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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

den breiten, silbernen Rheinstrom, die weite Ebene und die dunklen Berge des Schwarzwaldes erblicken konnte, „bedenkt Euch wohl, ehe Ihr uns zu Herzog Karl sendet. Das ganze Land, das Euer Auge von diesem Fenster aus überschauen kann, haßt die burgundischen Farben bis auf’s Blut. Aber noch mehr haßt es Euch, haßt es uns, die wir die Freiheiten der Städte dieses Landes vernichtet, ihre Rechte niedergetreten haben. – Aber wenn es uns haßt, so fürchtet uns auch das Volk. Traut Ihr Euch nun allein Macht zu, ohne uns dies empörungslustige, rachsüchtige Volk niederzuhalten? Ihr wißt es, Landvogt, es geht ein Geist des Aufruhrs und der Rebellion durch’s ganze Land. Selbst hier zu Breisach schwankt der Boden unter unseren Füßen. Fühlt Ihr nun den Muth und die Kraft in Euch, in solcher schweren Zeit die Zügel des Regiments allein, ohne unseren Beiralh und Hülfe zu führen – wohlan, so reiten wir noch heute zum Herzog und die Berner Botschaft wird unverrichteter Dinge wieder abziehen.“

„Ob ich den Muth und die Kraft in mir fühle?“ rief der Freiherr von Hagenbach mit gerötheter Stirn und sichtlich gereizt durch den Zweifel des Barons von Hewdorf, dem der Andere, Konrad von Eptingen, durch sein bedeutsames Schweigen beizustimmen schien, „ob ich die Kraft in mir fühle,“ wiederholte er, „Gottes Tod! Herr Bilgeri von Hewdorf, ich habe in mehr als zwanzig Gefechten und Feldschlachten gegen den eilften Ludwig von Frankreich und die Herren von Gent unter meines gnädiges Herrn, des Herzogs, Fahne gefochten, und niemals dem Feind den Rücken gezeigt oder gezittert und werde es solchem armseligen Volke gegenüber niemals lernen. Tragt Ihr nur deshalb Sorge, werthe Herren, so zieht in Frieden.“

„Es sei denn,“ sprach Herr von Eptingen, indem er aufstand und nach seinem Reitermantel griff, „Ihr Wille geschehe, Freiherr, aber ich spreche wie Pilatus, ich wasche meine Hände in Unschuld, und wenn Euch etwas Menschliches in diesen bedenklichen Zeitläuften widerfahren sollte: animam meam salvavi.“

„Ein bibelfester Herr, unser Baron von Eptingen,“ sprach mit spöttischem Ton der Landvogt zu dem Herrn von Hewdorf, der düster und sinnend in die Nacht hinaus sah, „er kennt das Evangelium, wie der Meßpriester das Credo.“ Bilgeri von Hewdorf zuckte stumm mit den Schultern und Hagenbach, dem die Situation unangenehm wurde, und der sich trotz seines Spottes bei den wie prophetisch klingenden Worten eines leichten Schauers nicht erwehren konnte, brach die Unterhaltung mit den Worten ab: „Und nun gute Nacht, wir sprechen uns noch, bevor Ihr morgen aufbrecht. – Seid gegrüßt, Ihr Herren!“

Die beiden Barone erwiederten den Gruß und verließen das Cabinet, den Landvogt allein in demselben zurücklassend.

Wie spöttisch auch der Freiherr des Herrn von Eptingen Mahnung hingenommen, so kamen ihm doch, als er so allein in dem großen mit dunklen Tapeten ausgeschlagenen Gemach blieb, das nur matt von den zwei Wachskerzen auf dem silbernen Leuchter erhellt wurde, die düsteren Worte jener Prophezeihung wieder in den Sinn, und vergebens suchte er die unheimliche Stimmung, die sich seiner bemächtigte, zu bemeistern. Mit einem Male sprang er heftig von seinem Sitz auf, indem er ausrief: „Narr, der ich bin, sitze hier und grüble und vergesse, daß unten in der Stadt ein hübsches Weibchen, deren Mann im Thurme sitzt, sich härmt und traurig bei ihrer einsamen Lampe sitzt. – He, Duval!“ Und er klingelte seinem burgundischen Leibdiener. „Meinen Mantel und Regenhut,“ befahl er, „die Nacht ist windig und kühl, und ich muß noch hinab zur Stadt. Erwarte mich bis zur Nachhausekunft, Duval.“

Der Diener reichte dem Freiherrn Hut und Mantel, worauf dieser das Zimmer verließ, um hinunter nach der Stadt zu gehen. –

Dem Rathhause auf dem Markt zu Breisach gerade gegenüber stand damals ein schmales, zweistöckiges Haus mit einem Erkerfenster im ersten Stockwerk und einem Verkaufsgewölbe im Erdgeschoß. In diesem Hause wohnte der junge Goldschmied, Meister Heinrich Vögelin, den der Landvogt am heutigen Mittag draußen am Rheinbau von seinen burgundischen Reitern hatte in Haft nehmen lassen, und der schwache Lichtschimmer, der durch die Gardinen auf die Straße fiel, strömte von der großen kupfernen Lampe, bei welcher Frau Elsbeth, des Meisters junges Weib, mit verweinten Augen und in einander gefalteten Händen saß. Zur Linken stand ein Spinnrocken, dessen Faden, von Thränen befeuchtet, den Fingern der jungen Frau entglitten, und zu ihrer Rechten schaukelte sich in leiser Bewegung die Wiege, in welcher das erste Kind des jungen Paares, ein Knäblein von kaum einem Jahre mit rosigen Wangen und hellem, blondem, goldig schimmerndem Haar, jenen süßen ruhigen Schlaf schlummerte, der dem Menschen nur in seiner unschuldigen Kindheit beschieden. Von Zeit zu Zeit beugte sich die junge Mutter über das schlummernde Kind, um einen leichten Kuß auf seine weiße Stirn zu hauchen, dann aber versank sie stets wieder in ihren Trübsinn, und ihre schönen blauen Augen begannen von Neuem sich mit Thränen zu füllen. – Die jungen Gatten hatten bis auf den heutigen Tag ein so stilles, zufriedenes, heiteres Leben geführt; glücklich in ihrer Liebe und in der Liebe zu ihrem Kinde, und eine verhängnißvolle Stunde zerstörte dieses ganze Gebäude stillen, häuslichen Glückes! Der Landvogt war genugsam als ein harter, grausamer Herr bekannt, um Frau Elsbeth das Schlimmste für ihren Gatten fürchten zu lassen, und hatte er nicht mehr als einmal die Männer der Frauen, nach denen sein wildes, zügelloses Gelüste stand, in den Thurm werfen und unter nichtigem Vorwand foltern und quälen lassen, bis er seinen Zweck erreicht?

War es nicht eine Ahnung ihres Ehegatten gewesen, als er am heutigen Morgen, da Elsbeth den kleinen Johannes zu der alten Base, die mit im Hause wohnte, tragen wollte, damit sie ihn, so lange die Eltern draußen am Rheinbau wären, warte und pflege, zu ihr sagte: sie solle heute daheim bleiben, er wolle das Bußgeld von fünf Gulden für sie zahlen; sie wisse doch, daß der Landvogt, seit er sie einst beim Vorbeireiten am Fenster gesehen, ihr nachstelle, und wenn auch sage, daß er in Freiburg sei, so könne doch der Böse seine Hand im Spiele haben, und den Vogt nach Breisach herauf führen. –

Aber sie hatte dazu gelacht und gemeint, der Freiherr werde ihretwegen nicht von Freiburg nach Breisach reiten, die fünf Gulden könnten sie besser in der Wirthschaft anwenden, junge Anfänger, die vorwärts kommen wollten, müßten den Heller zusammennehmen, geschweige fünf Gulden, und dergleichen Dinge mehr. – Und nun war auf einmal doch das Unglück gekommen und stand riesengroß vor ihr! Die junge, kaum neunzehnjährige Frau konnte den Gedanken nicht ertragen, daß es mit ihrem Glücke und ihrer Lebensfreude nun zu Ende sein sollte, und wie der Gedanke daran sie mit Gewalt erfaßte, verbarg sie ihr Gesicht in ihre schwarzseidene Schürze und brach in lautes Schluchzen aus, so daß das Kleine in der Wiege unruhig wurde und Frau Elsbeth alle Schlummerlieder singen mußte, um den kleinen Johannes wieder einzuschläfern.

Das Kind war schon längst wieder eingeschlafen, die kleinen Händchen, die aus dem weißen Nachthemdchen hervorsahen, vorn auf der Brust zusammengefaltet und Elsbeth sang noch immer mit leiser Stimme, als sie die Stiege unter einem festen Tritt knarren hörte, die Thüre sich öffnete und ein in einen Mantel gehüllter Mann in’s Zimmer trat. Wie Elsbeth den dunklen Schatten dieses Mannes an der Wand erblickte, glaubte sie im ersten Augenblick der Ueberraschung, es sei ihr Gatte, den der Landvogt in einer Aufwallung gnädiger Laune seiner Haft entlassen, und mit dem Ausruf: „Heinrich, Heinrich!“ flog das junge Weib ihm entgegen. Aber bleich und zum Tode erschrocken prallte sie zurück, als der Eintretende, den Mantel rasch zurückschlagend, auf sie mit den Worten zutrat:

„Es ist nicht Heinrich, mein schönes Weibchen, aber ein Mann, der Euch eben so wie Heinrich und vielleicht noch glühender liebt.“

„Um Gott, Herr Landvogt,“ stammelte, an allen Gliedern bebend und sich mit der Hand auf den Rand der Wiege ihres Kindes stützend, die junge Frau, „was begehrt Ihr noch zu so später Stunde in unserem stillen Hause?“

„Was ich begehre,“ entgegnete der Freiherr von Hagenbach, einige Schritte vorwärts tretend und mit stechenden Blicken die junge Frau, die ihn mit entsetzter Miene anstarrte, betrachtend, „was ich begehre? Bei Gott, Niemand als Dich – aber so tritt doch näher, sehe ich denn so fürchterlich und schreckhaft aus?“ Und er streckte seine Hand nach dem jungen, zitternden Weibe aus.

„Um der hochgelobten Jungfrau willen, gnädiger Herr,“ flehete, die Hände faltend und wie Espenlaub zitternd, Elsbeth, während sie sich scheu zurückbeugte, „Ihr werdet nichts Böses gegen mich im Sinne führen –“

„Böses gegen Dich im Sinne,“ lachte der Freiherr und ließ

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_146.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)