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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

bat nun der Gouverneur, er möge mit Hülfe eines Kosaken es doch versuchen, neben der Fischwehre die Stange unten in die Tiefe des Flusses hinabzustoßen. Das Experiment wurde, nachdem der Kosak vorher etwas sondirt und die Stange gehörig gerichtet hatte, mehrere Male versucht, und jedes Mal erhielt der Gouverneur einen so starken Ruck in die Hand, daß er unwillkürlich die Ueberzeugung erhielt, immer auf einen Fisch gestoßen zu haben. Zuletzt wurde ihm sogar bei einem kräftigen Stoße, wo wahrscheinlich die Spitze der Stange recht getroffen und ein großer Fisch verwundet sein mochte, die Stange durch den starken Ruck des Fisches aus der Hand gerissen.

Der Heeres-Ataman erklärte uns nun, daß dies Kosakenkunststück gar nicht so schwer sei, wie es scheine, denn da sich eine so große Menge Fische an den Balken der Wehre herumdränge und gegenseitig drücke und reibe, so würde der leise herabsinkende Mensch von den Fischen kaum bemerkt, und könne sich bei günstiger Gelegenheit und wenn der Kosak nur seine Sache gut verstehe, sogar die Herren da unten recht gemüthlich betrachten und nach Belieben wählen. Doch dürfe der Taucher den Fisch mit seinem eisernen Handhaken nur in die Kiemen fassen, welches aber ebenfalls nicht schwer sei, da der Fisch sie beim Wasser-Athmen immer öffne. Zufällig war der gefangene Fisch ein Roger. Das Ovarium wurde deshalb herausgenommen, etwas durcheinander gerührt, hierauf durch ein Sieb gepreßt, wobei Fasern und Schleimhäute zurückblieben, zuletzt dann noch dieser durchgepreßte Rogen etwas gesalzen und der Kaviar war fertig, so daß in der Wohnung des Heeres-Atamans ein ganz frischer Kaviar zum Frühstück vorgesetzt werden konnte, all ends in a meal! – So unwahrscheinlich auch diese Geschichte natürlicherweise erscheinen muß, so ist sie doch in jenen fernen Gegenden eine allgemein bekannte Sache. Ich berufe mich hier auf Pallas Tom. I. 283 u. s. w., der über die Unmasse der Fische, welche sich in ältern Zeiten an der Fischwehre drängten, um stromauf zu gehen, Folgendes sagt: „Daß damals der Uralfluß durch einen Fischwehrenfang weiter abwärts zum kaspischen Meere abgesperrt worden, und der Andrang von Sewrügen oft so stark gewesen sei, daß man gefürchtet habe, sie würden die Fischwehre durchbrechen, daher man die Fische mit blinden Kanonenschüssen verscheucht habe.“

Im März, April und Mai ziehen die Acipenser-Arten am häufigsten aus dem Meere stromaufwärts und oft in großen Schaaren, am spätesten kommen die Sewrügen. So zahlreich der Fischfang auch gegenwärtig noch immer ist, so hat doch nach den Aussagen alter Leute im Vergleich mit frühern Zeiten sowohl die Menge als auch die Größe der Fische bedeutend abgenommen. Viel mag wohl dazu beitragen, daß die großen Fischereien in der Wolga und im Ural, bei Astrachan und im kaspischen Meere selbst diese Abnahme veranlassen, denn schwerlich wird man sich einen Begriff davon machen können, welche ungeheure Masse dieser schönen Fische theils gesalzen, theils steinhart gefroren oder in langen Streifen (Balik) an der Luft getrocknet, alljährlich verschickt und in dem ganzen großen russischen Reiche während der Fastenzeit consumirt wird. Andererseits mag auch wohl die von Jahr zu Jahr allmählich zunehmende Versandung der Strom-Mündungen des Urals mit Veranlassung sein, daß die Zahl der großen Fische sich vermindert, denn mir erzählte ein Kosak in Guriew, er habe selbst gesehen, daß im Frühjahre zu einer Zeit, wo der Fischfang im Ural noch verboten war, ein großer Hausen bei der Mündung des Urals auf eine Sandbank gerathen, so daß der Rücken des Fisches aus dem Wasser hervorgeragt, und das große Thier sich nur mit vieler Anstrengung aus dem Sandschlamme herausgewühlt habe, um in tieferes Wasser zu kommen.

Im Ural finden, außer einigen kleineren, weniger bedeutenden, jetzt nur drei gemeinschaftliche große Fischereien statt, woran alle Kosaken Theil nehmen. Die Zeit und der Ort des Fischfangs, Größe der Fischergeräthe und das ganze Verhalten ist bei diesen Fischfängen auf das Genaueste bestimmt und wird mit militairischer Strenge befolgt. Der erste ist der Frühlings-Fischfang, der zweite der Herbstfang, beide mit Netzen, – und der dritte und merkwürdigste von Allen ist der Winterfischfang auf dem Eise (Bagrenie) mit acht bis zehn Faden langen Stangen, an deren unterem Ende starke eiserne halbrunde und sehr geschärfte Haken befestigt sind. Dieser letztere Fischfang ist das interessanteste Stück im Leben der Uralschen Kosaken. Jedes Mal, wenn im Sommer ein Fischfang beginnen soll, wird unter den ältesten Stabsofficieren ein Fischerei-Ataman gewählt, der für die bestimmte Ordnung sorgt, wann und wo die Fischerei beginnen soll, zugleich auch Streitigkeiten entscheidet und dem alle nach militairischer Ordnung den strengsten Gehorsam schuldig sind. Täglich wird eine gewisse Strecke des Flusses angewiesen, die zum Fischen bestimmt ist und deren Grenze Keiner überschreiten darf; hat man diese des Abends erreicht, so erfolgt das Zeichen, die Fischerei hört auf und Alles begibt sich an’s Ufer in’s Lager, wo Pferde und Wagen halten, gekocht und gebacken wird, und wo schon viele russische Kaufleute harren, um die Fische zu kaufen, einzusalzen und weiter zu schicken. Bei Tagesanbruch wird wieder eine neue Strecke stromabwärts angewiesen, wo gewöhnlich das Zelt des Fischerei-Atamans aufgestellt ist. Das bunte Fischerleben fängt nun wieder von Neuem an, und so geht es alle Tage weiter, stromabwärts, bis ein paar Hundert Werst abgefischt sind und man endlich beim kaspischen Meere anlangt, an welchem die Fischerei auf diese Art ein Ende hat. Bei der Frühlingsfischerei, bei welcher seltener einzelne Hausen und Störe erscheinen, welche aber nach der bestehenden Ordnung immer wieder zurück in den Fluß zu werfen sind, werden vorzugsweise nur Sewrügen und einzelne Lachse gefangen. Die Herbstfischerei nimmt im October ungefähr zweihundert Werst von der Stadt Uralsk ihren Anfang und endet beim kaspischen Meere. Die Ordnung ist ganz dieselbe wie bei der Frühlings-Fischerei, nur daß hier andere, weit stärkere Netze benutzt werden. Es ist bei diesen Fischereien ein wahres Vergnügen, zu sehen, wie der ganze Strom bis in die weite Ferne von Menschen wimmelt, und wie die Kosaken in ihren leichten Beidaren – kleine Kähne, in denen gewöhnlich ein Kosak sitzt – mit Blitzesschnelle über den Strom hin und her schießen, mit außerordentlich raschen und oft kühnen Wendungen ihrer Nußschalen sich, so weit es die Ordnung erlaubt, gegenseitig zuvorzukommen suchen, und wie bei dieser Gelegenheit dann und wann ein noch etwas unerfahrener junger Kosak in’s Wasser plumpst, ohne sich im Geringsten etwas daraus zu machen, da jeder von ihnen vortrefflich schwimmen kann und im Wasser wie zu Hause ist. Dabei ist die rasche Entschlossenheit, Gewandtheit und das Savoir faire der Kosaken in allen Sachen, die nur entfernt an Gefahr erinnern oder Unternehmungsgeist verlangen, wahrhaft bewundernswürdig! – Diese Menschen, die so zu sagen im Flusse und im Meere aufgewachsen sind, würden vortreffliche Seeleute abgeben, wenn das kaspische Meer nicht als ein großer Binnensee so sehr abgeschlossen wäre. So viel aber bleibt gewiß, daß der tapfere und unternehmende Geist, welcher das ganze Uralsche Kosakenheer durchdringt und bei welchem der Kosak die vielfachen Entbehrungen im Felde weniger empfindet, wie andere Menschen, für ein rauhes Klima gänzlich abgehärtet ist und mit Gewandtheit jede Gefahr leichter überwindet, nur durch dies freie, wilde, und doch mit militairischer Disciplin geordnete rasche Fischerleben belebt wird. Durch dieses wird der Kosak in seinem ganzen Habitus als Krieger sehr gekräftigt und in seinem Wesen wird eine gewisse Sicherheit, rasche Entschlossenheit und Thatkraft unterhalten, die ihn im Felde bekanntermaßen so vortheilhaft auszeichnen. Ich komme nun zu der dritten Art oder Winterfischerei, welche, wie gesagt, von allen die interessanteste ist.

Sobald im Spätherbst der Uralfluß anfängt sich mit einer leichten Eisrinde zu bedecken, welches gewöhnlich Ende November oder im December der Fall ist, suchen die Fische vorzugsweise die tieferen Stellen des Flusses auf, um hier reihenweise den Winter in einer Art von Ruhe zu verleben. Da sich aber der Boden des Uralflusses durch die Strömungen alljährlich verändert, so daß die tieferen Lagerstellen der Fische nicht immer bekannt sein können, so merken sich die Kosaken, sobald der Fluß zufrieren will, diejenigen Stellen, wo die Fische an der Oberfläche erscheinen, um zu spielen, oder sie legen sich, sobald der Fluß nur eben zugefroren ist, auf das dünne und wie Glas durchsichtige Eis, bedecken den Kopf mit einem dunkeln Tuche und können dann die großen Fische auf dem Grunde des Flusses ruhig liegen sehen. Diese Andeutungen suchen sie dann bei der allgemeinen Winterfischerei zu benutzen. Der erste und kleinste Fischfang erfolgt gewöhnlich in den ersten Tagen des December, oft sogar schon Ende November, wenn das Eis noch sehr schwach ist, und dauert gewöhnlich nur einen Tag. Auch fischen hier blos eine gewisse Anzahl Kosaken, denn der Zweck desselben besteht eigentlich nur darin, nach altväterlicher Sitte eine Menge der schönsten Fische und des besten Kaviars als Präsent, wie es die Kosaken nennen, – so

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_165.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)