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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Sie erfüllte jede ihrer Pflichten und las dem Vater jeden seiner Wünsche an den Augen ab; aber sie that es nie mit dem Lächeln des Glückes. Ich sah sie oft verstohlene Thränen weinen und wenn ich sie dann zuweilen fragte, was ihr fehle, so erschrak sie heftig und sagte: „Nichts, gar nichts! warum fragst Du denn so? laß es ja den Vater nicht merken, daß ich geweint.“

„Da ich fünfzehn Jahr alt war, ward mein Vater krank und sein Leben verzehrte sich unter täglich wachsenden Schmerzen. Mit engelhafter Milde pflegte ihn die Mutter und es gab kein Opfer, das sie ihm nicht freudig gebracht hätte. Eines Tages, da sie auch am Krankenbette weilte und ich mich im Nebenzimmer befand, hörte ich den Vater zu ihr sagen: „O, ich wußte es wohl, Amalie, welchen Schatz ich an Dir hatte, darum nahm ich einst Deine Hand an; trotz Deiner Versicherung, daß Deine Liebe einem Andern gehöre, daß nur der Eltern Wille Dich vermöchte, zu mir nicht „Nein!“ zu sagen, aber ich ehrte Dein aufrichtiges Geständniß doch nur halb und hätte es höher geehrt, wenn ich Dir entsagt. Aber ich, der gereifte Mann, glaubte, aus dem Herzen eines achtzehnjährigen Mädchens die Liebe zu einem Jüngling gleichen Alters durch meine Liebe bannen zu können. Es ist mir nicht gelungen; wir sind Beide unglücklich gewesen, Beide, weil Du mich nicht lieben konntest, und es war kein Ersatz dafür, daß wir Beide jede Pflicht für einander gewissenhaft erfüllten und die Welt, die uns nie unzufrieden miteinander sah, glauben ließen, wir wären ein glückliches Paar. Es gibt nichts auf der Welt, das fehlende Liebe ersetzen kann! Ich habe Dich sonst oft eine Schwärmerin genannt, jetzt sehe ich ein, daß es Unrecht war, aus dem Leben dieses höhere Aufschwingen bannen zu wollen, das mir Schwärmerei hieß. Es ist allein das wahrhaft Reelle der gemeinen Wirklichkeit des Scheines gegenüber. Auf einem Sterbebette klären sich die Begriffe. Versprich es mir, Deinen Sohn in Deinen Grundsätzen zu bestärken und ihm dazu die Festigkeit zu geben, die er bedarf, um sie zu befolgen, und die Dir mangelte, da Du Dich überreden ließest, mir Deine Hand zu geben.“

„Eine lange Rede,“ unterbrach ihn Blumenbach; „was soll sie mir? Der Fall paßt nicht, denn Amanda hat mir nie gesagt, daß sie einen Andern liebe.“

„Mein Herr,“ sagte Bruno, „ich wollte Ihnen nur an diesem Beispiel zeigen, wie elend eine Ehe ohne Liebe ist, auch wenn beide Theile ihren Pflichten genügen. Ich möchte nicht, daß Sie das Loos meines guten Vaters hätten, noch Amanda das meiner herrlichen Mutter. Noch mehr aber wollte ich Ihnen durch diese Erzählung meine eigne Handlungsweise erklären. Meine Mutter, deren Lieblingsschriftsteller und persönlicher Bekannter Jean Paul war, fand in seinen Schriften den besten Trost und nährte auch meinen Geist damit, und später, da ich zum Jünglinge und Mann gereift, machte sie es mir zur heiligsten Pflicht, nie ein Weib ohne Liebe an mich fesseln zu wollen. Ich selbst ging noch weiter! Um meiner unglücklichen Mutter willen machte ich es mir selbst zur Pflicht, wo es in meinen Kräften stand, der Beschützer der unglücklichen, verkannten und hülfsbedürftigen Mädchen zu werden, die einem gleichen Loose geopfert werden sollten. Darum ward ich’s für diese junge Fremde, deren Herz und Geschick mir ein Zufall enthüllte. Vielleicht, daß auch der Jüngling, der meine Mutter geliebt, sie nicht vergessen konnte.“

„Wissen Sie nicht seinen Namen?“ fragte Blumenbach in äußerster Spannung, die Augen niederschlagend.

„Seinen Geschlechtsnamen habe ich nie erfahren,“ sagte Bruno, „meine Mutter nannte ihn Moritz – und sagte noch vor wenig Jahren, daß er unvermählt geblieben.“

„Und Ihre Mutter war eine geborne Marbach!“ rief Blumenbach athemlos.

„Ja!“ antwortete Bruno und sah verwundert auf den Erschütterten.

Aber dieser schloß ihn in seine Arme, und rief: „Sohn meiner Jugendgeliebten – führen Sie mich zu der verwittweten Mutter – ich bin es, dem sie treu geblieben! Wir liebten uns in früher Jugend, schworen, uns ewig zu gehören. Ich hatte ihren Wohnort verlassen, um zu studiren. Da erfuhr ich, daß ein Anderer, ein Mann in Amt und Würden, um sie warb. Der Student durfte nicht mit ihm bei den Eltern in die Schranken treten – er konnte nur still auf die Treue seines Mädchens bauen. Aber Amalie gab dem Drängen ihrer Eltern nach – Sie ward Meinhardt’s Gattin, und ich fühlte, daß ich die für immer fliehen mußte, die mir auf ewig verloren. Ich entsagte dem Studium und ward Landwirth, reiste und widmete mich meinem Berufe. Aber nie suchte ich einen Ersatz für Amalien. So lebte ich fünfundzwanzig Jahre einsam, weder glücklich noch unglücklich. Jetzt, den Funfzigen nahe, sehnte ich mich danach, dies einsame Leben aufzugeben – ich lernte Amanda kennen, sie zog mich an, erschien mir eine passende Lebensgefährtin, und da sie arm war, meinte ich, das Glück des Reichthums an meiner Seite könne ihr ersetzen, was sie an jugendlichem Liebesglück vermissen würde. Jetzt erkenne ich meinen Irrthum – jetzt, da ich hoffen kann, die einzig wahre Geliebte wieder zu finden, gebe ich Amanda frei, um zu Amalien zu eilen!“

Indeß Bruno erschüttert zuhörte, fand Herr von Subow für gut, sich leise zu entfernen, um die überraschende Neuigkeit der Regierungsräthin zu hinterbringen.




VII.

Ein Jahr war vergangen. Der blaue Sommerhimmel ruhte auf den höchsten Gipfeln des Fichtelgebirges und schmückte sie mit rothgoldenem Sonnenglanz, indeß durchsichtige Federwölkchen um die Häupter der schwarzen Tannen spielten, die wie eine zweite Krone von den Kronen der Berge ihre Spitzen zum Hinmel emporstreckten. Auf der Louisenburg, dieser romantischen Felsenpartie, in der wunderbare Steingebilde, rieselnde Quellen, Wald und Gebüsch in malerischen Gruppirungen von der Hand der Natur durcheinander geworfen und von der künstlerischen Menschenhand nur nachhelfend geordnet, waren alle Wunder dieses großartigen Naturwerkes vom Glanz der Sommersonne mit neuen Zaubern umwoben und von den Gesängen unzähliger Vögel melodisch belebt. In dieses Heiligthum der Natur traten zwei Herren von verschiedenem Alter, in deren Mitte eine Dame ging; die Gattin des Einen und die Mutter des Anderen. Bruno’s Mutter, seit ein paar Monaten mit Blumenbach verheirathet.

Die Langgetrennten hatten sich wiedergesehen, sich wiedergefunden. Amalie Meinhardt, die längst auf jedes Glück verzichtet hatte, außer dem, das ihr der Sohn bereitete, zögerte erst lange, ihre Hand im Alter in die des Jugendgeliebten zu legen, um den Gram und Resignation sie gealtert. Aber er ließ nicht nach mit Bitten, bis sie die Untreue ihrer Jugendjahre durch Treue im Alter zu sühnen versprach, und ihm auf seine Güter folgte als sein Weib. Jetzt hatten sie eine Reise in’s Fichtelgebirge gemacht, um die Stelle aufzusuchen, die auf so wunderbare Art zum Voraltar geworden, den Langgetrennten doch noch zur Vereinigung zu helfen. Bruno, der dabei der Vermittler gewesen, durfte auch bei dieser Reise nicht fehlen. Aber ihm war trübe zu Sinnen, denn alle seine Bemühungen, sowie die Blumenbach’s, etwas von Amanda zu erfahren, waren erfolglos gewesen. Wohl hatte er damals auf der Post erforscht, daß sie wirklich mit dieser nach Bayreuth gereist sei, aber dort war ihre Spur verloren, denn auch zu der Malerin, an die sie Bruno empfohlen, war sie nicht gekommen. Wenn er sie, um sie zu befreien, vielleicht in den Tod gejagt? Wenn vielleicht irgend ein Fluß ihr ein geheimes Grab gegönnt?

Bruno ging still und düster neben dem vereinten Paar, und da es sich in Erinnerungen vergangener Zeiten verlor, stahl er sich von ihnen hinweg, um den Jean Pauls-Platz aufzusuchen, an dem er Amanda zuerst erblickt hatte. Still und einsam war es auf seinem Weg, nur ein munterer Finke folgte ihm mit seinem Sängerschlag, von Zweig zu Zweig hüpfend, und die schelmische Weise, die er angestimmt, war für Bruno eher ärgerlich als erfreuend. Da sah er etwas Weißes durch das Grün der Zweige schimmern – er trat näher – eine bekannte Gestalt tauchte vor ihm auf – er täuschte sich nicht – zwei Schritte noch und er lag athemlos zu Amanda’s Füßen; er hielt ihr Gewand in seinen Händen und stammelte das glühende Gestandniß einer Liebe, die bei dem ersten Begegnen erwacht, in einem Jahr gänzlicher Trennung und Ungewißheit zur heftigsten Leidenschaft sich herangebildet.

Amanda verhüllte weinend ihr glühendes Gesicht, und rang vergebens nach einer Antwort. Widerstandslos glitt sie in seine Arme, und ruhte wie eine Ohnmächtige an seinem Herzen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_171.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)