Seite:Die Gartenlaube (1857) 066.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

trugen. Am Ende dieser Pfeifen liegen Netze auf dem Grunde, die mit einem einzigen Ruck über die Exemplare, welche sich von der „Lockente“ zu dem Tode des Verraths ködern ließen, gezogen und dann wieder unter Wasser gebracht werden, wo der listige Fänger sie lautlos erwürgt, so daß nicht einmal ihr Angstgeschrei die andern warnen kann. Wie aber werden die wilden, scheuen, ungemein scharf besinnten und mißtrauischen Thiere in diese Kanäle des Verraths geködert? Das ist die merkwürdigste List, die mir je vorgekommen: mit einem Judas, einem gewerbsmäßigen, einstudirten Judas unter ihnen, und einem seltsamen Exemplare von Hunde, dessen Erziehung, wie so häufig unter Menschen, blos in künstlicher Verblödsinnigung bestand. Man läßt ihn erst zu Hause zwischen Oeffnungen nach durchgeworfenem Brote springen und dabei auf stummen Wink gehorchen. Außerdem wird er künstlich stumm gemacht und jeder leiseste Laut, den er von sich gibt, so lange bestraft, bis er niemals mehr muckst. Auch bekommt er keinen Namen und muß ausschließlich auf Winke gehorchen lernen. Ist diese Erziehung des Hundes vollendet, wird er examinirt und angestellt, um ihn mit der „Lockente“ um die Wette unbewußt zum Morde zu führen.

Die Lockente (decoy-duck) wird aus jungen zahmen Enten vom Eie weg gewählt, insofern ihr Gefieder dem der wilden Ente entspricht. Nur die eine Person, welche sie einst gebrauchen will, füttert sie ausschließlich, wobei ihr jedesmal ein bestimmter Passus von Tönen ganz leise vorgepfiffen wird. Auch bekommt die zum professionellen Verrath erzogene Ente während des ganzes Jahres ihrer einsamen Schule keinen andern Menschen zu sehen. Versteht sie das leise Gepfeife, den Schritt, die „Witterung“ ihres Erziehers und frißt sie ihm aus der Hand, wird sie angestellt. Decoy-man, decoy-duck und decoy-dog, Lockmann, Lockente und Lockhund, das ist das ganze Künstlerpersonal, welche die Enten „wirken“, um den professionellen Ausdruck für das Locken derselben in die Todeskanäle wörtlich wiederzugeben.

Die wilden Enten verlassen ihre Tagesresidenz auf dem Lockteiche jeden Abend in der Dämmerung, um während der Nacht in den benachbarten Mooren Frösche und dergleichen wohlschmeckendes Gethier unglücklich zu machen und sich zu laben, kehren mit Tagesanbruch gesättigt zurück und schlafen bis Mittag und amüsiren sich dann wieder bis gegen Abend. Gleich nach dem Erwachen waschen und putzen sie ihr Gefieder und ordnen es mit der größten Koketterie. Dann vertheilen sie sich in Gruppen und schwatzen und lachen mit einander aus verschiedenen Entfernungen. Im Frühjahre gibt’s viel Liebesangelegenheiten für’s Leben zu ordnen, wobei viel duellirt wird, da die wilden Enten die unter zahmen anerkannte Institution der Polygamie durchaus nicht dulden, so daß Nebenbuhler energisch und für immer abgewiesen werden müssen. Dabei gibt’s unter den jungen Enterichen, wie Enten, manche Koketten und Courmacher, worüber es viel zu klatschen gibt, mit den Flügeln, wie mit den skandalsüchtigen Breitschnäbeln. Aeltere, gesetzte, verheirathete Herren und Damen setzen sich während solcher Liebes- und Ritterkämpfe der Jugend auf dem Wasser gern ruhig an den Ufern, die unmittelbar am Rande von Schilf und sonstigem Wuchs frei gehalten werden, zur Sonnung und ruhiger Unterhaltung, zum Zusehen und zur Kritik. Alles benimmt sich ganz ungenirt, wie in den fernen Wildnissen von Bothnia u. s. w., wo manche von ihnen gelegt und ausgebrütet wurden.

Sie ahnen nicht, daß gierige Menschenaugen durch künstlich in die Schilfmauern gebogene Oeffnungen jede ihrer Bewegungen studiren. Der Lockmann fängt unter gewöhnlichen, nicht durch Wetter u. s. w. gestörten Verhältnissen etwa um 2 Uhr sein listiges, dem Gewetze des Schilfs abgelauschtes, leises Pfeifen an, das die Lockente für Einladung zu Tische nimmt. Von ihr hängt jetzt Alles ab. Ist sie sehr hungrig, so macht sie durch ungestümes Klatschen und Flattern nach der für sie bestreuten Speiseröhre (der „Pfeife,“ nach welcher ihr gepfiffen wird) die wilden Collegen stutzig und mißtrauisch. Hat sie die Nacht über gut geschmaust, folgt sie der Einladung entweder gar nicht oder nachlässig. In beiden Fällen verfehlt sie, Nachfolger hinter sich herzulocken. Sie muß mit einer gewissen vornehmen, leidenschaftlosen Zutischegehmiene den Locktönen ihres Meisters folgen, wenn ihr ein guter Theil der wilden Gesellschaft folgen soll. Sobald nur einige, geführt von der Lockente, in einer bestimmten Richtung schwimmen, denken andere am Ufer: da muß was los sein, wollen doch sehen! und schließen sich neugierig dem Zuge an bis zur Oeffnung der „Pfeife,“ wo die Lockente, der hier nun bald Leckerbissen hereingestreut werden, zurückbleibt, während die andern „auf den Hund“ kommen. Der Lockmann wirft jetzt weiter nach innen der Pfeife ein Stück Brot durch eine Oeffnung der innersten Schilfmauer, welches sich der Hund holt und zurückspringt. Die Enten mußten ihn dabei sehen und schwimmen neugierig nach dem Orte, wo ihnen das merkwürdige Phänomen erschien und verschwand. Inzwischen schleichen Mann und Hund nach der nächsten Oeffnung, durch welche den Enten dieselbe flüchtige Hundeerscheinung auffällt, so daß sie ihre Forschungen auch auf diesen Punkt ausdehnen. So geht es fort, bis sie eingeengt und umnetzt, gepackt, gewürgt und den Epikuräern der englischen Standes- und Geldaristokratie zugeschickt werden.

Die „Strippen,“ an welchen die beiden Hülfsverräther geleitet werden, sind sehr einfach. Hund und Ente gehen nach Brot. Ihre ganze Dressur besteht darin, daß sie in dieser bestimmten Weise ihr Brot zu suchen gewöhnt wurden. Von der teufelischen Lust, mit welcher die Lockente ihre Mitbürger in die Falle des Verraths führen soll, wie mehrere englische Dichter gesungen haben, weiß der Lockmann nichts, wohl aber steckt er voll des seltsamsten Aberglaubens, den er aus seiner einsamen, menschenscheuen, sumpfigen Lebens- und Geschäftsweise zog. Ich erwähne hier nur einen Zug. Der Mann schreitet nie zur Blüthe und Frucht seiner merkwürdigen Arbeit, dem Halsumdrehungsgeschäfte, wenn die Lockente zufällig einmal mit in die „Pfeife“ hineinschwimmen sollte, weil er sich schämt, sich ihr, die ihn blos als treuen Freund und Fütterer kennt, in seinem wahren Charakter zu verrathen. Er wacht, oft gegen seinen augenblicklichen Vortheil, eifersüchtig darüber, daß ihm die Liebe und das Vertrauen der Lockente bleibe. „Hab’ ich doch sonst keinen Freund auf Erden!“ setzte der Mann hinzu, als er mir später dieses Herzensgeheimniß nicht ohne Anflug von Gefühl enthüllte.

Die Rolle des Hundes mag auffallend erscheinen, läßt sich aber aus der auf Enten ausgedehnten menschlichen Natur sehr einfach erklären. Wo’s etwas Neues zu sehen gibt, drängen sich die Leute zu. Eben so machen’s[WS 1] die Enten, denen, namentlich beim ersten Anblick, nichts Merkwürdigeres in ihrer ausschließlichen Wildniß verkommen kann, als ein plötzlich hervorspringender und scheinbar erschreckt und furchtsam wieder ausreißender naseweiser Hund. Neue Ankömmlinge benehmen sich beim ersten Anblick auch so neugiertoll, wie kaum Krethi und Plethi unter den Menschen, denen zum ersten Male Gelegenheit geboten wird, eine Mißgeburt, einen persischen Prinzen oder dreibeinigen Hasen zu sehen. Man kann übrigens leicht an zahmen Enten beobachten, was hier die wilden thun. Trinkt ein Hund aus ihrem Teiche, schwimmen sie mit langen Hälsen und bedeutungsvollen Zuckungen und Winken auf ihn zu, um ihm zu drohen oder ihn näher zu besehen. Dem gesättigten und davonlaufenden Hunde quärren sie dann einen jubelnden Hohn nach, stolz auf ihre vermeintliche Courage und den feigen Rückzug des Hundes.

Das ist ein Bild des regelmäßigen Geschäfts. Aber es wird nicht selten entsetzlich aus der Natur desselben heraus gestört. Es gibt viele Arten von wilden Enten, die beim Lockmann alle ihre verschiedenen Namen haben: „teal, widgeon, gewöhnliche wilde Ente, pochard, shoveller, pin-tail“ u. s. w. Unter ihnen ist die „Pochard“ ein wahrer Satan von List und Pfiffigkeit. Sie riechen die Gefahr, das Netz auf dem Grunde und tauchen oder fliegen dann blitzschnell und stürmisch genau in der Richtung, in welcher sie kommen, zur Pfeife hinaus, wodurch sie die andern Arten so in Furcht setzen, daß sie ihnen nachstürmen und oft alle entkommen. Man hat schon Netze vor ihnen, näher der Mündung der Pfeife plötzlich aufgezogen, um ihre Flucht unmöglich zu machen, sie aber nie gefangen. Durch Fliegen, Tauchen, Stürmen gegen das Netz u. s. w. fanden sie stets, entweder oben oder unten eine Stelle ausfindig, um zwischen Netz und Boden oder Netz und Netz oben zu entkommen. In der Regel folgen sie aber gar nicht in die Pfeife hinein, sie scheinen die Gefahr darin genau zu kennen. Sie schwimmen höhnend vor der Mündung der Pfeife umher, machen listige Winke, schwimmen davon, nicht selten gefolgt von allen andern. „Das ist zum Todärgern,“ sagte der Mann, „zumal da die Pochards mit ihrem feinen Fleische den berühmten amerikanischen Canevas-Enten gleichkommen und mit Gold aufgewogen werden.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: manchen’s
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_066.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)