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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

wurden andere Stimmen in ihrer Seele laut. Jean Paul war ihr Lieblingsschriftsteller, sie betrachtete ihn wie ihren Herrn und Meister. Vor ihm, der jedem Herzen und jeder Seele, die einer edlen Flugkraft fähig war, das Recht vindicirte, sich mit freien Flügeln über die Alltäglichkeit zu erheben, schämte sie sich, daß sie selbst von dieser Alltäglichkeit sich fesseln ließ. Gestern, wo sie, von ihren Eltern gedrängt, in die Verlobung mit dem ungeliebten Mann zu willigen, vergebens bei der Verwandten, die ihrem Herzen am nächsten stand, auf Verständniß, Theilnahme und Schutz gehofft, hätte sie den Himmel anflehen mögen, ihr nur eine sympathisirende Seele zu senden – da war der fremde Jüngling vor sie getreten und hatte Worte gesprochen, die unvergessen in ihrem Innern nachzitterten. War nicht er es, den der Himmel ihr sandte? Aber was fragt die Welt nach solchen nüchternen Sendungen! Amanda’s Begleiterin ward nicht müde, auf die Indiscretion des Fremden zu schelten und Amanda selbst auf den Standpunkt herabzuziehen, von dem aus kein anderes Urtheil über ihn zu fällen war. – Aber jetzt, da er sie wieder selbst an den Flug des Genius zu den höchsten Idealen erinnerte, jetzt war sie bereit, ihm zu folgen. War es denn nicht schon vielleicht das Werk des Unbekannten, daß Blumenbach heute mit der Anzeige zögerte, oder daß er deren Abdruck noch nicht hatte, daß er zurückhaltend gegen sie war und schon erklärt hatte, an dem abendlichen Concert nicht Theil nehmen zu können? War er nicht vielleicht der Einzige, der ihr beistehen konnte, und wie mußte sie es bereuen, die rettende Hand von sich zu weisen, die im Augenblick der Entscheidung sich ihr entgegenstreckte?

Unter diesen Grübeleien hatte Amanda ihre Toilette vollendet und mit zitternder Hand steckte sie Bruno’s Strauß an die unruhig bewegte Brust.




IV.

Es ward Abend. Bruno’s Blicke hatten am Mittag mit stolzem Triumph das ersehnte Zeichen gefunden und jetzt ging er auf die Louisenburg, dies holde Mädchen im Geheimen zu sprechen, das er sich vorgenommen, zu retten. Es war heute noch stiller als gewöhnlich in dieser erhabenen Felsenstadt, weil ein Concert, dem später Tanz folgte, die Badegesellschaft im Cursaal vereinigte und festhielt. Der Abendwind säuselte im zarten Laub der Buchen, wie in den dunklen Nadeln der Tannen, der Thau fiel in das smaragdne Moos, das an wunderbaren Steingebilden sich fest geheftet. Die untergehende Sonne beschien noch die Fahne, die auf der höchsten Spitze des Burgsteines wehete, und die waldige Kuppe der Kössenia. Die Vöglein huschten in ihre verborgenen Nester und ließen nur noch einzelne Triller vernehmen.

Bruno stand auf einem Felsenvorsprung unterhalb des Jean Pauls-Platzes und spähete nach Amanden. Da kam sie athemlos die steinerne Stiege herauf. Er ward sie erst spät gewahr, denn sie trug ein grünes Kleid, vielleicht absichtlich sich damit im Grün der Waldung zu verlieren. Sie hatte ihn gesehen und stand zögernd still. Am ganzen Körper zitternd, schien es fast, als wolle sie umkehren – aber ehe dies geschehen, war Bruno mit einem kühnen Sprunge an ihrer Seite.

„Ich danke Ihnen für ihr Vertrauen!“ rief er, „möge ich es in jeder Beziehung rechtfertigen können. Ein Zufall ließ mich einen Blick in ihr Schicksal thun. Wir Männer sind und heißen das stärkere Geschlecht. Es ist unsre Pflicht und war immer das Amt jedes edlen Mannes aller Zeiten, das schwächere weibliche Geschlecht gegen Willkür und Brutalität zu schützen. Im Mittelalter war es immer Brauch, daß der fremde Ritter auch der fremden Dame sich annahm, die eines Beistandes bedurfte – was Gutes an der alten Zeit gewesen, wollen wir immerhin hinüberretten in die neue, die nur edlere und keine roheren Sitten haben sollte. Ich habe immer so gedacht und danach gehandelt und frage am wenigsten nach dem Vorurtheil an einer Stätte, die den Namen eines Dichters trägt, der über jedes Vorurtheil erhaben, wo es den Triumph der edleren Naturen galt über die alltäglichen und ihre niedern Schranken. Er ehrte am meisten das reiche Herz der Jungfrauen, wie jede zarte Sitte der sie unterthan – darum können Sie seinem Jünger nun an dieser Stätte vertrauen.“

„Mein Herr,“ sagte Amanda mit melodischer Stimme, die Bruno tief zum Herzen ging, „ich verstehe Sie und Ihre Worte heben mich über die Nothwendigkeit hinweg, Ihr Betragen bei mir, wie das meinige bei Ihnen zu entschuldigen. Sie kennen mein Geschick – Sie kennen Herrn Blumenbach –“

„Nicht eben genau,“ unterbrach sie Bruno, „aber doch genau genug, um zu wissen, daß er nicht verdient, Ihr Gemahl zu werden.“

Amanda erröthete und sagte mit niedergeschlagenen Augen:

„Ich sah Sie diesen Morgen mit ihm sprechen und schloß daraus, daß Sie ihn kennen – noch mehr, daß Sie Einfluß auf ihn haben. All’ meine Einwendungen, Bitten und Vorstellungen waren bei ihm selbst, wie bei meinen Eltern vergeblich gewesen; man wollte mich ihm mit Gewalt verloben. Ein willenloses Kind, ließ ich endlich wie eine Ohnmächtige Alles über mich ergehen; die bestellten Anzeigen sollten diesen Morgen verschickt werden, an diesem Abend sollte ich zum ersten Male als Blumenbach’s Braut erscheinen – alle Mittel dagegen hatte ich erschöpft, nur ein gewaltsames blieb mir übrig – ich schwankte noch, ob ich heimlich fliehen oder öffentlich erklären wollte, daß meine Eltern mich zwängen, da kommt Blumenbach ohne Anzeigen und ist von selbst bereit, die Verlobung wenigstens noch hinauszuschieben; ist diese Sinnesänderung durch Sie bewirkt?“

„Ich darf es hoffen!“ antwortete Bruno, froh bewegt. „Aber wie können Eltern die eigne Tochter so opfern wollen?“

„Eltern, ach!“ wiederholte Amanda seufzend. „Die Gattin meines Vaters ist nicht meine Mutter – die Stieftochter ist ihr verhaßt. Diese Frau vermag Alles über meinen Vater, sie hat mir durch tausend Intriguen ihr Herz entfremdet, peinigt nicht nur mich, sondern auch ihn täglich um meinetwillen und bietet Alles auf, mich aus dem Hause zu bringen. Mein Vater sieht ein, daß er auch dann nur Ruhe hat, und theilt ihren Wunsch. Aber er ist zu stolz, darein zu willigen, daß ich sein Haus als Mädchen verlasse. Wir haben kein Vermögen und der Gehalt meines Vaters, der früher bei manchem Lebensgenuß uns noch übrig ließ, reicht jetzt nicht mehr aus bei dem Luxus der Stiefmutter – der Vater ist in Sorgen und rechnet darauf, sie sich durch einen reichen Schwiegersohn zu erleichtern. Vergebens habe ich schon seit dem Tage, da die Fremde in’s Haus kommen sollte, den Vater gebeten, mir wo anders ein Unterkommen suchen zu dürfen, als Gesellschafterin oder Lehrerin. Lächeln Sie nicht, mein Herr, über dies Wort, weil ich noch jung bin – ich habe Talente, die ich üben und entfalten könnte – ich male und musicire und die ersten Künstler, die meine Lehrer waren, beschworen mich, diese Talente, die sie an mir zu finden meinten, zu pflegen. Aber durch meine Stiefmutter verkümmern sie; den Unterricht entzog sie mir, und gestattete mir noch weit weniger, selbst welchen zu ertheilen. Mein Vater selbst hält es für ehrenvoller, wenn ich in seinem Hause im Geheimen die niedrigsten Dienste verrichte, zu denen jede Magd gut ist, als wenn ich öffentlich meine Talente verwerthe. Seitdem ist jede höhere Fähigkeit in mir mit Füßen getreten worden, und ich gehe im Ringen mit den kleinlichsten und schmählichsten Verhältnissen zu Grunde. Darum allein konnte selbst meine theuerste Verwandte, die Sie hier mit mir sprechen hörten, mir auch zureden, Blumenbach meine Hand zu geben, damit ich von den häuslichen Qualen erlöst würde, und mir wenigstens die Freiheit erkaufe, einer höheren Ausbildung meiner Fähigkeiten zu leben.“

„Das ist die Geschichte unzähliger strebender weiblicher Wesen!“ rief Bruno. „Mit den herrlichsten Anlagen ausgerüstet, verkümmern sie entweder schon im Elternhause oder mit den zartesten Herzen im Sündenpfuhl einer Ehe, die Zwang oder Berechnung schloß! Sie fühlen es, daß Sie berufen sind, diesem entsetzlichen Schicksal nicht zu verfallen! Sie würden nie die Kühnheit haben, aus dem Vaterhaus zu entfliehen, weil man Ihre edlen Anlagen unterdrückt, aber Sie werden den Muth haben, das Aeußerste zu thun, um nicht ein Verbrechen an sich selbst, einem Andern, an Gott und der Menschheit zu begehen! Sie werden fliehen, wenn Ihnen dagegen kein anderes Mittel bleibt. So wird Ihnen die Erlösung vom häuslichen Drucke kommen auch ohne das geforderte Opfer!“

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_160.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)