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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

II.

Unweit Breisachs lag zu jener Zeit, in der noch nicht die Axt, wie jetzt, die Wälder gelichtet und ihren Boden zu Ackerland verwandelt, eine große Waldung, der St. Martin’s-Wald genannt, der sich nach Westen bis an das Ufer des Rheins erstreckte, während er im Osten durch eine weite mit bräunlichen Farrnkräutern bedeckte Heide begrenzt wurde. Es war Abends in der achten Stunde und der Mond warf schon seinen silbernen bleichen Glanz auf die Haide, als ein Mann in raschem, fast wildem Laufe über die Haide nach dem Saume jener Waldung zueilte. Zuweilen warf er, immer dabei laufend, einen spähenden Blick hinter sich, wie Einer der sich verfolgt glaubt und die Entfernung zwischen sich und seinen Verfolgern berechnen will, und einmal hielt er sogar im Laufe an, und legte sich, das Ohr lauschend an den Boden drückend, platt auf die Erde nieder; aber seine Befürchtung schien eine vergebliche gewesen zu sein, denn als er sich wieder aufrichtete, flog ein zufriedenes Lächeln über sein offenes, männliches Gesicht und er sprach, sich den Schweiß von der Stirn trocknend:

„Die burgundischen Spürnasen waren mir scharf auf der Fährte, aber eher soll eine Taube einen Sperber oder ein Hase einen Hund fangen, als sie den Friedrich Vögelin – Aber heda! was ist das?“ Und der Waffenschmied – denn er war der Mann – betrachtete seine Hand, die, als er sie von der Stirn zurückzog, mit Blut gefärbt war. „Blut, Blut,“ sprach er, die blutige Hand betrachtend, „so hat mich doch Einer von den Schurken getroffen. Ja, ja, die blauen Bohnen sausten mir hart am Kopfe vorbei und da mag mich wohl eine etwas geschunden haben. Indessen,“ setzte er mit trockenem Humor zu, „lieber geschunden, als gebunden.“ Er wischte hierauf die blutige Hand an einem Büschel abgerissener Farrnkräuter ab und eilte dann weiter auf den Martinswald zu, dessen Saum er bald erreichte. „Nun mögen sie suchen,“ sprach der Waffenschmied, „und wenn es ihrer soviel sind, als es im Martinswald zur Herbstzeit Buchnüsse gibt, sie sollen mich nicht finden. Wie der Fuchs in seinem Bau, kenne ich hier jeden Weg und Steg.“ Und er drang immer tiefer in den Wald ein, nach der Seite zu, wo dieser vom Rhein begrenzt wurde, mit den Armen die Aeste der jungen Tannen- und Fichtenbäume und das Gezweige der Haselnußbüsche auseinander theilend. Nachdem er auf diese Weise eine Stunde lang vorwärts gegangen war, kam er auf eine kleine Waldwiese, wo er einen Augenblick stehen blieb, um die Gestirne zu betrachten und daran zu erkennen, wie viel es an der Zeit wäre.

Wie er so ruhig dastand, traf ein Geräusch, wie das eines in der Ferne dahinrauschenden Wassers, sein Ohr.

„Das ist der Rhein,“ sprach er für sich, „vorwärts, nun bin ich bald an Ort und Stelle; und es ist Zeit, daß ich komme, ste werden schon Alle da sein.“

Und mit neuer, frischer Hast drang er in das Dickicht ein. Je weiter er vorwärts schritt, desto deutlicher hörte er das dumpfe Rauschen der Wasserfluten und von der Gegend her, wo das Ufer des Stromes war, glänzte ihm durch die dunkle, grüne Waldesnacht ein röthlicher Schein entgegen. Allmälig wurde der Lichtschein immer heller und als der Waffenschmied vielleicht noch fünfzig Schritt vom Stromufer entfernt war, konnte er eine Gruppe von vielleicht zehn Männern unterscheiden, die in lebhaftem Gespräch auf einem etwas erhöhten von Buschwerk und Tannen umgebenen Platz standen, und von denen einige brennende Kienfackeln in den Händen hielten. Da ihm aber die Meisten den Rücken zugewendet hatten und das röthliche, vom Wind bewegte, hin und her flackernde Licht der Kienfackeln, sowie der von dem harzigen, brennenden Holz aufsteigende Qualm die Züge der Andern nicht genau unterscheiden ließ, so blieb er stehen, um ganz sicher zu sein, daß jene Männer die von ihm Gesuchten wären, und ließ jenen eigenthümlichen knarrenden Ton, der dem Spechte eigen ist, erschallen. Ein scharfer Schrei, gleich dem eines Falken, antwortete ihm und die ganze Gruppe gerieth in eine lebhafte Bewegung. Auf dieses Erkennungszeichen hin trat der Waffenschmied rasch an die Männer heran, die ihn mit herzlichem Gruß und Handschlag bewillkommten. Es waren lauter schlichte Bürgersleute aus den umliegenden Ortschaften, die hier im Walde zu abendlicher Stunde zusammengekommen waren, einfache Innungsmeister und Kaufleute aus den verpfändeten Vorlanden, die das harte, tyrannische Regiment des Statthalters von Hagenbach nicht mehr zu ertragen Willens und deshalb entschlossen waren, es zu brechen auf diese oder jene Weise und, wenn es nöthig, selbst mit Wehr und Waffen und auf die Gefahr des eigenen Lebens hin. Nur ein Einziger unter ihnen war ein Eidgenosse, ein Bürger aus Bern, dem durch des Hagenbach’s Freunde und Rathgeber, die Barone Bilgeri von Hewdorf und Konrad von Eptingen, der Bruder, wie er mit anderen Kaufleuten von Bern nach Frankfurt am Main zur Messe zog, überfallen und erschlagen worden war. Den erschlagenen Bruder zu rächen an den übermüthigen Baronen, war er mit eingetreten in den Verein der Männer, die sich zusammengethan bei des Landes Noth, um dem Elend, unter welchem es seufzte, ein Ende zu machen. Er war es auch, der zuerst das Wort ergriff.

„Was für eine Botschaft bringt Ihr, Meister,“ frug er den Waffenschmied, „gute oder böse?“

„Wie Ihr’s nehmt, schlimme und gute, Herr. Der Landvogt ist übermüthiger und Bürger und Bauersmann aufgebrachter als je.“

Und er erzählte Ihnen des Landvogts Gewaltthat, die er an dem heutigen Tage wieder zu Breisach an seinem Bruder verübt.

„Und Ihr ließet den Bruder vor Euren Augen gefangen fortführen?“ frug der Berner fast mit einem gewissen Vorwurf im Ton.

„Ja, ich that es, Herr,“ entgegnete der Waffenschmied, „aber Ihr könnt es mir wohl glauben, es geschah nicht aus bleicher, hasenherziger Furcht und Feigheit, sondern weil mich die Frauen, die Kinder und die Greise jammerten, die ringsherum standen, die wehrlosen Männer, die kaum eine Axt oder einen Spaten als Waffe hatten und die, hätte ich den Landvogt vom Pferd heruntergerissen und ihm den Schädel eingeschlagen, von den Hufen seiner burgundischen Reiter zertreten worden wären. Blutschuld wäre auf die Stadt gefallen und durch’s ganze Land hätten die Adligen Zeter über den Mord geschrien. Er wird fallen, der Landvogt, und noch ehe zwei Monden vergehen, aber durch Henkers Hand.“

„Ihr vergeßt das Sprüchwort, Meister, das bei den Leuten da im Reich gäng und gebe: die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn. Ehe wir den Vogt richten können, müssen wir ihn haben.“

„Darüber zu rathen, sendete ich in vergangener Wochen den vertrauten Boten an Euch, werthe Herren,“ antwortete der Waffenschmied, „denn die Saat, die der Landvogt gesäet, ist aufgegegangen und gereift und harret der Sichel.“ Die Männer blickten ihn erwartungsvoll an und er fuhr fort: „Gleich nach meines Bruders Gefangennehmung eilte ich von dem Bau an den Gräben hinaus auf’s Land, um unsern Freunden das Zeichen zu geben, daß sie beim ersten Lärmen zur Stadt eilen sollen. Die burgundischen Reiter, die der Vogt, seitdem unser alter Herr, der Erzherzog, und die Eidgenossenschaft rüstet, das Land durchstreifen läßt, waren mir dabei hart auf den Fersen. Zum Glück war, als sie auf mich stießen, der Abend schon hereingebrochen, so daß mich keiner von ihnen erkannt hat, wenn sie mir auch einen Denkzettel angehängt haben.“ Und er deutete auf den Streifschuß an der Stirn –

Darauf traten die Männer dichter zusammen und beriethen, wie sie Land und Leute frei machen könnten von dem Dränger, dem Landvogt, und der burgundischen Herrschaft überhaupt. Und als sie darüber einig geworden, streckten sie die Hände empor zum Himmel mit fernen flimmernden Sternen und gelobten einander mit einem theuren, heiligen Eide, wie es einst in jener Herbstnacht des Jahres 1307 die drei Männer Fürst, Melchthal und Stauffacher auf dem Rütli gethan: die alten Freiheiten, die sie unter dem Erzherzog besessen, wieder zu erobern, den tyrannischen Landvogt und die harte burgundische Herrschaft zu vertreiben, einander bei Gericht und Recht zu schirmen und daran Leib und Leben zu setzen –

Der Berner aber sprach dazu das Amen in Gottes Namen, und versicherte den Männern aus den Vorlanden, daß ihnen der Eidgenossen Hülfe nicht fehlen würde, wenn es zum Aeußersten käme. Hierauf trennten sie sich, nachdem sie verabredet, daß das heilige Osterfest auch der Tag ihrer Auferstehung aus den Banden der Knechtschaft sein solle. –

(Schluß folgt.)



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