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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

die Russen u. s. w., aber sie kommen gegen das englische Gepräge nicht auf. Englisch sind die Bademaschinen auf dem sonnigen Gestade, englisch die Kaufläden und Waarenlager, englisch die Apotheken und Restaurationen, englisch die Italiener-Waarenläden, die Klubs, die Doktors, die Juristen, die Agenten, die Diener und Dienstmädchen. Alles hat einen englischen Schnitt bis auf die Kinderhemdchen und Schnürleiber in den Schaufenstern. Der Engländer ist inwendig und zu Hause sehr gemüthlich, wie es heißt, aber er wohnt auch hier dreifach hinter Schloß und Riegel und ist immer zugleich nach allen Richtungen der Windrose exklusiv, so daß diese Engländer für uns andern Leute schlechterdings gar nicht da sind.

Von dem herrlichen Piemont, von der ganzen merkwürdigen „Einsiedelei des Liberalismus,“ wie hier eine Zeitung Sardinien nannte, von dem Leben und Streben der Nation, von den politischen Krisen in der Hauptstadt Turin, ja von Italienern bekommt man hier wenig oder gar nichts zu sehen und zu hören. Ich würde Ihnen also außer von einem Ausfluge nach Genua nichts Erlebtes mittheilen können, ohne Sie zu langweilen, wenn mich nicht ein liebenswürdiger junger Italiener, dessen flüchtige Bekanntschaft ich auf dem Wege gemacht, in’s Leben und in eine italienische Familie eingeführt hätte.

Als ich nämlich in der weichsten, heitersten Seeluft der „englischen Promenade“ („Promenade des anglais,“ wie sie hier allgemein genannt wird) umher schlenderte, begegnete mir der junge Herr mit einem alten Einarmigen, seinem Onkel, der als Oberst im Kriege gegen die Oesterreichs 1849 Invalide geworden war und sich unweit Nizza ein Gut gekauft hatte. Ich sah den Alten zum ersten, den Jungen zum zweiten Male, gleichwohl bekam ich von Beiden eine ganz ehrlich und herzlich gemeinte Einladung, der zu folgen ich durchaus keinen Anstand nahm.

Wohl Jeder hat von der Corniche-Straße – Riviera di Ponente – gehört, die Genua am Gestade des Meeres hin über und durch Felsen und Schluchten mit Nizza verbindet. Der Theil, welcher nach Latte, wo sich der Einarmige angekauft hatte, von Nizza aus führt, ist vielleicht der schönste und malerischste der berühmten Straße. Zuerst windet sich der Weg allmälig in die Höhe durch Wälder und Parke von Oliven, Cherubias, Cypressen und Orangen, die bald landeinwärts unbeschreiblich großartige Aussichten über Wiesen, Weiden, Dörfer und Städte und ansteigende, wilde, in reichsten Farbentinten abgestufte Gebirgslager, bald rechts auf den in’s Unendliche hinflimmernden Spiegel des Meeres eröffnen und einrahmen. Eine plötzliche Wendung führt dicht an die Kante der Felsen, die theils schnurgerade in’s Meer hinabsteigen, theils über dasselbe hinaushängen, da sich unten „der Tropfen, welcher Steine aushöhlt,“ geltend gemacht. An manchen Stellen übersieht man endlose Stufen von Hochlanden mit Meeresbuchten dazwischen, von Städten, die wie Nester an große Felsen angeklebt sind oder hervorragende freie Kämme von Berghäuptern bilden. Unten ruhte das Meer in glänzender Majestät wie ein endloser Spiegel für die dunst- und wolkenlose Schönheit des Himmels.

Hinter Turbia, einem durchweg aus alten römischen Ruinen gebauten Dorfe, senkte sich die Straße allmälig wieder und schlängelt sich hoch am Meere hin vor dem merkwürdigen Fürstenthume Monaco vorbei, dem kleinsten Staate auf Erden, dessen Hauptstadt gleiches Namens unter uns lag, als wäre sie eine der stolzesten Städte und grimmigsten Festungen. Sie streckt nicht nur viele Thürme empor, sondern sieht mit ihren Zickzackfestungswerken auch aus, als wollte sie die Souveränität ihres Staates gegen alle Großmächte der Erde vertheidigen. Der Weg zu ihr führt durch manche enge Windungen hinab. Der rauhe Felsenvorsprung, auf dem sie ruht, legt vom Lande her starke schützende Arme um sie, und bildet eine der lieblichsten Meeresbuchten. Noch abenteuerlicher liegt die zweite Hauptstadt dieses Liliputstaates, Roccabruna, nämlich auf dem ziemlich steil abfallenden Dache eines Felsen. Man begreift nicht, wie Leute überhaupt dort hinklettern konnten und wie sie es anfangen, um sich zu halten, daß sie nicht in’s Meer hinabrutschen. Mein Fuhrmann erzählte mir, daß die ganze Stadt vor etwa hundert Jahren ein paar hundert Fuß herabgerutscht sei, ohne irgend ein Gebäude zu beschädigen.

Durch Alleen und Haine von Rhododendron und Oleandern, durch Wälder von Feigenbäumen, deren dunkeles Grün feierlich kontrastirte zu den lachenden Kleidern der Olivenhaine, kamen wir nach Mentone, der dritten und letzten Stadt in dem Staate Florestan’s, Fürsten von Monaco und Herzogs von Valentinois, der die schweren Geldmassen, die er seinen Unterthanen abtrieb, leichtsinnig in Paris verschwelgte. Das Meiste schüttelte er ihnen mit dem Mehlbeutel seiner Windmühlen aus. Er war nämlich der einzige Müller seines Reiches, deren etwa 5000 Bewohner gesetzlich gezwungen waren, alle bei ihm mahlen zu lassen. Außerdem gehörten ihm auch alle Bäckereien, so daß er als sorgsamer, zärtlicher Landesvater für alle seine Unterthanen Brot buk, das schlechteste, berüchtigste Brot in ganz Italien. So weit ich meinem entsetzlich zwischen Französisch und Italienisch plaudernden Fuhrmann verstand, war der junge Beherrscher des Reiches unlängst mit einer feindlichen Armee von sechs Mann in den Thoren seiner Hauptstadt erschienen, um sich als Souverän zu proklamiren, der noch mehr Geld brauche, worauf ihn seine treuen Unterthanen mit Hülfe österreichischer Schutztruppen arretirt und wieder nach Paris geschickt hätten. – Die Schutztruppcn sollten hauptsächlich dazu dienen, den Plan des Landesvaters, sein Land an Nordamerika gegen eine hübsche Summe auf einmal zu verkaufen, nöthigenfalls mit Gewalt zu vereiteln. Der König von Sardinien hat sich mehrmals als Kauflustiger gemeldet, aber ihm gönnte er den schönen Keil seines Landes, der bei Nizza anfängt und bei Specia aufhört, durchaus nicht. Er möchte dem vom Lande durch Berge und vom Meere her durch freiheitliebendes Seewasser geschützten „Einsiedler konstitutioneller Freiheit“ den Keil eines fremden, mächtigen Staates in’s Herz stoßen.

Hinter Mentone wurde die Straße zuweilen wahrhaft erhaben. Düstere schauerliche Hohlwege zwischen grimmigen Felsen, welche das Meer einst im Zorne wie mit einer Riesenaxt gespalten zu haben scheint, unzuverlässige, liederliche Brücken über diese Klüfte und Spalten hin, lachende Pflanzen-, düstere Baumgruppen dazwischen geklemmt, belebt von malerischen Wanderern und Eselrittern (auch von zwei Pilgrimmen nach Rom aus Spanien, deren Geschichte mich hier zu lange ablenken würde) – kurz eine Naturmalerei, wie sie kein Achenbach, kein Calame künstlich auf die Leinwand hindichten könnte, ohne der Unnatur und Unwahrscheinlichkeit bezüchtigt zu werden.

Um eine Felsenecke herum eröffnete sich ein lachendes Thal mit einer alten Domaine zwischen Bäumen versteckt, die Besitzung des alten Soldaten. Ein Bauer wartete auf uns mit einem Maulesel, dem mein bescheidenes Gepäck aufgeladen ward. Durch Weinpflanzungen, Oliven- und Obstgärten näherten wir uns einem alten Thore, das noch Spuren ehemaliger Ornamente von Trophäen und Waffen trug. Innerhalb desselben wurden wir zunächst von einem großen Hunde empfangen, der seine beiden Vorderpfoten auf die Schultern des Bauern legte und ihm mit großer Herzlichkeit im ganzen Gesichte herumleckte. Dann kam der junge Herr und der alte Herr und dessen Schwester unter einem Hute, der ganz die Gestalt der chinesischen hatte, wie man sie auf Originaltheekisten abgebildet sieht, und halb in deren Kleidern versteckt die kleine briccona, die so wunderlieblich scheu und neugierig aus ihren mandelkernförmigen Augen, den sanften, langen Augen der Provence, auf mich blickte; dann kamen auch die Kühe und die Hühner und die lustig umherschießenden ganz kleinen, runden Hühner und Kinder, und ein langer Weg zwischen weißen Säulen mit Rosen und Wein umschlungen, und ein großer grüner Platz mit Palmen, Oleandern und Citronenbaumgrotten und in der Mitte desselben ein prächtiger Palast mit einer großen Doppeltreppe außen, die vom Porticus aus auf eine breite Plattform und von da in ein Vestibula mit großen Glasthüren führte. Durch letztere ward ich in die Sola, die Prachthalle, in das Besuchzimmer geführt, das auf der andern Seite durch eben so prächtige Glasthüren auf einen Balkon hinauslief, der über das Meer hinaushängend eine Aussicht bot, die ich nie vergessen werde. Das ruhige, sonnige, leuchtende Meer mit drei kleinen grünen Hochlanden, jedes mit der schimmernden Blüthe einer Stadt, im Hintergrunde duftende Grotten von Palmen und allerlei Blumen und Blüthen – alle Schönheit der Riviera in einem einzigen Bilde.

Als ich zu Tische eingeladen ward, entschuldigte sich die Herrin des Hauses, des Obersten Schwester, wegen ihrer einfachen Kost, die sonst nicht Mode sei. Der Oberst habe die verfallene ländliche Besitzung zu Ehren einer verfallenen, verwandten Adelsfamilie gekauft, und man müsse sich hier schon einfach einrichten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_106.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)