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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Neue Bauten in Egypten.

Wir haben von einer Suez-Eisenbahn gehört und den Suez-Canal bereits in der Gartenlaube[1] gesehen. Der große, älteste Culturstrom der Menschheit, der Nil, hängt damit zusammen und wird uns in den nächsten Jahren öfter Gelegenheit geben, von ihm zu sprechen, wenn er die Geheimnisse seines Hauptursprungs, seit Jahrtausenden vergebens gesucht, der großen egyptischen Expedition, die jetzt auf Befehl des Vicekönigs „unter allen Umständen“ bis an seine Quellen vordringen soll, in der afrikanischen Schweiz oben, den geheimnißvollen Mondgebirgen, mit der ewig schneebedeckten Kilimangaro-Spitze am Aequator offenbart haben wird. Aber so weit ist die Expedition noch nicht, desto weniger wir. Er gibt uns aber auch in seinem tausendmeiligen, ganz Egypten befruchtenden Laufe ohnehin genug zu thun. Es würde schon viel Zeit und Schilderungstalent kosten, die Wunder und Herrlichkeiten seiner Delta-Mündungen darzustellen, besonders seitdem die ungeheuersten Wasserbaukünste sich zwischen den Zungen derselben erheben. Auf diese wollen wir denn hier auch blos aufmerksam machen.

Sie sind ein Werk, an welches das gebildete Europa nicht glaubte, von welchem die geschicktesten Wasserbaumeister und Ingenieurs Mehemet Ali, der auf diesen gigantischen Gedanken gekommen war, abriethen, da die Ausführung unmöglich sei. Aber der alte Vicekönig, dessen uralte Vorfahren Pyramiden und Obelisken fertig gekriegt, meinte, auch die Bewältigung und Regierung der ungeheuern Nilwassermassen, die segnend und verwüstend alle Jahre sein Land überschwemmen, müsse möglich sein. Er versuchte es mit einem französischen Ingenieur und 15,000 Arbeitern und ist jetzt im Wesentlichen fertig.

Es galt die Eindämmung des Nils für Unter-Egypten, um die Ueberfülle der Ueberschwemmung auch für die Zeiten der Dürre nutzbar zu machen und die Ueberfluthungen selbst für Ackerbauzwecke zu reguliren.

Der Plan war ausgearbeitet und im Frühlinge 1847 für Ausführung in Stein reif. So legte Mehemet Ali selbst am 9. April 1847 feierlich den Grundstein inmitten der höchsten muhamedanischen Geistlichkeit und weltlicher Beamten und Gesandten, umgeben von 15,000 schwarzen und braunglänzenden Arbeitern. Der Oberpriester sprach Allahs Segen über das Werk mitten in einem Meere rothen, rauchenden, warmen Blutes, das 50 Opfer-Buffalo Ochsen zu diesem Zwecke abgezapft worden war. Das Fleisch der Opferthiere und viele andere erprobte Mittel gegen Hunger und Durst verzehrten die 15,000 schwarzen Arbeiter unter der heißen Sonne Egyptens auf großer gelber Ebene, und die Gesandten, Minister und Großen des Staates bankettirten als Gäste Mehemet Ali’s in seiner großen Palasthalle zu Kairo.

Die Nil-Eindämmungs-Bauten.

Der Boden Egyptens gewährt unter heißer Sonne und aus dem befruchtenden Segen des alten Vater Nil jährlich zwei Ernten. Das Winterhalbjahr reift Korn, anderes Getreide und Flachs, Produkte, die ihre Kraft jedes Jahr aus den September-Ueberschwemmungen des Nil ziehen. Die Sommerernte: Indigo, Zucker, Baumwolle u. s. w. gedeiht nur durch künstliche Bewässerung. Aber die künstliche Bewässerung kostet Arbeit, Geld und Bildung. Der egyptische Bauer begnügte sich daher oft mit der Winterernte und ließ den besten Ertrag seines Bodens in der Erde stecken.

Dies gefiel dem alten Vicekönig nicht, zumal da seine Steuereinnehmer den faulen Bauern erst ausklopfen und ausschütteln mußten, „was des Königs ist.“ Sie nahmen ihre Baarschaft gern in den Mund, den sie so lange fest zuhielten, bis sie unter den Hieben der Obrigkeit laut aufschrieen. Andere wurden bei den Füßen mit dem Kopfe nach unten so lange geschüttelt, bis die so umgekehrten Steuerverweigerer ihre bessere Ansicht baar ausspieen.

Mehemet Ali beschloß, für Wasser in der Zeit der Dürre zu sorgen, um den Bauern Gelegenheit zu geben, Geld daraus zu fischen, die Ueberfülle des Septembers aufzufangen, und für die Sommerernte aufzusparen. Dazu brauchte er gigantisches Dammwerk, die Verwüstung des Wassers bei der Überschwemmung ab- und für die trockne Jahreszeit zurückzuhalten, ferner Canäle, um die aufgefangenen Gewässer über das Land hin zu leiten. Das

  1. Siehe Gartenlaube, Jahrgang 1856. Nr. 8.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_133.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)