Seite:Die Gartenlaube (1857) 143.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

in ihren scharfen Physiognomien mit hohen Stirnen und hakigen Nasenlinien. Einige davon hatten außerdem den Vortheil blühender Jugend und mochten funfzehn bis sechzehn Jahre alt sein.

Als die Vorbereitungen beendigt und Alle versammelt waren, kauerte sich das Tambourin-Orchester, mit der glühenden Kohlenpfanne vor ihnen, unter die Arcade rechts vor uns, mit einem erleuchteten Raume von Zuschauern hinter sich, und ließen nun plötzlich der Hölle eigene National-Melodie los. Es war ein Donnern und Krachen, wie wenn ein schwerer Eisenbahnzug in voller Hast fortwährend durch einen Tunnel raste. Aber das Finale jeder Leistung übertraf noch den gräßlichsten Lärm, den ein durch Tunnel rasender Eisenbahnzug machen kann. Die trommelnden Hände waren gar nicht mehr zu sehen, so schnell vibrirten sie auf den Instrumenten. Der Neger benahm sich dabei wie Generaldirektor Sr. höllischen Majestät. Nachdem sie gewiß zwanzig Minuten auf diese entsetzliche Weise musicirt hatten, so daß wir ganz verwirrt und abgestumpft waren, schraken wir mit jeder Muskel und Nervenfaser auf: ein schrillender, Mark und Bein durchdringender Schrei, wie ihn wohl kaum ein civilisirtes Ohr je vernahm, platzte unter der Arcaden hervor, damit ein Junge mit allen Zeichen wüthender, dämonischer Besessenheit. Er sprang hervor in Front des nun mit doppelter Leidenschaft arbeitenden Orchesters. Der Junge drehte und schwang seinen Kopf, wie eine Kugel an einem Stricke, als ob er gar keine Knochen im Halse, keine Rückenwirbel haben könnte, so heftig, so schnell, daß man einige Minuten lang schlechterdings nicht von seinem Gesichte sehen konnte. Trommler und Darsteller schienen sich in Beschleunigung überbieten zu wollen. Solch’ eine lose und rasche Bewegung, solch’ ein Schwingen und Rollen, solch’ eine Musik in Vierundsechzigstel und Hundertundachtundzwanzigstel Takten war wirklich zum Wahnsinnigwerden, zum Verlieren alles Bewußtseins von Zeit und Raum und physikalischen Gesetzen. Mir wurde in der That ganz schwindelig, so daß ich meine Augen schließen oder abwenden mußte. Mir wurde förmlich übel, als sich diese Bewegungen des Kopfes, wie eines Balles an seinem Stricke, über den ganzen Körper ausdehnten. Der ganze Körper wurde ein wirres Gewebe von Zuckungen und Schwingungen, die Glieder flogen umher und durcheinander, wie ein verwickeltes Gewebe von Stricken, die man umherpeitscht, als ob jedes Glied nur mit dünnen Bändern an den Rumpf gebunden wäre. Manchmal sah man weder den Kopf, noch Arme und Beine, so schnell zuckten und flogen sie umher und durcheinander. Diese gymnastische Uebung setzte er fort, nein steigerte er mit immer wahnsinniger werdender Geschwindigkeit der Trommel-Tempos, eine volle Viertelstunde, bis man wie an einem in vollem Carriere dahinrollenden Wagen die Räderspeichen, eben so wenig von seinen Gliedern sah. Dann stand er plötzlich still mit rollenden Augen und weit aufschwellenden Nasenlöchern, aber nur eine halbe Minute. Plötzlich kreischte er im wildesten Geheul auf: Feuer! Feuer! Feuer! und sprang dabei wahnsinnig umher. Ein Araber trat mit einem rothglühenden Stück Eisen, das er aus dem Kohlenbecken gezogen, an ihn heran und gab es ihm. Dieser ergriff es an dem kalten Ende, hielt es dicht vor seine Augen und betrachtete es mit dem Ausdruck des wahnsinnigsten Entzückens, das von der rothen Gluth des Eisens schauderhaft beleuchtet ward.

Jetzt beleckte er die rothglühende Masse ganz bedächtig und andächtig dreimal mit der Zunge, und schlug dann mit fürchterlichem Geheul mit der flachen Hand darauf. Hierauf gab er das Eisen zurück und schrie umherrasend um mehr Nahrung, während die Tambourin Virtuosen mit Höllenlärm seine Leidenschaft, den noch nicht befriedigten, wirklichen Heißhunger musikalisch auszudrücken suchten. Der Sheikh winkte ihm lächelnd, worauf er sich niederwarf und zu diesem, auf der Erde niedergeknixt, mit Händen und Füßen, wie ein Strafe erwartender Hund, herankroch, um von einem ihm hingehaltenen großen Stück stark- und dichtstacheligen Cactus mit Freudengeheul und blutendem Munde zu fressen. Der Sheikh lächelte wohlgefällig über diesen Beweis von Hingebung und religiöser Erhabenheit, und die andern Araber starrten andachtsvoll darein. Nachdem er seinen Appetit auf eine Weise gestillt, um welche ihn jeder Disteln fressende Esel beneidet haben würde, schwieg der Trommellärm und das Geheul des Andächtigen plötzlich. Letzterer ging nun eine Zeit lang in Andacht versunken und mit niedergeschlagenen Augen im Kreise umher, als wollte er sich sammeln. Aber die Tambourins fingen wieder zu arbeiten an, erst leise, dann rasch, an Kraft und Geschwindigkeit des Taktes zunehmend. Dies lockte einen zweiten Araber hervor mit langen Haaren, der sich mit dem ersteren verband, so daß nun die Kopfschwingungen doppelt und mit sechsfacher Gräßlichkeit durch das umherfliegende Haar wiederholt wurden, dann die Verrenkungen des großen Körpers und aller Glieder, die tanzend und wirbelnd und schwingend sich bald verschlagen, bald auseinander brachen. Dann schrieen beide im religiösen Heißhunger: Feuer! Feuer! Feuer! Immer lauter: Feuer! Feuer! Immer kreischender: Feuer! Feuer! Immer gellender: Feuer! Immer wahnsinniger: Feuer! Feuer! Feuer! Es wurden zwei rothglühende Eisenstücke gebracht, und mit heulendem Entzücken bedächtig mit der Zunge beleckt. Dann kam der Schmauß vom stacheligen Cactusstamme, wie oben, aber doppelt.

Hierauf gesellte sich ein Dritter zu ihnen, der ein neues Element der Unterhaltung einführte: eine grüne Schlange mit glühenden Augen und gegabelter, zitternd herausgestreckter Zunge. Er legte sie auf den Marmorboden in gefährlicher Nachbarschaft unserer Füße, die wir deshalb möglichst unter die Bank zurückzogen. Er spielte mit ihr, drohte ihr, daß sie sich wüthend aufbäumte, dann beschwor er ihren Zorn, daß sie sich liebkosend anschmiegte und nach den schnellen Takten des Trommel Spectakels knixte und sich wiegte und schwang, dabei ihre Augen stets auf den um sie tanzenden Meister richtend. Dann kränzte er sie um seinen Hals und Arm, und tanzte und schwang seine Glieder dazu gemeinschaftlich mit den andern Beiden, wozu sich die Schlange, entzückt und augenglühend, mit umherpeitschte, und oft in die erschrecklichste Nähe unserer Gesichter kam. Gegen mich schien sie mit besonderer Gier zu züngeln, so daß ich, weder ein Schlangenbeschwörer von Profession, noch ein gläubiger Ben Aissa, eine wirkliche Gefahr fühlte, vor der ich fliehen wollte, als der Zauberer das grüne Ungeheuer loswickelte und in einen hölzernen Kasten steckte. Jetzt entstand eine Pause, in welcher wir Jeder einen Becher ausgezeichneten, aromatischen Kaffees bekamen. Während wir tranken, brüllte der zweite Künstler plötzlich im höchsten Tone und Entzücken auf, und stieß sich ein spitziges, gewundenes Eisen durch die eine Backe, so daß die eine Spitze zum Munde heraus- und die andere an der Backe herabhing. Hierauf arbeitete er ruhig eine zweite solche Decoration durch die andere Backe, so daß Symmetrie in sein bluttriefendes Gesicht kam. Unter dem Halse zog er jetzt ein Stück Fleisch und Haut zusammen, und stieß sich ein drittes Stück Eisen hindurch. Das schien für seine und der Andern Erbauung genug zu sein. So wüthete und tanzte er im tollsten Jubel einher und die Tambourins arbeiteten dazu, wie nie zuvor. Das eine überstürzte sich selbst und ward plötzlich Reihe herum jedem Einzelnen hingehalten – zum Einsammeln von Kupfermünzen. So abgestumpft von Schrecken und Ekel ich war, mußte ich doch unwillkürlich über diese epigrammatische Wendung und Klimax, dieses plötzliche Umschlagen der unnatürlichsten Erhabenheit in natürliche Lächerlichkeit wirklich lachen. Meine Kupfermünzen klatschten mit besonderer Lustigkeit auf das jetzt demüthige Instrument, das eben noch solchen Höllenlärm gemacht hatte.

Wir hatten genug. Mit einem höflichen Gruße gegen den Sheikh zogen wir uns zurück und graspten, kletterten und glitschten unsern Weg heimwärts durch todte, seltsam ruhige und unheimliche Straßen und Schlupfwinkel.

Den folgenden Morgen kam mir die ganze Festlichkeit der Feueresser wie ein böser Traum vor. Aber ich überzeugte mich bald, daß ich wirkliche Thatsachen der seltsamsten und scheußlichsten Art gesehen. Ich suchte sie mir auch zu erklären, fand aber in der menschlichen Natur durchaus keinen Zug, der dazu hätte führen können.“

Wenn wir eine Erklärung versuchen sollten, würden wir uns nicht in der physischen Natur des Menschen selbst danach umsehen, sondern in den Religionen und Cultur-Bedürfnissen der Menschheit. Alle Völker und Racen haben sich in ihren Religionen mehr oder weniger die Pflichten der Selbstverleugnung bis zur Selbstvernichtung im Dienste einer oder mehrerer höhern, idealen, geglaubten Mächte auferlegt. Der buddhistische Indier begräbt sich Jahre lang in bewegungslose, unnatürliche Stellungen, und ließ sich schon zuweilen freiwillig lebendig begraben. Die alten Babylonier opferten ihre Kinder dem Moloch. Andächtige Christen zerfleischten sich mit Geißeln, standen bis 38 Jahre lang (glaub’ ich) ununterbrochen auf einer Säule und thaten oder litten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_143.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)