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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Skizzen aus dem Hamburger Volksleben.
Von Ernst Willkomm.
(Schluß.)

In unmittelbarer Nähe des Hafens, mit der Aussicht auf das wimmelnde Schiffsgewühl gibt es Läden, wo auch der verwöhnteste Matrose Alles bekommen kann, was sein Herz begehrt. Dahin führt jetzt der Schlafbaas seinen Pflegling, und während dieser aus den ihm vorgelegten Herrlichkeiten auswählt, was seiner Figur angemessen ist, was ihm am besten zu Gesicht steht und was er selbst am liebsten leiden mag, unterhält der Baas den Händler, bedingt mit ihm den Preis, und das Geschäft wird eben geschlossen, ohne daß der neu zu equipirende Matrose ein Wort darüber verliert. Wenige Käufe gehen so rasch und zu so gegenseitiger Zufriedenheit beider Parteien vor sich. Wenn der Matrose kauft, ist er immer ein Gentleman. Pfui doch, wer möchte handeln, wenn man sich ein nettes Stück Zeug auf den Leib schaffen will! Ueberlaßt das den Leuten von Fach. Matrosen rechnen nicht, das sind galante, genial gesinnte und genial lebende Bursche, die buchstäblich nach dem Worte der Schrift handeln, und immer nur für den einen Tag sorgen, dessen Sonne ihre Pfade bescheint. Ganz recht. „Sorget nicht für den andern Morgen; es ist genug, daß jeglicher Tag seine eigene Plage hat!“

„Aber wer bezahlt für solchen stockfremden Matrosen?“ höre ich den Leser fragen. „Niemand,“ lautet darauf die Antwort. Die Begleitung des Baases genügt vollkommen und ist dem Händler so gut, wie der beste acceptirte Wechsel. Er weiß, auf welchem Schiffe der schmucke Junge, der sich so eben bei ihm fein herausstaffirt hat, in Heuer steht, wie der Kapitain sich nennt, welchem Rheder es zugehört und von wannen es kommt. Dies genügt, denn damit wird zugleich angedeutet, daß die Mannschaft des Schiffes nach Verlauf einiger Tage für die ganze Dauer der Reise ihre Löhnung oder, wie man in der Seemannssprache sagt, ihre „Heuer“ empfängt. Darauf hin hat jeder Matrose offenen Kredit. Er darf sich kaufen, was ihm gefällt, was sein Herz begehrt, am Tage der „Abmusterung“ fällt ja sicher das Geld.

Ein Beinkleid von gewöhnlich blauem, oft auch schwarzem Tuche, eine seidene Weste, eine kurze mit Sammet verbrämte Jacke, welcher der Schmuck blanker Knöpfe nicht fehlen darf, ein buntes Seidentuch lose um den Hals geschlungen, das wieder in Ordnung gebrachte Haar mit glänzender Ledermütze bedeckt: so tritt der neu gekleidete Matrose in die Welt, und beginnt ein Leben, das mit den Worten in dulci jubilo sich allein richtig bezeichnen läßt. Er ist jetzt ein feiner Mann in seinem Sinn, völlig Herr seiner Zeit, unabhängig, und da das Blut fröhlicher Jugend in seinen Adern pulsirt, denkt er auf Nichts, als wie er in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes am Lande jegliche Zerstreuung sich verschaffen, jedes Vergnügen bis auf die Hefen ausschlürfen mag. Um diesem Leben in Saus und Braus mit ganzer Seele sich hinzugeben, bedarf er weiter nichts, als Geld, denn er weiß, daß in See- und Handelsstädten dem freigebigen Manne alle Thüren sich erschließen, daß er mit klingender Silbermünze sich Alles, Was käuflich ist, zueignen kann.

Darum erwartet er mit Sehnsucht den Tag der „Abmusterung.“ Zwar fehlt es ihm nicht an dem Nothwendigen, denn er hat ja Kredit, und der Baas macht gern seinen Banquier, allein es genirt doch den freien Sohn der Meere, daß er nicht nach Belieben über die Kasse des Fremden verfügen darf. Er muß Maß halten, und das ist eine Eigenschaft, die unter hundert Matrosen kaum einer besitzt, wenn sie am Lande weilen. Endlich aber bricht der heiß ersehnte Tag an, die Mannschaft wird zum Schout bestellt, und in rosigster Laune, wenn es sich thun läßt, in zwei, drei, vier und mehr offenen Wagen, kommt die elegant gekleidete Equipage am Hause des Shout an.

Der Wassershout, gewöhnlich nur Shout genannt, ist eine sehr wichtige Person, die man in Städten des Binnenlandes nicht kennt. Je größer die Seestadt, je bedeutender ihre Schiffsahrt ist, desto einflußreicher wird die Stellung des Wassershout. Ihm nämlich liegt es ob, die Mannschaft jeglichen Schiffes, das einem Rheder der fraglichen Handelsstadt oder einer Gesellschaft von Rhedern gehört, einzurolliren, jedem Einzelnen ein Exemplar der Disziplinar-Ordnung bei Unterzeichnung des sogenannten Heuer-Kontraktes zu behändigen und diese der gesammten Mannschaft laut vorzulesen. Kurz er nimmt eine polizeiliche Stellung ein, die in großen Seestädten zu den einträglichsten Staatsämtern gehört. So veranschlagt man z. B. das Jahreseinkommen des Hamburger Wassershout auf 20,000, ja mehr Mark Cour. (8000 Thlr. pr. Cour.). In der Wohnung dieses Mannes empfängt auch der Seemann seine Gage nach jeder glücklich beendigten Reise, die, je nachdem sie von kurzer oder langer Dauer war, bald in einer kleineren, bald in größerer Summe besteht. Dies Auszahlen der Gage oder Heuer an die Mannschaft oder Equipage eines Schiffes, womit der bisherige Kontrakt erlischt, heißt die Abmusterung.

Folgen wir jetzt einer Anzahl Matrosen zum Hause des Shout. Es sind lauter junge, kräftige Burschen von gedrungenem Körperbau, sauber, ja elegant gekleidet. Leichter Sinn und Lebenslust funkelt aus den Augen Aller. Ihr Auftreten ist fest, etwas plump, Selbstbewußtsein mit einer nicht gar zu kleinen Beigabe von Trotz, den eine sorglose Gutmüthigkeit mildert, fehlt Keinem. Sie sind heiter, einige lustig gestimmt, und während der Steuermann ihre Ankunft im Bureau des Shout meldet, unterhalten sich die Uebrigen, die Straße wie ein Fahrzeug, das gegen den Wind lavirt, mehrmals kreuzend. Einige gehen Arm in Arm, rauchen Cigarren, und lassen kein vorüber wandelndes Dienstmädchen ungeneckt ziehen. Auf Mädchen scheinen es überhaupt Alle abgesehen zu haben, denn wo ein Lockenkopf sich am Fenster zeigt, dahin richten sich die Blicke der jungen Leute gewiß. Nur ist ihr Geschmack nicht dem Feinsten, am allerwenigsten dem Zarten zugewandt. Was diesen meerdurchpflügenden Menschen gefallen soll, muß derb, nicht zerbrechlich, mehr robust als zierlich sein. Darum auch haben jene rothbackigen Huldinnen, die dort auf den Zugängen einiger Kellerwirthschaften sitzen, Blumen im Haar und ein Lied auf den Lippen tragen, eine unwiderstehliche Anziehungskraft für die müssig Harrenden. Jetzt lassen sich ein paar verstimmte Harfen mit entsetzlich klirrenden Saiten hören, heisere Stimmen heben dazu ein lautes Lied an, das in kreischenden Schreitönen häuserweit zu vernehmen ist, und die Ohren aller Umwohner grausam peinigt. Dazu lockt das über der Kellerthür prangende Schild mit dem segelnden Schiff, an dessen Gaffel die Hamburger Flagge weht, und mit lautem Hurrah stürmt der ganze Trupp die Treppe hinab, nimmt Platz auf den braunrothen Bänken in dem deckenniedrigen Gastzimmer, und begehrt Wein und Grog in nicht geringen Quantitäten.

Nur, wer mit eigenen Augen sich von der Trinkfähigkeit solch’ junger Seeleute überzeugt hat, kann begreifen, was sie zu leisten im Stande sind. Matrosen genießen Alles rasch und mit seltenen Ausnahmen, im größten Uebermaße. Zu viel kann es diesen vom Augenblick und dessen Gunst lebenden Menschen nicht leicht werden, zu toll geht es ihnen nie zu. Nur so erklärt sich’s, daß gewöhnlich eine kurze Stunde hinreichend ist, die Köpfe der schnell lebenden, gesundheitstrotzenden Gesellen etwas zu illuminiren. Schon begleiten hämmernde Faustschläge taktartig das Saitengekreisch der Harfen, schon entschlüpft Einzelnen ein Juchschrei, schon stimmen Andere in unharmonischem Unisono die Melodie des Liedes an, das eben geklimpert wird; da unterbricht ein Wink und Ruf des Obersteuermannes das Frohleben der Glücklichen. Die Heuer ist abgezählt, die ein paar Stunden früher in großen Säcken zum Shout getragen wurde, und Jeder, vom Steuermann abwärts bis zum Kochsmaat und Kajütenwächter, kann den ihm zukommenden Antheil davon in Empfang nehmen.

Jubelnder als sie hinabstieg in den Keller, stürzt die Mannschaft jetzt die Stufen hinan, der Eine mit ein paar gewaltigen Sätzen die Breite der Straße überschreitend und ungestüm das Haus des Shout betretend, der Andere den Rundreim eines eben gesungenen Liedes vollends zu Ende trällernd, wieder Andere in verschobenen Dreiecken oder die Figur eines Kegelschnittes auf ihrem Wege beschreibend. Endlich verliert sich auch der Letzte stolpernd auf der Hausdiele des Shout, diese schließt sich, in den Kellern aber klimpern die Harfen fort und die grell schreienden Stimmen der fahrenden Virtuosinnen girren in lauter verlockenden Tönen. Es dauert nur kurze Zeit, dann öffnet sich die Thür des Shout von Neuem und mit freudeglanzenden Gesichtern gehen, springen, stolpern und rennen die Abgemusterten heraus, schwere Geldbeutel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_038.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)