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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

der vielen Menschen, durch das Brechen der Eislöcher und durch die Tausende von langen Stangen, welche sich labyrinthisch in die Tiefe senken, werden die Fische von ihren Lagerstellen aufgeschreckt, streichen unruhig hin und her und gerathen nun immerwährend in die Fischhaken. Dadurch wird auch bald das ganze Eis mit Blut bedeckt, es ist eine wahre Schlacht, und am Ufer häufen sich kleine Berge von Fischen, denn sobald nur ein Fisch am Haken sitzt, erscheinen auch schon Kaufleute auf dem Eise, um zu handeln und dem Kosaken seinen Fisch abzukaufen. Oft geschieht dies, wenn der Fisch noch unter dem Wasser ist und man seine Größe noch nicht kennt, in welchem Falle denn auf gut Glück gekauft und verkauft wird.

Mitunter trifft es sich auch, daß ein langnasiger Schipp oder ein großer Wels von 6 bis 8 Pud gefangen und unten im Flusse schon am Haken festsitzt. Da aber der Wels wenig geachtet wird und auch keinen Kaviar gibt, so bietet der erfahrene Fischer, der schon seinen Fang, ohne ihn gesehen zu haben, am Gefühl des weicheren Fleisches und der Bewegung am Haken erkennt, den Fisch auf gut Glück zum Verkauf aus, wobei es an gewandter Ueberredung auch nicht fehlt. Findet sich nun ein noch unerfahrener Käufer, so wird ihm die Stange des Fischhakens in die Hand gegeben, er fühlt, wie der große Fisch zappelt und die Stange hin und her rüttelt, und je wilder der Fisch da unten tobt, desto größer wird die Lust zum Kaufen und die Ueberzeugung, daß doch nur ein großer Hausen oder ein herrlicher Stör am Haken sitzen könne. Mancher Kosak steht viele Stunden, ohne daß ein Fisch auch nur seine Stange berührt. Er zieht seinen Fischhaken endlich aus dem Wasser, um einen andern Platz zu erwählen.

Kaum aber hat er seine Stelle verkästen, so wird diese auch schon von einem Andern eingenommen, der dann oft, durch Glück und Zufall begünstigt, gleich beim Herabsenken seines Hakens den herrlichsten Fisch herauszieht. Hat der Kosak lange nichts gefangen, so fühlt er auch wohl vorsichtig mit dem Fischhaken unten im Flusse herum, ob nicht ein vorbeistreichender Fisch die Stange berührt, welchen er dann durch einen kräftigen Ruck einzuhaken sucht. Ist der Fisch zu groß und macht er da unten viel Lärm und Spectakel, indem er sich loszureißen sucht, welches sehr oft gelingt, besonders wenn ihn der Haken nur am Schwanze gefaßt hat, so ruft der Kosak seinen zunächst stehenden Nachbar zu Hülfe. Es wird nun noch ein Haken eingesetzt und der Fisch endlich mit vereinten Kräften auf’s Eis gezogen.

Am vorsichtigsten und daher am schwersten zu fangen sind die großen Hausen von 15 bis 20 Pud (800 Pfund). Wird ein solcher Riesenfisch durch den fürchterlichen Lärm und das Getöse, wovon das ganze Eis dröhnt, aufgeschreckt, so kommt er oft an die Oberfläche des Eises, um zu sehen, was da oben geschieht, oder er schwimmt schlau im halben Wasser. Berührt nun ein so großer Knabe die Stange des vier oder fünf Faden tiefer im Grunde liegenden Hakens, so erfordert es viel Schnelligkeit und Gewandtheit, den Haken so weit rasch heraufzuziehen, um den Fisch unter dem Bauche zu fassen. Oft zerbricht ein solcher Fisch die Stange, fährt in den Haken des Nachbarn, zerbricht auch diesen und sucht zu entkommen, was aber doch nur selten gelingt. Denn da Überall auf dem Flusse Haken an Haken eingesenkt sind, so entsteht, wenn ein so großer Fisch durchgeht, ein allgemeiner Lärm; alle passen auf, wo sich die Stange rührt, und oft wird der Flüchtling doch eingefangen, unter allgemeinem Jubel und Zappeln auf’s Eis gezogen und wandert nun in die Hände der Kaufleute. So ein großer Hausen, der 100 bis 130 Pfd. Kaviar liefert, wird von den Kosaken für sehr listig gehalten.

Für den fremden Beobachter hat dies höchst eigenthümliche Fischerleben einen so hohen Reiz, daß man sich nicht satt sehen und nicht genug das rasche unternehmende Wesen der Kosaken bewundern kann. Fällt z. B., selbst bei starkem Froste, eine eiserne Brechstange durch das aufgeeisete Loch in den Strom, so wird hiervon nicht viel Wesens gemacht, der erste beste Kosak entkleidet sich, man bindet ihm einen Strick um den Leib, er taucht unter, findet die Brechstange und wird von seinen Kameraden wieder auf’s Eis gezogen, hier kleidet er sich schnell an, macht das Kreuz, nimmt dann auch wohl einen Schluck Branntwein und geht nun, als wenn nichts vorgefallen wäre, ruhig wieder an seine Fischerei.

Höchst interessant war die Fischerei im December, ich glaube im Jahre 1847. Es war schon hohe Zeit, das Präsent zum Allerhöchsten kaiserlichen Hofe abzufertigen. Der Ural war aber noch nicht ganz zugefroren, und in der Mitte gab es noch große Flächen offenes Wasser. Man versuchte wohl zu fischen, aber es wollte sich nichts fangen lassen. Endlich bemerkte ein Kosak, daß sich eine Menge Fische, durch den Lärm aufgescheucht, an der Oberfläche des offenen Wassers zeigten, wie nun aber da hinkommen? Doch ohne langes Besinnen wurde eine Eisscholle vom Rande abgehauen, ein rüstiger Kosak setzte sich darauf und schwamm nach der Mitte, vorsichtig mit dem Fischhaken im Wasser so lange herumfühlend, bis er endlich so glücklich war, einen recht großen Fisch mit dem Haken zu fassen. Nun aber wurde das Schauspiel erst recht interessant. Der Kosak konnte das große Thier nicht bändigen, es schleppte ihn mit der leichten Scholle hin und her, und zuletzt zog es ihn von der Scholle herab. Doch der Kosak hielt die Stange mit dem Fische immer fest, plätscherte im Wasser so gut es gehen wollte, und da er sich zuletzt dem Rande des Eises etwas näherte, so wurde ihm ein langer Haken vorsichtig in die Kleider gehakt, und nun Mensch und Fisch zusammen unter grenzenlosem Jubel auf’s Eis gezogen. Da nun das Kunststück so wunderbar geglückt war, so wurde eine große Eisscholle abgetrennt, mehrern Kosaken sprangen darauf, um den Feind mitten im Flusse anzugreifen. Dieser Fischfang war nun wohl mühevoll und ungewöhnlich, aber doch machte er den Kosaken eine allgemeine Freude, da das Allerhöchste Präsent nun zur bestimmten Zeit abgesendet werden konnte. Ist der Fischfang endlich an einem Tage beendet, so begibt sich Alles in’s Lager, es wird gegessen und getrunken, gekauft und verkauft, Fische eingesalzen und Kaviar gemacht. Die Tages-Ereignisse werden dann vielfach besprochen, es wird gelacht und gejubelt und die Ufer des Urals ertönen oft von den heimathlichen Klängen des Gesanges, bis endlich ermattet von der Arbeit Alles in Schlummer sinkt. Doch kaum graut der Morgen, so wird auch schon aufgebrochen, man zieht stromabwärts nach einer neuen Station, auf welcher die Fischerei eben so wie am ersten Tage wieder durch einen Kanonenschuß eröffnet wird. In dieser Weise rückt man alle Tage weiter vor, bis endlich der ganze Strom, so weit es bestimmt, völlig abgefischt ward und alle Kosaken in ihre Wohnungen zurückkehren. Die gefangenen Fische werden nun größtentheils in das Innere des Reichs gesendet, der herrliche Kaviar und die Hausenblase aber in ganz Europa herum verschickt. Die Winterfischerei ist nun beendet und erst im nächsten Frühjahr, wo wieder neue Schaaren von Fischen aus dem kaspischen Meer aufwärts in den Strom ziehen und alle Gewässer sich auf’s Neue füllen, beginnt das lustige Fischerleben von Neuem.




Streifereien in Nord- und Südamerika.
Aus den Tagebüchern eines früheren schleswig-holsteinischen Hauptmanns.
Mitgetheilt von Julius v. Wickede.
II.
Schleswig-Holsteiner in Amerika. – Eine Katastrophe. – Die Geschichte eines deutschen Ehepaares. – Weiteres Unglück. – New-Orleans. – Eine Fahrt unter dänischer Flagge. – Das Cap Horn. – Ankunft in San Francisco. – Schnelle Execution an einem Mörder. – Der Hauptmann als Kärrner.

Bevor ich nach Californien ging, beschloß ich noch, die Vereinigten Staaten etwas zu durchreisen, und mich dann in New-Orleans einzuschiffen. Was ich auf dieser dreimonatlichen Reise in Nordamerika, bei der ich fast alle einzelnen Staaten berührte, sah und hörte, bestärkte mich auf’s Neue, nicht in denselben eine bleibende Stätte zu suchen. Geld konnte ich freilich daselbst verdienen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_174.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)