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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

hinaus in’s Land. Da schallt vom Herrenhause her, in dem der Landvogt residirt, durch die sonntägliche Stille ein heller, scharfer Trompetenstoß und zugleich erblicken einige der anwohnenden Bürger einen Trompeter des Landvogts in Begleitung burgundischer Soldaten vom Herrenhause hinunter zum Marktplatz reiten, wo er still hält und nach einer schmetternden Fanfare der Bürgerschaft kund und zu wissen thut: daß der Landvogt, der hier im Namen des Herzogs von Burgund das Regiment führe, ihnen bei schwerer Leibes- und Lebensstrafe gebiete, binnen vierundzwanzig Stunden alle Wehr und Waffen in seine, des Statthalters, Hände abzuliefern.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich dieser neue Befehl des Landvogts in der ganzen Stadt und rief eine unbeschreibliche Aufregung hervor. Auf allen Plätzen und Straßen strömten die Bürger zusammen und riefen laut und drohend, daß sie sich nicht wie wehrlose Lämmer dem Metzger an’s Messer liefern würden. Nicht der Herzog von Burgund, sondern der Erzherzog Sigismund von Oesterreich wäre ihre rechte Obrigkeit, der hätte ihre Freiheiten geachtet und gewahret, der Landvogt aber trete sie mit Füßen.

Der Freiherr von Hagenbach, welcher von seinem Fenster aus diese Zusammenrottungen sehen konnte, schickte einen seiner Offiziere auf die Straße hinab, der die Zusammenrottungen zerstreuen und die Bürger vor Meuterei warnen sollte. Aber das Volk antwortete dem Offizier mit Drohung und hie und da funkelten schon Waffen unter der Menge, die immer aufgeregter wurde. – Erstaunt über diese unerhörte Widersetzlichkeit und an sklavische Ausführung seiner Befehle gewöhnt, eilte der Landvogt, nur von einigen Hauptleuten seiner Wache begleitet, selbst hinunter auf die Straße, wo die Bürger jetzt mit lautem, tumultuarischem Geschrei die Zurücknahme des Befehls zur Ablieferung der Waffen verlangten. –

Die persönliche Erscheinung des Landvogts rief eine augenblickliche Stille hervor und so groß war die Macht der Gewohnheit des Gehorsams und der Furcht vor dem harten Mann, daß auf seine strenge Frage: „Was verlangt Ihr, was ist Euer Begehr, Männer von Breisach?“ für den Augenblick Keiner ihm Bescheid zu geben wagte.

Der Landvogt, der den Eindruck, den seine Erscheinung auf die Bürger hervorgebracht, wohl bemerkt hatte, wiederholte noch einmal seine Frage, indem er mit erhobener Stimme rief:

„So sprecht, was ist Euer Begehr?“

In dem Augenblicke entstand eine drängende Bewegung und eine tiefe Stimme rief: „Gebt den Gefangenen los, den jungen Goldschmied, den Ihr am Charfreitag habt ungerechter Weise in den Thurm werfen lassen, gebt ihn los, Ihr habt’s öffentlich vor dem Volke versprochen.“

Des Freiherrn Zornesader schwoll, seine Hand legte sich an den Griff seines langen, spanischen Stoßdegens und er rief: „Wer wagt es, dem Landvogt des Herzogs von Burgund Vorschriften zu machen!“

„Ich, Herr Landvogt, ich wage es,“ rief dieselbe Stimme, welche die Forderung gestellt, und der Waffenschmied arbeitete sich, gefolgt von neun andern bewaffneten Männern durch die Menge und trat dicht an den Landvogt heran, „ich, der Waffenschmied Friedrich Vögelin.“

Einen Augenblick schien der Freiherr außer Fassung zu sein, aber im nächsten Moment rief er, sich zu den ihn begleitenden Officieren wendend:

„Im Namen Sr. Hoheit, des Herzogs von Burgund, faßt diesen Mann als Meuterer und Rebell.“

Die Officiere, eingeschüchtert durch die drohende Haltung der Menge, zögerten und einer eilte vom Platze, um die burgundische Wache zu holen, aber noch ehe er zehn Schritte gegangen war, riefen die Männer, die den Waffenschmied begleiteten – es waren die Verbündeten, die in der Nacht jenen Eid geleistet – „Nieder mit dem Landvogt, nieder mit Burgund, hoch Oesterreich, hoch der Erzherzog!“ und der Waffenschmied faßte den Landvogt an der Brust, indem er mit lauter, weithin dröhnender Stimme ausrief: „Im Namen des Herzogs Sigismund verhafte ich Euch, Freiherr Peter von Hagenbach!“

Der Landvogt stieß einen Wuthschrei aus und machte eine verzweifelte Anstrengung, um sich von dem eisernen Griff des Waffenschmieds zu befreien, aber die anderen Männer umringten ihn und ehe noch die bestürzten Officiere und die allmälig herbeieilenden Burgunder – es lagen zwei Fähnlein in der Stadt – ihm beistehen konnten, ward er entwaffnet und inmitten der Volksmenge nach dem Rathhause als Gefangener abgeführt. Diese kühne That war so urplötzlich vor sich gegangen, daß die ihres Hauptes beraubte burgundische Besatzung, in vollständiger Rathlosigkeit und Bestürzung, gar keine Miene zur Befreiung des Landvogts machte, und als ihnen die Bürger erklärten, daß man ihnen nichts zu Leide thun wolle, falls sie ruhig abzögen, so eilten Officiere, wie Soldaten, die ohnehin an Zahl viel schwächer als die Bürger und das durch das Sturmgeläute herbeigerufene und von allen Selten in die Stadt strömende Landvolk waren, in schleunigem Abzug aus der Stadt. Dann brach das Volk die Gefängnisse auf, in denen noch eine Menge Gefangene, unschuldige Opfer der Willkür des Landvogts, saßen, und befreite sie.

Wer vermag das Entzücken Derer zu schildern, die so plötzlich und unerwartet der Freiheit, ihrer Familie und ihren Freunden wiedergegeben wurden? Wer die beseligende Freude, als der junge Goldschmied, Meister Heinrich, von seinem Bruder aus dem Kerker hervorgezogen, in die Arme seiner Elsbeth flog und seinen kleinen Johannes, der zappelnd und lachend ihm die Händchen entgegenstreckte, an seine Brust drückte?

Solche Augenblicke, voll von Schauern des Entzückens, vermag weder des Malers Pinsel noch des Dichters Feder treu zu schildern; die Farben und die Tinte sind zu bleich und matt.

Auf den schnellen Fittigen des Gerüchts flog die Kunde von der kühnen That der Bürger zu Breisach durch’s ganze Land, bis hinauf zu den einsamsten Waldhütten des Gebirges und bis in die einsamsten Alpenthäler des Berner Landes. Tausende von Herzen klopften rascher und freudiger, als sie die Nachricht vernahmen, und der Sonnenschein der Freude glänzte auf allen Gesichtern. –

Nur Einer theilte nicht jene allgemeine Freude des Volks; es war der Berner, dem die Barone von Eptingen und Hewdorf den Bruder erschlagen. Vergebens war er ihnen, auf die Kunde ihrer Abreise in’s Lager des Herzogs von Burgund, mit einigen vertrauten Freunden nachgesetzt; sie entrannen, um durch ihre unheilvollen Rathschläge jenen Brand der Zwietracht zu schüren, der einen der zerstörendsten, verhängnißvollsten Kriege herbeiführte und dem Herz Europa’s eine ganz andere Staatengestaltung gab.

Wenige Tage später, nach der Gefangennehmung des Landvogts, erschien der Erzherzog Sigismund in den Vorlanden, begrüßt wie ein Vater und Erlöser von dem Volke, nach dem Zeugniß des alten Chronisten. Mit ihm und seinen Truppen kamen zugleich zweihundert Züricher, die zu Basel im Namen aller übrigen Eidgenossen zu ihm gestoßen waren und gemeinschaftlich mit des Erzherzogs Kriegsvolk die Vorlande zur Abwehr eines burgundischen Ängriffs besetzten.

Die erste Handlung des Erzherzogs war die, daß er dem Volke in den Vorlanden die ihm unter der burgundischen Herrschaft entrissenen Freiheiten und Rechte wiedergab, die zweite, daß er dem gefangenen Landvogt wegen seiner willkürlichen, grausamen und tyrannischen Amtsführung einen Rechtstag auf den 9. Mai des Jahres 1474 zu Breisach setzte, damit jeder komme, der gegen ihn zu klagen habe.




V.

Eine dichte Volksmenge füllte schon in den frühen Morgenstunden des 9. Mai 1474 den Markt zu Breisach, auf welchem im Namen des Erzherzogs und der Vorländer, öffentlich vor dem Landgericht, Klage erhoben werden sollte wider den Freiherrn Peter von Hagenbach, durch Hermann von Eptingen, einen Verwandten jenes Konrad von Eptingen, welcher von dem Erzherzog zum Landvogt in den wiedergewonnenen Vorlanden eingesetzt worden war. Umsonst hatte der Herzog von Burgund, den dieses Verfahren gegen einer seiner vornehmsten Diener auf das Tiefste erbittert, den Erzherzog und die mit ihm verbündete Eidgenossenschaft abgemahnt von dem Proceß gegen seinen Landvogt, der nur ihm, seinem Souverain, Niemandem weiter verantwortlich wäre; der Erzherzog, auf den Beistand der Eidgenossen bauend, ließ dem Recht seinen Lauf und in der siebenten Morgenstunde des genannten Tages wurde der Freiherr von Hagenbach vor seine Richter geführt, sechsundzwanzig an der Zahl, aus den Orten: Breisach,

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