offenbar, da dieselbe Glastafel an demselben Tage verschiedene Gebilde zeigen kann.

Die unter 4 und 5 beschriebenen Gestalten bilden sich auf den Glasscheiben, welche sich, ehe sie zum Frostpunkte erkalteten, mit Thautropfen bedeckten, während die erstgenannten immer durch augenblickliches Erstarren des Dampfes zu entstehen scheinen. Man sieht an der nassen Scheibe von ihrem untern Rande aus feine Eislinien entstehen und in geschwungenem Verlaufe weiter rückend sich verlängern. Der zwischen ihnen befindliche tüllartige Grund erstarrt etwas später. Die eben entstandenen zarten Eislinien sind so dünn und durchsichtig, daß man sie nur bei schief auffallendem Lichte deutlich wahrnimmt. Gewöhnlich setzt sich aber bald schneeartiger Duft daran, der später oft auch die andern Stellen der Scheibe, aber dünner, bedeckt und durch seine verschiedene Dicke die Eisbilder ebenso deutlich macht, wie die dickeren Stellen der Lithophanien (durchscheinender Porzellanbilder, die man an’s Fenster hängt) die helleren hervortreten lassen.

Nicht selten sieht man an den Fenstern dampfarmer Zimmer die Eis-Productionen verschiedener Zeitabschnitte auf einer und derselben Scheibe deutlich abgegrenzt. Die unterste Zone, welche mit einem gezackten, waldsaumähnlichen Umrisse endigt, besteht aus dem verhältnißmäßig dichtesten Eisbelege; die zweite, oft von der erstern durch einen ziemlich breiten blanken Glasstreif getrennt, ist entweder aus Ruthengestrüpp oder aus zackigen Massen von Baumschlag oder Gewölk, oder aus einzelnen unregelmäßigen Sternen gebildet. Oft ist noch eine dritte Zone vorhanden, die vom oberen Rande des Glases nach unten wächst. Die später entstandenen Zonen bestehen deshalb aus dünneren Eisschichten, als die ersten, weil die Zimmerluft durch den ersten Niederschlag schon einen großen Theil ihres Wassergehaltes eingebüßt hatte, und nun die erste Schicht auch wieder mit beeist; so daß natürlich auf die zweite Lieferung weniger Material verwendet werden kann.

Die fertigen Eisfiguren werden oft theilweise umgewandelt und geben dann gewöhnlich großes Flechtenlaub, wenn der in der Nacht gebildete Eisbeleg während des Tages theilweise schmilzt und auf’s Neue erstarrt.

Aus dem bisher Erwähnten ergibt sich leicht, inwiefern die Beschaffenheit des Fenstereises vom Kältegrade der äußeren Luft und dem Feuchtigkeitsgehalte der Zimmerluft abhängt. Je weniger kalt die Atmosphäre und je trockner die Stubenluft ist, desto mehr in’s Einzelne frei gebildete Figuren, welche gewissermaßen Individuen darstellen, entstehen; je kälter dagegen die Atmosphäre und je dampfreicher die Zimmerluft ist, mit desto dichteren Vorhängen werden die Fenster verhüllt, auf denen dann nicht mehr einzelne Figuren, sondern verflossene Muster zu sehen sind. Darum sind zu Anfange und Ende des Winters die unter 1, 2 und 3 aufgeführten Formen häufiger, im Januar aber ist der Mohr und der Flechtengrund an der Tagesordnung.

Beim Abthauen, welches zum Schlusse noch kurze Erwähnung finden möge, bilden sich außen, und bei großer Kälte auch innen am Fenster Eiszapfen, deren Entstehungsweise und Form vollkommen den in vielen Höhlen vorkommenden Tropfsteingebilden entspricht, nur daß sich bei den letztern (auch Stalaktiten genannt) aus dem verdunstenden Wasser Kalk absetzt, während beim Tropfels das Wasser selbst erstarrt.

Immer thauen die obersten Scheiben zuerst auf, und an jeder einzelnen Scheibe schmilzt die obere Hälfte früher als die untere. Diese, das gerade Gegentheil zum Bethauen und Gefrieren bildende Erscheinung erklärt sich aus derselben Ursache, die dort besprochen wurde.

Warum das Eis des dem Ofen gerade gegenüber liegenden Fensters stets zuerst schmilzt, selbst wenn die Stubenluft in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_180.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)