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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

ziemlich vollendete, gigantische Werk sichert jetzt für ganz Unter-Egypten die doppelte Ernte. Es besteht außer den geschlossenen Dämmen aus zwei ungeheueren Schleußen-Brücken und Thoren im Kopfe des Delta (wo sich die Nilarme trennen), einer auf dem Rosetta-, der andere auf dem Damietta-Arme. Sie sind durch einen 4500 Fuß langen, gekrümmten Damm verbunden, der eine trennende Brüstung zwischen beiden Armen bildet. Die beiden Fluththore, etwa eine halbe französische Meile von einander, geben einen großartigen Anblick auf die von ihnen gefesselten Wassermassen, von welchen drei Hauptcanäle, jeder 330 Fuß weit, gespeist werden, die ihrerseits sich weit und breit immer feiner durch ganz Unter-Egypten verästeln und adernd verlieren. Der erste durchschneidet das Delta, der zweite die Provinz Alexandria und der dritte die östlichen Provinzen, die Egypten von Syrien trennen. Unsere Abbildung ist getreue Copie eines Anblickes dieser gigantischen Bauten, wie er sich im Sommer 1856 über dem Rosetta-Arme bot. Der Damm läuft hier in eine Fluthbrücke von 1500 Fuß Länge mit Bogen von 45 Fuß Spannung für Barken und andere kleinere Schiffe.

Einen erhabenen Eindruck machen die alten gigantischen Pyramiden, die so unsterblich und stumm seit vielen Jahrtausenden aus dem Sande emporstarren, aber was sind sie mit ihren vertrockneten Mumien gegen Titanen-Arbeiten, die nicht den Himmel stürmen, aber wohl die heiße, trockene Sandebene, um ihr jedes Jahr süßes Zuckerrohr, Meere von Baumwollenblüthen, kostbare Farbhölzer und blühenden Wohlstand für Millionen abzunöthigen.




Ein Reiseabenteuer am Nicaragua-See.

Die Hauptmerkwürdigkeit des großen langgestreckten Ländergebiets, das unter dem Namen Central-Amerika bekannt ist, und dessen Staaten in unsern Tagen ein Feld geworden sind, auf welchem die rivalisirende Politik Englands und der Vereinigten Staaten trotz aller bisher geschlossenen und noch zu schließenden Verträge immer auf’s Neue wieder feindlich gegeneinander stoßen muß, ist der Nicaragua-See, in allen Beziehungen eine der schönsten Wassermassen auf dem Continent. Seine Größe ist eher unter- als überschätzt worden; wahrscheinlich beträgt seine Länge 120 und seine Breite 50–60 (engl.) Meilen. An seinem südlichen Ufer liegt die alte Stadt Granada, der wichtigste Handelsplatz der Republik Nicaragua. Einige Meilen unterhalb dieser Stadt erblickt man den in den See vortretenden Vulkan Momobacho, der zu einer Höhe von fast 5000 Fuß emporsteigt. An seinem Fuße im See liegen zahllose kleine Inseln vulkanischen Ursprungs, die sich in Kegelgestalt von 20 bis 100 Fuß Höhe erheben und mit üppigem Pflanzenwuchs überdeckt sind. Einige derselben, auf denen sich fruchtbares Erdreich befindet, werden von Indianern bewohnt, deren von schlanken Palmen überragte Hütten mit einem Hintergrunde von breitblättrigen Pisangs ein Bild geben, das nicht malerischer gedacht werden kann.

Ich hatte bereits mehrere dieser Inseln besucht und schickte mich eben an, auf meinem Lagerplatz am Ufer des Sees Vorbereitungen zur Rückreise nach Granada zu treffen, als ich durch das Erscheinen zweier Reiter überrascht wurde, die, wie ich bald erfuhr, ebenfalls eine Tour in’s Land hinein unternommen hatten, um die Naturschönheiten desselben, namentlich aber die Ufer des Sees mit ihren tausend Wundern in Augenschein zu nehmen. Der Eine dieser Wanderer, ein hübscher junger Mann von gefälligen, einnehmenden Manieren, war ein Kaufmann aus Chinandega, der einer in Granada verheiratheten Schwester einen Besuch abgestattet hatte und in den nächsten Tagen nach seinem Wohnort zurückzukehren gedachte, der Andere dagegen, eine derbe, gedrungene Gestalt, stellte sich mir als ein Mechaniker vor, der von einigen Pflanzern der Umgegend den Auftrag erhalten hatte, Verbesserungen an den hier zu Lande im Allgemeinen noch ziemlich unvollkommenen Mühlen und Maschinen anzubringen, welche bei der Bereitung des Zuckers und anderer der vielen werthvollen Landesprodukte in Gebrauch sind. Beide, Nordamerikaner von Geburt, gehörten zu den Menschen, welchen man es auf den ersten Blick ansieht, daß sie das Zeug dazu haben, den Kampf des Lebens aller Orten und unter allen Verhältnissen muthig und beharrlich durchzukämpfen.

Nachdem wir die ersten Begrüßungen ausgetauscht, und einander gegenseitig Auskunft über unsere persönlichen Verhältnisse gegeben hatten, begannen meine neuen Freunde, mich über verschiedene ihnen als ganz besonders sehenswerth bezeichnete Punkte zu befragen und baten mich schließlich, dieselben in ihrer Gesellschaft zu besuchen. Obgleich ich beschlossen hatte, mich am folgenden Tage wieder nach Granada aufzumachen, ging ich doch nach einiger Ueberlegung auf ihren Wunsch ein, unterließ aber zugleich nicht, sie darauf aufmerksam zu machen, daß sie sehr unvorsichtig gehandelt hätten, indem sie sich ohne alle dienende Begleitung auf eine solche Wanderung begeben, da es dringend nothwendig sei, in diesen Gegenden stets ansehnlichen Mundvorrath mit sich zu führen; „und,“ fügte ich hinzu, „haben Sie denn auch gar nicht erwogen, daß es durchaus nicht zu den unmöglichen Dingen gehört, ganz unerwartet einigen jener Teufelskerle zu begegnen, die sich seit der Besiegung des wilden Somoza[1] noch hie und da im Lande umhertreiben?“

Beide sahen mich ein wenig verdutzt an, denn sie fühlten wohl, daß meine Rüge am Platze war, aber im nächsten Augenblick lachten sie hell auf und betheuerten, sie besäßen Muth und Ausdauer genug, um jeder kommenden Gefahr die Spitze bieten zu können.

„Vor dem Verhungern kann ich Sie schützen, meine Herren,“ sagte ich, auf die Vorräthe an Lebensmitteln deutend, die in den großen Quersäcken unter den Bäumen lagen, „und was die Kerle des Somoza betrifft, so werden wir wohl, vorausgesetzt, daß ihrer nicht zu viele uns in den Weg kommen, mit ihnen fertig werden können, da die drei Indianer, welche ich mitgenommen, und mein Diener Pedro, der, wie Sie sehen, dort unter dem großen Pisangbaume Mittagsruhe hält, alle ihren Mann auf sich zu nehmen im Stande sind.“

Während dieser Auseinandersetzung hatten die beiden Reisenden die wenigen Kleidungsstücke, welche sie in Reserve mit sich führten, und ihre Waffen abgelegt, und setzten sich nun mit mir auf einen im Grase liegenden Baumstamm, um ein wenig auszuruhen, während meine Begleitung sich der beiden Pferde der Fremden annahm, die sich auch sogleich in Frieden und Freundschaft meinem braven Renner zugesellten, der vor dem schlafenden Pedro bedächtig auf und ab schritt.

Ich stand gerade im Begriff, den Schläfer zu wecken, als er urplötzlich aufsprang, einen lauten Schrei ausstieß und sich dann mit Mienen des Entsetzens überall hin umschaute. Der arme Bursch zitterte am ganzen Leibe, und es dauerte einige Zeit, ehe er die Sprache wieder erlangte, um die Ursache seines so jähen und schreckensvollen Erwachens erklären zu können.

Mittlerweile hatte einer der Indianer, der in der Nähe gestanden, die Sache bereits aufgeklärt. Wenige Schritte von der Stelle, auf der Pedro gelegen, ringelte sich eine kleine Schlange, und wahrscheinlich war diese dem Schlafenden über das Gesicht gekrochen.

„Ja, so war es!“ seufzte Pedro mit schwacher Stimme; „aber es schien mir eins der größten dieser Ungeheuer zu sein, als ich die Augen aufschlug, und sie dahingleiten sah.“

Meine beiden neuen Freunde lachten hell auf, als sie diese Bemerkung meines Dieners vernahmen.

„Du bist ein Hasenfuß, mein Lieber!“ rief der Mechaniker ihm zu; „wer sieht doch wohl eine Maus für einen Löwen an!“

Diese Worte gaben Pedro vollends die Besinnung wieder. Schnell wie der Blitz wandte er sich gegen den muthwilligen Sprecher und sah ihn wild und zornig an.

„Hasenfuß?“ schrie er, wie außer sich, „so hat mich bis auf den heutigen Tag noch Niemand genannt! Beschimpft mich nicht, Señor, ich besitze Muth, das wird mein Gebieter Euch bestätigen!“

Ja, Du warst ein muthiger Bursch, mein armer Pedro, davon sollten wir Alle uns bald genug überzeugen! –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_134.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2022)
  1. Somoza war der wegen seiner Grausamkeit allgemein gefürchtete Chef eines Insurgentenhaufens während der letzten bürgerlichen Unruhen. Vom General Munoz geschlagen und gefangengenommen, ward er standrechtlich erschossen.