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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Sie kennen das Gerücht, das die Medisance unserer Residenz über mich in Umlauf gesetzt hat.“

„Leider kenne ich es, und muß es fast täglich hören. Ich lächele darüber, und die Sache ist gut.“

„Sie lächeln darüber, meine liebe Henriette, aber Albert nimmt es sehr ernst.“

„Dann verdient er nicht, von Ihnen geliebt zu werden!“ rief eifrig die junge Frau.

„Die Eifersucht plagt ihn!“

„Gleichviel; wenn er von wahrer Liebe beseelt ist, muß er Ihnen aufs Wort glauben. Ich will annehmen, man verleumdete mich bei meinem Manne – er würde den schön ansehen, der es wagte, meine Ehre zu verunglimpfen.“

„Ach, Henriette,“ sagte Cäcilie seufzend, „kann man einem Liebhaber das Mißtrauen verargen, wenn das verleumderische Gerücht so viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, als in dem mich betreffenden Falle? Legen Sie die Hand auf das Herz und antworten Sie mir!“ fügte sie feierlich hinzu.

„Fragen Sie!“ rief Henriette, indem sie ihre kleine Hand auf das Herz legte.

„Denken Sie sich, wir säßen plaudernd auf diesem Sopha.“

„Wie jetzt; gut, dazu gehört aber keine starke Einbildungskraft.“

„Ich hätte Ihnen mit einem feierlichen Eide geschworen: meine Ehre ist unverletzt, man verleumdet mich unschuldig, ich habe, ehe ich Albert kennen lernte, nie geliebt –“

„Wozu diese Umschweife, liebe Cäcilie?“ unterbrach sie lachend die Freundin. „Würde ich mich an Ihrer Seite gezeigt haben, wenn ich nicht die Ueberzeugung hätte, daß Sie der Neid verleumdet? Verlieren Sie kein Wort mehr über diesen Gegenstand!“

„Jetzt kommt der Hauptpunkt, liebe Freundin. Was würden Sie sagen, wenn unser Geplauder durch die Ankunft eines Mannes unterbrochen würde, der sich, in einen Mantel gehüllt, durch den Garten schliche, und wenn dieser Mann der Fürst wäre? Nun, antworten Sie mir mit der Hand auf dem Herzen.“

Henriette starrte die reizende Cäcilie unschlüssig an.

„Der Fürst selbst?“ fragte sie nach einer Pause.

„Der Fürst, den Sie kennen.“

„Dieser Fall kann und wird nicht eintreten. Der Fürst ist ein braver Mann, der durch einen solchen Schritt Sie nicht kompromittiren wird.“

„Aber nehmen wir an, Henriette, daß ein solcher Besuch wirklich stattfände, und daß Sie sich mit Ihren eigenen Augen davon überzeugten. Wie würden Sie über mich urtheilen?“

„Ich würde zunächst mein Urtheil über den Fürsten ändern und dann erwarten, daß Sie ihn dringend bitten, er möge seinen Besuch nie wiederholen.“

„Wenn mir dies nun unmöglich wäre? Wenn ich aus gewichtigen Rücksichten – –“

„Es gibt keine Rücksicht, der Sie Ihre Ehre opfern könnten. Ich an Ihrer Stelle würde im äußersten Falle den Wohnort verändern, um den Leuten zu zeigen, wie ich mit dem Fürsten stehe.“

„Henriette,“ fuhr Cäcilie beharrlich fort, „wenn mir aber auch dies nicht möglich wäre? Wenn meine Existenz davon abhinge, daß ich hier bliebe? Wenn ich trotz dieses kompromittirenden Anscheines Ihnen schwöre – –“

„Schwören Sie nicht, Cäcilie!“ rief die junge Frau, indem sie beide Hände der Freundin ergriff. „Schwören Sie nicht, ich würde Ihnen glauben, aber Sie auch bedauern.“

Cäcilie schüttelte lächelnd ihr liebliches Köpfchen.

„Bedauern Sie mich nicht, liebe Freundin, denn meine Lage ist durchaus nicht so schlimm. Aber ich würde sie unerträglich finden, wenn mir Ihre Freundschaft und Albert’s Liebe geraubt würden. Henriette, mich umgibt ein Geheimniß, es ist wahr; gehörte dieses Geheimniß mir allein an, ich würde nicht einen Augenblick zögern, Sie zur Mitwisserin desselben zu machen, denn die Mittheilung würde mein Herz erleichtern, das durch Albert’s Mißtrauen sehr bekümmert ist.“

„Das Mißtrauen eines Liebhabers ist noch nicht so kränkend, als das eines Ehemannes.“

„Sprechen Sie aus Erfahrung, Henriette?“

„Vielleicht wird sich mir die Erfahrung bald aufdrängen.“

„O, wie bedauere ich Sie!“

„Hören Sie mich an, liebe Freundin, und rathen Sie mir, was ich in dem Falle, daß meine Befürchtungen eintreffen, beginnen soll. Sie haben den neuen Kammerpräsidenten auf dem Balle gesehen?“

„Ja; ich habe auch gesehen, daß seine glühenden Blicke Sie überall verfolgten.“

„Der Mann ist mir verhaßt, und deshalb vermied ich, von dem Balle zu sprechen.“

„Wie kann der Präsident Befürchtungen in Ihnen erwecken?“

„Urtheilen Sie: ehe ich Bergt in K. kennen lernte, lebte ich mit meiner Mutter, die eine kleine Pension bezog, still und abgeschieden von der Welt. Mein seliger Vater hatte mir eine fast glänzende Erziehung geben lassen, hatte mich in Zirkel eingeführt, in denen ich die sogenannte bessere Gesellschaft kennen lernte; wir statteten Besuche ab, und empfingen mitunter Besuche in unserem Hause. Zu den Freunden meines Vaters gehörte auch der damalige Regierungsrath von Seldorf, der, wie man erzählte, sich von seiner Frau hatte scheiden lassen, angeblich, weil er mit ihr eine unglückliche Ehe führte. Mein Vater hielt den Regierungsrath für einen aufrichtigen Freund, und so konnte es nicht auffallen, daß er mehr als jeder Andere bei uns erschien. Mich würdigte er seiner besondern Aufmerksamkeit, und so oft es mit Anstand geschehen konnte, so oft näherte er sich mir. Ach, Cäcilie, die Freundlichkeit dieses Mannes war mir fürchterlich; ein kalter Schauder durchrieselte meinen Körper, wenn er meine Hand ergriff, und sie an seine Lippen zog. Aus Rücksicht für meinen Vater, und weil es die Artigkeit erforderte, mußte ich diese Berührungen dulden. Da wurde mein Vater plötzlich krank.

„Während sich andere Freunde aus Furcht vor dem Nervenfieber zurückzogen, stattete Seldorf unermüdlich seine Krankenbesuche ab, die er oft bis in die Nacht ausdehnte. Ich kannte den Grund dieser besondern Aufmerksamkeiten, aber ich durfte ihn nicht aussprechen, um dem Kranken die Aufregung zu ersparen, der den Regierungsrath für seinen aufrichtigsten Freund hielt. Wenig Stunden vor seinem Tode ließ mein Vater die Mutter und mich an das Bett kommen; er sprach davon, daß er sein Ende nahen fühle, daß er kein Vermögen hinterlasse, daß Seldorf sich um mich beworben habe, und daß ich ihm, aus Rücksicht für seine Freundschaft und für die Zukunft der kränklichen Mutter meine Hand reichen möge – er verlasse getröstet diese Welt, wenn er wisse, daß unser Loos an das eines befähigten und wackern Mannes geknüpft sei. Thränen raubten mir die Sprache, ich konnte dem Sterbenden nicht antworten. Aber auch ihm blieb keine Zeit, ein Versprechen von mir zu fordern, denn der Kampf begann, der eine Stunde später mit dem Tode endigte. Mein armer Vater hatte wahr gesprochen, meiner Mutter blieb nichts, als eine geringe Wittwenpension. Wir mietheten uns eine kleine Wohnung, und richteten uns sehr bescheiden ein. Das Geld, das wir aus dem Verkaufe der Möbel lösten, reichte kaum hin, um einige Schulden meines verstorbenen Vaters zu bezahlen. Kurze Zeit nach dem Begräbnisse erschien Seldorf. Bestürzt sah er sich in unserm armseligen Stübcken um. Seine Tröstungen schlossen mit der Bewerbung um meine Hand und mit der Versicherung, daß er den Willen und die Kraft habe, uns ein glückliches Loos zu bereiten.

„Hätte ich Millionen durch seine Hand erhalten können, ich würde sie nicht angenommen haben. Ein seltsames Grauen befiel mich, wenn ich den Regierungsrath sah, mir war, als ob dieser Mann einen gefährlichen Einfluß auf mein Leben ausüben müsse. Um diese Zeit lernte ich Bergt kennen und lieben, der eine verheirathete Schwester in K. besuchte. Wir setzten die persönlich begonnene Bekanntschaft durch einen regen Briefwechsel fort. Seldorf, der keine Ahnung von meiner Liebe hatte, ließ in seinen Bemühungen nicht nach, und als ich ihm eine entscheidende Antwort gab, sprach er die Drohung aus, daß meine Mutter durch seinen Einfluß die Pension verlieren würde, denn er habe bis jetzt ein Vergehen meines verstorbenen Vaters verschwiegen, das ihn sehr strafbar mache. Ich übergehe die Scene, die nach dieser Erklärung stattfand, und theile nur mit, daß Seldorf Versprechungen und Drohungen anwandte, daß er kein Mittel unversucht ließ, mich einzuschüchtern oder zu rühren; er sprach sogar davon, sich eine Kugel durch den Kopf jagen zu wollen.“

„Der Mensch muß bis zum Wahnsinn verliebt gewesen sein!“ rief Cäcilie.

„Aus seinem Benehmen läßt sich allerdings der Schluß ziehen. Der Herr Regierungsrath jagte sich nun zwar keine Kugel durch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_091.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2019)